Der Seele tiefer Grund. Beate Berghoff
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Seele tiefer Grund - Beate Berghoff страница 32
Am Anfang hatten sie nur zwei Pferde gehabt. Einen zweijährigen Hengst, und die wilde Stute. Die Stute, Mara, war weiß und wunderschön, aber sie ließ niemanden an sich heran. Eigentlich war sie ein berittenes Pferd, aber sie hatte panische Angst vor Menschen. Irgendetwas Schlimmes musste ihr passiert sein, entweder ein Unfall oder der Reiter hatte sie misshandelt. Ein Bekannter von Heinrich, der Onkel seines Freundes Albrecht, hatte ihm Mara geschenkt. Niemand konnte das Pferd zureiten und sowohl Albrecht als auch der alte Herr Endres hatte irgendwann keine Lust mehr gehabt, mit dem Pferd zu arbeiten. Es war aussichtslos, und so hatte Endres es an Heinrich verschenkt. Insgeheim hatte es ihn amüsiert, dass Heinrich unbedingt arbeiten und Pferde bereiten wollte, an Mara würde er sich die Zähne ausbeißen. Vermutlich hätte Heinrich sich auch die Zähne ausgebissen und die Geduld verloren, aber Endres hatte nicht mit Veits Beharrlichkeit gerechnet. Heinrich sah mit Ehrfurcht zu, mit welch unerschöpflichen Geduld Veit versuchte, das Vertrauen des Pferdes zu gewinnen. Es ging so unendlich langsam.
Es kamen mehr Pferde dazu. Heinrich war mit Veit auf einen Pferdemarkt gereist, und hatte noch einen Dreiährigen gekauft, den sie zu einem Schlachtross ausbilden wollten. Weiterhin waren vier adelige Herren aus der weiteren Nachbarschaft aufgetaucht und hatten Pferde zum Ausbilden gebracht. Heinrich war ab und zu auf irgendwelchen Festen der Nachbarn eingeladen, wahrscheinlich hatte er von seinen Plänen erzählt, und es hatte sich herumgesprochen.
Sie hatten also wirklich viel Arbeit, und bald sprachen sie darüber, dass sie es zu zweit nicht mehr lange schaffen würden. Sie mussten noch Leute dazu nehmen. Und nachdem keiner so gut reiten konnte, musste man entweder Pferdetrainier von weiter weg einstellen, oder selbst Jungen vom Gut ausbilden. Das bereitete Veit einiges Kopfzerbrechen. Niemand hier würde ihm freiwillig den Sohn überlassen, und unter Zwang würde so etwas nicht funktionieren. Scheu hatte Veit Heinrich seine Bedenken erzählt, aber Heinrich war anderer Meinung. Er war sich sicher, dass die meisten Jungs auf dem Gut liebend gerne lernen würden, wie man Pferde zureitet, und Veit wusste, dass er sich fügen würde.
Es war überhaupt seltsam mit dem Fügen. Früher, als sie Kinder und später junge Kerle waren, war Veit Heinrichs Lehrer gewesen, und was er sagte, wurde gemacht. Nun war Heinrich der Herr, und Veit gab sich große Mühe, diese Tatsache immer und zu jeder Zeit in all seinen Gedanken, Worten, Taten zu bedenken. Manchmal war das gar nicht so leicht, denn Heinrich und Veit arbeiteten zusammen, aßen zusammen, schwitzen zusammen, wurden zusammen dreckig, badeten zusammen im Bach nach einem langen Arbeitstag, und irgendwann lachten sie auch zusammen.
Es war für Veit nicht leicht, immer und immer wieder die Grenze zu erkennen und zu wahren. Er achtete genau drauf, Heinrich immer nur als „Herr“ und mit „Ihr“ anzusprechen. Auch wenn sie zusammen lachten und herumblödelten, war sein Gefährte eben nicht wie früher der Heinrich, sondern der Herr. Jeden Tag aufs Neue.
Heinrich bemerkte das natürlich, und er wusste selbst nicht, was er davon halten sollte. Er sah Veit längst wieder als Freund, aber er war halt einfach der Herr hier. Vielleicht war es ganz gut, den Respekt und die Unterordnung des anderen Mannes einzufordern, weil Heinrich wirklich keine Lust auf ständige Debatten und Rechtfertigungen seinerseits hatte. Er wusste, dass Veit mit Pferden besser war als er, und wohl immer besser sein würde, und er wollte sich auf gar keinen Fall wieder unterbuttern lassen. Außerdem war Veit ein Leibeigener, und Heinrich fühlte sich unwohl bei dem Gedanken, dass Veit ihn vor anderen Adeligen von Stand evtl. mit dem Vornamen ansprechen und duzen würde. Das würde sein eigenes Ansehen wohl schmälern. Irgendwie fühlte sich das nicht so gut für ihn an. Er fand, dass sie beide wunderbar zusammenarbeiteten, so wie es gerade war, zu viel Nähe und Gleichheit konnte da durchaus Unruhe reinbringen. Sein Halbbruder Martin durfte ihn längst als Heinrich ansprechen, aber der war auch keine Konkurrenz mit den Pferden und eigentlich auch kein Leibeigener. Heinrich hätte ihm schon längst die Freiheit gegeben, aber der Verwalter und der rechtskundige Mönch aus dem Kloster waren nach längerer Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass Martin nie unfrei gewesen war.
