Der Seele tiefer Grund. Beate Berghoff
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Seele tiefer Grund - Beate Berghoff страница 31
Heinrich entspannte sich. „Gut, abgemacht. Wir fangen morgen an. Ich komme nach dem Gespräch mit dem Verwalter“.
Heinrich sprach jeden Morgen mit dem Verwalter, und künftig würde auch Martin dabei sein, der das Ganze ja lernen sollte. Plötzlich fand Heinrich, dass es eine gute Idee war, Martin zum Verwalter auszubilden. Heinrich wurde leicht rot. Er kam sich sehr selbstsüchtig vor. Martin war beschäftigt, und er konnte mit Veit die Pferde zureiten. Die Tatkraft packte ihn, und die Vorfreude.
Veit nickte. „Ich bin wahrscheinlich auf der Weide und bessere Zäune aus.“ Dann stand er auf. Heinrich gestattete ihm zu gehen, was Veit nach einer höflichen Verbeugung auch tat.
Auch er war voll Tatendrang und Vorfreude, die allerdings deutlich getrübt war. Er wusste einfach nicht, ob Heinrich seine Idee wirklich umsetzen würde, ob er dranbleiben würde, wenn es schwierig wurde. Ob er sich von Veit etwas sagen lassen würde, oder einfach nur jemanden brauchte, der die harte Arbeit für ihn verrichtete. Veit wusste es nicht. Er würde es ganz einfach abwarten müssen, etwas anderes blieb ihm – wie so oft – nicht übrig.
Kapitel 9: Große Pläne
Am nächsten Vormittag stand Veit wie so oft auf der Weide und besserte Zäune aus. Er war allein, auch wie so oft. Seit über zehn Jahren mieden ihn die anderen, und er wusste auch, warum. Aber er weigerte sich, drüber nachzudenken. Normalerweise schaffte er es, an nichts, außer an die nächste Arbeit zu denken, und sie gut und gründlich zu erledigen. Arbeiten half, über den Tag zu kommen und sich abzulenken. Er arbeitete gerne und viel mehr als die anderen Knechte. Die waren froh, wenn Feierabend war, aber Feierabend war für Veit ein Graus. Er hatte niemanden, zu dem er sich hätte setzen können, der sich mit ihm unterhalten hätte. Sie sprachen mit ihm genau das, was für die tägliche Arbeit nötig war, und mehr nicht.
Veit werkelte vor sich hin, aber das mit dem Nichtdenken klappte heute nicht so gut. Würde Heinrich kommen? Würde er tatsächlich mit Veit Pferde trainieren wollen?
Dann hörte er Schritte, und als er sich umdrehte, kam da tatsächlich der Herr Heinrich an. Seine Kleidung war gut, aber ganz deutlich mehr für Arbeit gedacht als für das Herrenleben.
Die ersten Tage waren merkwürdig. Heinrich wusste offenbar nicht genau, wie er das Ganze anpacken sollte, und Veit traute sich nicht recht, seine Vorschläge zu unterbreiten und die Führung zu übernehmen. Er hatte die letzten Jahre gelernt, den Blick zu senken und den Mund zu halten, wenn ein Mitglied der Familie von Rabenegg bei ihm war.
Erst als Heinrich frustriert feststellte, dass seine Vorgehensweise nicht durchdacht war und nirgends hinführen würde, übergab er das Ruder offiziell an Veit. Und der legte los. Natürlich immer sehr höflich und sehr vorsichtig, um Heinrich nicht das Gefühl zu geben, er wüsste alles besser.
Sie richteten den Übungsplatz her, und auch die alte Reithalle. Dann fingen sie mit dem Training an und bauten nebenher noch mehrere Ställe.
Heinrich musste oft die Zähne zusammenbeißen. Die viele Arbeit war er nicht gewohnt. Ein paarmal war er kurz davor, alles hinzuschmeißen, weil er sich lieber ausruhen oder singen wollte. Aber sein Traum trieb ihn an. Er war froh, dass Veit dabei war. Ohne ihn hätte er keinen Einstieg gefunden. Oft warf er das Ganze einfach deswegen nicht hin, weil er sich vor Veit nicht die Blöße geben wollte, aufzugeben. Trotzdem war es zäh, mit seinem ehemaligen Freund und Lehrer, der jetzt sein Knecht war, zu arbeiten.
