Der Seele tiefer Grund. Beate Berghoff
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Heinrich saß staunend da. Er hatte gedacht, die Leute würden ihn irgendwann lieben und ihm zujubeln und ihn hochleben lassen. Doch dieser stille Dank so ganz ohne Jubel berührte ihn noch viel mehr, er war so ehrlich. „Gott segne Euch“. Heinrich wusste nicht mehr, wann jemand das letzte Mal aufrichtig Gottes Segen für ihn erbeten hatte.
Veit kniete immer noch still da. Heinrich räusperte sich und fragte „Magst Du mit mir essen? Ich habe mehr, als ich schaffen kann“. Langsam hob sein Knecht den Kopf. Er vermied es, dem Herrn Heinrich direkt in die Augen zu schauen, dass durfte man ja nicht. Er blickte irgendwo in Richtung Kinn und meinte „Vielleicht solltet ihr besser mit dem Verwalter essen, der ist bessere Gesellschaft als ich.“ Heinrich hörte Wehmut aus Veits Worten, deswegen schluckte er die aufkommende Ungeduld über die Zurückweisung hinunter.
„Nein, das passt schon. Setz Dich!“ Veit tat wie ihm geheißen, aber wohl war ihm nicht dabei. Am liebsten wäre er wieder gegangen, aber das ging nicht ohne Erlaubnis dieses verhassten Mannes da vor ihm. Obwohl… Veit spürte nach.
Irgendwie war sein Hass gerade nicht da, die Dankbarkeit überwog. Bitter dachte er daran, was aus ihm geworden war, für was er jetzt schon Dankbarkeit fühlte. Sein Mut, sein Kampfgeist, sein unbeugsames Wesen, das waren alles Schatten, Erinnerungen an ein Leben, das so lange her war. Ein Leben, an das zu denken er sich normalerweise verbot, um den Schmerz in der Seele nicht zu spüren. Aber Heinrich wollte mit ihm Pferde zureiten. Ob er was wohl wirklich so meinte? Etwas Altbekanntes, lange Totgeglaubtes, erwachte in ihm: Neugier.
Veit sah Heinrich dabei zu, wie er versuchte, die Schalen und Schüsseln so zu verteilen, dass jeder einen eigenen Teller und eine eigene Schüssel hatte. Heinrich legte Butterbrote mit Schnittlauch und Brote mit Pflaumenmus auf die Schale, die Veits Teller sein würde. Dann füllte er etwas ungeschickt Gerstensuppe in einen großen Becher, der Veit als Schüssel dienen sollte. Für die Süßspeise war kein Teller mehr da, also sah Heinrich sich um. Vom Vortag stand noch ein leerer Weinbecher herum, in den löffelte er jetzt die Hälfte des Honigquarks.
Veit saß da und konnte es nicht glauben. Er schüttelte den Kopf, und kniff sich, um zu sehen, ob das hier wirklich real war. Aber kein Zweifel: er erlebte das gerade tatsächlich.
Heinrich schob das Essen zu Veit hin und grinste kurz. Veit fand, dass er aussah wie der kleine Junge, dem er vor langer Zeit das Reiten beigebracht hatte, und er wusste nicht, was er davon halten sollte.
Heinrich begann zu essen, und Veit schloss sich nach kurzem Zögern an. Das Mahl schmeckte wunderbar. Die Knechte mussten für gewöhnlich nicht hungern, sie aßen dreimal am Tag, zur Erntezeit sogar viermal. Aber das Brot war meistens schon alt, und der Käse trocken. Butter aufs Brot gab es nur selten. Dieses Brot hier war frisch, und die Butter kleinfingerdick draufgestrichen, und ein Brot hatte sogar noch Pflaumenmus drauf, wie köstlich. Die Suppe war warm und vor allem VIEL, und da waren auch noch der Quark, anscheinend waren Honig und Nüsse drin. Wunderbar süß und einfach nur gut. Veit seufzte wohlig. Er hatte die Augen geschlossen, und schmeckte und genoss jeden Bissen und vergaß alles um sich herum.
Heinrich beobachtete ihn heimlich. Da die Knechte meistens Kopf und Blick gesenkt hatten, konnte er deren Gesichter nicht richtig sehen. Jetzt studierte er Veits Gesicht mit den geschlossenen Augen. Veit war deutlich älter geworden, und schmaler. Er hatte tiefe Ringe unter den Augen. Heinrich fand auch ein paar Narben, die früher da nicht gewesen waren. Aber sonst war es eindeutig Veits Gesicht. Heinrich wurde von Erinnerungen überflutet. Erinnerungen an eine Kindheit, in der sich alles nur um Pferde gedreht hatte. Sein Vater, wie er ihn auf ein Pony hob und lachte. Und Veit, der schier endlos mit ihm übte. Erst Reiten, dann wilde Jagden auf dem Pferd, und dann die Meisterdisziplin: ein Pferd zureiten, es ausbilden.