Der Sommer wurde immer heißer. Es war August, und die Arbeit ging oft zäh, eben weil es so heiß war. Heinrich und Veit ritten die Pferde ganz in der Früh oder in den Abendstunden, weil es ja auch so anstrengend war. Den Rest der Zeit arbeiteten sie mit Ställen und Koppeln. Heinrich besserte mit Veit Zäune aus, und manchmal hatte er aber auch einfach keine Lust und legte sich in seiner kühlen Kammer hin. Manchmal kam auch Veit dazu auf der Flucht vor der Hitze. Sie konnten stundenlang zusammen in Heinrichs Arbeitszimmer sitzen und kühlen Most trinken und über Pferde reden, oder aber auch schweigen. Heinrich liebte es, zu dösen, und auch Veit hatte längst Gefallen daran gefunden. Er genoss es nach all den harten Jahren, auch einmal nichts zu tun und einfach nur die Augen zu schließen und ohne Angst in der Gesellschaft eines anderen Menschen zu sein. Für ihn waren diese ruhig vertrödelten Nachmittage wie ein kostbarer Schatz, der sein Herz wärmte.
Aber natürlich mussten die Pferde trotzdem geritten und ausgebildet werden. Wegen der Hitze gingen Heinrich und Veit ganz früh am Morgen dieser Arbeit nach. Doch egal, wie früh Heinrich sich aus dem Bett quälte: Seine Knechte und Mägde waren schon wach und an der Arbeit, auch Veit. Heinrich wunderte sich immer wieder, wie früh am Morgen die Dienstboten aufstanden. Was ihm als unmenschlich früh erschien, war normaler Arbeitsbeginn für die Leute hier. Und zum ersten Mal wurde ihm bewusst, dass Veit schon etliche Stunden Stallarbeit und sonstige Arbeit hinter sich hatte, wenn Heinrich normalerweise nach dem Gespräch mit dem Verwalter zum Tagwerk erschien. Darüber hatte er früher nie nachgedacht, und jetzt erschien es ihm als erstaunlich.
Er beschloss, öfter ein Fest für seine Dienstboten zu geben, vielleicht regelmäßig alle paar Wochen Samstagabend, einfach nur, um ihre Arbeit zu würdigen. Sie würden ein Schwein schlachten und grillen, frisches Brot essen, lachen, und einfach nur zufrieden sein. Seine Leute waren ihm nicht mehr egal. Es waren nicht mehr nur Nutztiere, die sprechen konnten. Es waren die Leute, die sein Gut am Laufen hielten, und Heinrich war dankbar.
Er veränderte sich. Durch seine eigene Arbeit lernte er, die Arbeit der Anderen zu schätzen. Er merkte, wie er besonnener und durchdachter mit den Leuten umging, und die grausamen Körperstrafen am Gut sanken drastisch. Er sah ja jetzt selbst, wie hirnrissig dumm es war, jemanden übertrieben zu prügeln oder hungern zu lassen, oder gar eine Hand abzuschlagen. Die Arbeitskräfte wurden gebraucht, und solche Strafen führten dazu, dass Leute ausfielen. Außerdem war ihm jetzt klar, wieviel die Leute eigentlich leisteten, und er bekam nicht gleich bei jeder Kleinigkeit einen Wutausbruch. Er sorgte dafür, dass die Leute mehr und auch besseres Essen bekamen und dass Sonntage und Feiertage bis auf die notwendigen Arbeiten wirklich frei waren. Alles schien irgendwie entspannter zu laufen, und Heinrich war froh drüber. Vom Leid und Elend, den stummen Anklagen der Vergangenheit, die das Gut noch im letzten Jahr überschattet hatten, war immer weniger zu spüren.
Die Leute jubelten ihm immer noch nicht zu, und ließen ihn auch nicht hochleben, aber er war sich jetzt zumindest sicher, dass sie nicht mehr hinter seinem Rücken über ihn lachten oder ihn verachteten. Seine Arbeit erfüllte ihn mit Stolz, und er bemerkte die Anerkennung, die seine Leute ihm entgegenbrachten. Keine Liebe, aber doch Anerkennung und Achtung.