Besonders in den ersten Tagen bemerkte Heinrich, wie anders Veit war als früher. Er war so extrem respektvoll und vorsichtig mit seinen Vorschlägen, dass es Heinrich manchmal gewaltig nervte. Es frustrierte ihn, dass Veit meistens auf den Boden blickte, zusammenzuckte und sich verkrampfte, wenn Heinrich ihm zu nahekam. Er konnte ihm nicht einmal die Hand auf die Schulter legen oder einfach nur nahe bei ihm sitzen, ohne dass Veit furchtvoll zurückwich, und das machte Heinrich oft wütend, aber auch sehr nachdenklich. Er hatte gehört, was Veit zugestoßen war, aber die Einzelheiten waren anscheinend noch viel grausamer gewesen, als er sich das je hätte vorstellen können. Es tat ihm leid. Soviel Unrecht war geschehen auf seinem Gut, und Heinrich wusste nicht, wie er das alles jemals gutmachen konnte. Also versuchte er, gleichbleibend freundlich zu Veit zu sein. Heinrich vermied abrupte Bewegungen, er vermied es, laut zu werden, und vor allem vermied er es, Veit anzufassen.
In den ersten Tagen und sogar Wochen war Veit extrem vorsichtig. Er konnte einfach nicht wirklich glauben, dass Heinrich das Ganze ernst meinte.
Nach und nach entspannte er sich. Nach und nach blitzte der Veit von früher durch. Nach und nach gewöhnte er sich daran, mit dem jungen Herrn zu arbeiten und erwartete nicht ständig das Schlimmste. Heinrich und er arbeiteten zusammen den ganzen Tag, und irgendwann bemerkte Heinrich, dass Veit ruhiger wurde, dass er ihn immer öfter direkt ansah und auch von sich aus sprach, wenn es nötig war.
Veit war unendlich dankbar, dass Heinrich ihn nicht anfasste und so freundlich zu ihm war. Wie eine verdurstende Blume das Wasser sog er die Güte und die Freundlichkeit auf und sein Herz wurde jeden Tag ein klitzekleines Stücklein leichter. Es gab sogar Tage, an denen er in seinem Herzen einen Anflug von Glück spürte. Veit drängte dieses Gefühl am Anfang meistens recht schnell wieder weg, denn, wer weiß, vielleicht war es ja schon morgen zu Ende? Aber trotzdem. Das kleine Glücksgefühl schmuggelte sich immer öfter ein, und bald konnte Veit es aushalten und irgendwann sogar genießen.
Der Frühling wurde zum Frühsommer und zum Sommer. Heinrich und Veit schufteten jeden Tag zusammen, und für Heinrich wurde es immer leichter. Die tägliche Arbeit machte ihn gesund und fit und muskulös. Sein Bein schmerzte nicht mehr und die Kopfschmerzen, die er früher ab und zu gehabt hatte, kamen nicht wieder. Heinrich gefiel die Arbeit mittlerweile. Anfangs hatte er zu Mittag immer eine wirklich lange Pause gemacht, aber nach einiger Zeit brauchte er die lange Rast nicht mehr. Es war ihm zur Gewohnheit geworden, zusammen mit Veit draußen sein Mittagessen einzunehmen, danach noch etwas zu dösen und dann gleich weiter zu machen.
Veit hatte solange immer allein gegessen, dass es für ihn am Anfang wirklich seltsam war, mit dem Herrn gemeinsam zu essen. Er sehnte sich fast nach der Einsamkeit, doch nach und nach gewöhnte er sich dran, und es gefiel ihm immer besser. Am Abend war er dann trotzdem erschöpft und verzog sich am liebsten alleine irgendwohin, aber da war Heinrich sowieso anderweitig beschäftigt.
Sie aßen ihr Brot und ihren Käse draußen, und meistens gab es noch irgendwas Leckeres zusätzlich. Und weil Heinrich der Herr war, waren Brot und Käse immer frisch, auch Butter gab es, und die zusätzliche Leckerei war etwas, das Veit so nie bekommen hätte. Danach dösten sie noch etwas, auch das hatte Veit bis dahin nicht gekannt, und er genoss es.
Er wusste, dass die anderen Dienstboten tuschelten, und ihn seltsam von der Seite her ansahen. Er war der Verräter, der Außenseiter, aber plötzlich stand er wieder in Gnade. Die Leute wussten offenbar nicht, wie sie ihn behandeln und mit ihm umgehen sollten. Aber das war Veit mittlerweile egal. Er brauchte sie nicht mehr. Er arbeitete hauptsächlich mit Heinrich und hatte eigentlich nur mit ihm und mit dem Verwalter zu tun. Natürlich musste er Pferde aus den Ställen holen, aber dabei ignorierte er die anwesenden Knechte und Mägde und machte seine Arbeit ohne großes Aufsehen.
Da Veit anscheinend in Heinrichs Gunst stand, hatten die meisten Leute auf dem Gut damit aufgehört, ihn zu triezen. Sie spuckten nicht mehr vor ihm aus, stellte ihm kein Bein mehr, warfen ihm keine Steine oder faules Obst hinterher. Sie hatten aufgehört, und Veit war gottfroh darüber. Der Schmied und seine Mutter waren die einzigen, die Veit noch sehr deutlich zeigten, dass sie ihn aus tiefster Seele verachteten, doch Veit tat konsequent