Veit war sein erster Lehrer gewesen und später dann, als Heranwachsender, sein größter Konkurrent. Egal wie er sich anstrengte, Veit war immer noch ein bisschen besser, und ziemlich überheblich, und Heinrich konnte sich gut erinnern, dass er ihn sogar eine Zeitlang gehasst hatte. Veit hatte gewusst, wie gut er war, und ließ sich das auch anmerken. Er war der Held gewesen.
Davon war jetzt nicht mehr viel zu sehen, und Heinrich schauderte. Offensichtlich hatte Veit viel Übles erlebt und es hatte ihn gebrochen. Es war an der Zeit, den Hass und die Konkurrenz zu begraben. Heinrich wartete still ab, bis Veit die Augen wieder öffnete. Ihre Blicke begegneten sich kurz, und dann senkte Veit den Kopf, so wie es sich gehörte.
Heinrich wusste nicht recht, wie er beginnen sollte. Er hatte sich noch gar keine Gedanken drüber gemacht, ob er Veit einfach nur als Pferdeknecht dabeihaben wollte, der ihm zuarbeitete, oder wirklich als eigenständigen Ausbilder und Zureiter. Irgendwie fürchtete Heinrich, dass Veit ihm dann wieder überlegen sein und ihn das auch spüren lassen würde. Andererseits sah Veit gerade nicht nach Arroganz oder Selbstüberschätzung aus. Vielleicht konnte er es riskieren. Vielleicht würde Veit ihn diesmal ernst nehmen, weil er nicht sein Schüler war, sondern sein Herr. Sein Herr.
Irgendwie hatte das Schicksal seinem ehemaligen Freund übel mitgespielt. Heinrich überlegte kurz, wie es denn für ihn an Veits Stelle wäre. Es war kein gutes Gefühl.
Veit wartete still. Der Herr Heinrich plante anscheinend, wieder Pferde zu trainieren. Warum sprach er nicht endlich?
Heinrich fasste sich ein Herz und redete einfach. Er starrte den Tisch an, während er erzählte, was ihm während der letzten Monate im Kopf umgegangen war. Er wollte wieder Pferde züchten, und zureiten, und fürs Erste auch Jungpferde zukaufen und ausbilden.
Das hatte er ja schließlich gelernt und wollte es wieder tun. Heinrich erzählte natürlich nicht, dass er das Gefühl hatte, die letzten Jahre stinkfaul gewesen zu sein, und dass er sich nach einer Aufgabe sehnte. Das ging niemanden etwas an. Er erzählte von seinen Plänen mit den neuen Ställen und dass er auch vorhatte, die scheuen und wilden und schwierigen Pferde der umliegenden Nachbarn zuzureiten, wenn diese das wollten und auch bezahlten. Und jetzt kam der schwierigste Teil. Heinrich zögerte kurz. Er starrte immer noch nach unten, und erzählte dann der Tischplatte, dass er das ja nicht allein tun konnte, und jemanden brauchte, der auch Pferde trainieren konnte, und vor allem jemanden, der wusste, wie man so etwas organisierte. Und natürlich jemanden, der die Drecksarbeit machte. Das sagte Heinrich selbstverständlich nicht, aber beide wussten, dass es so war.
Heinrich hatte seine Ideen ausgesprochen. Er wusste, dass Veit keine Wahl hatte, aber er war trotzdem recht angespannt. Tief in sich drin fürchtete er, dass Veit, der übermächtige Lehrer seiner Kindheit, ihn auslachen und ihm das Talent absprechen würde. Veit hatte gebannt zugehört. So etwas hatte er sich schon öfters überlegt und durchdacht. Es wäre so wunderbar, wenn es klappen würde. Er war sich nicht sicher, ob der Herr eine Antwort wünschte, also wartete er ab. Nach kurzer Stille fragte Heinrich: „Und was meinst Du dazu?“
Veit wusste, dass er vermutlich so etwas sagen sollte wie „Ich werde alles tun, was Ihr wünscht“, aber es ging nicht. Zu lange hatte er gewartet. Also erzählte er dem Herrn Heinrich von den Pferden, die gerade im Stall waren. Von den Fohlen, wie alt sie waren, wie man sie trainieren konnte, er sprach auch über das wilde Pferd, das Heinrich geschenkt bekommen hatte, und das keiner zähmen konnte. Er redete sich in Fahrt und beschrieb seine Vision, die der von Heinrich ziemlich nahekam.
Heinrich saß da und war verblüfft. Veit lachte ihn nicht aus und sprach ihm auch nicht das Talent ab.
Offenbar hatte