Der Seele tiefer Grund. Beate Berghoff
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Am ersten Mai waren die Leute zwar müde vom Feiern, gingen aber brav in die Kirche und dann zwischen den vom Pfaffen gesegneten Feuern durch. Besser, man holte sich den Schutz der Heiligen ab.
Das Wetter wurde besser, der Frühling brach sich überall seinen Weg. Die Wiesen wurden so unglaublich grün, alles blühte und die Herzen der Menschen wurden froh. Ein Ofen im Winter war zwar gut, aber der Sommer mit Wärme und Schönheit war trotzdem um Längen besser. Der Sommer brachte zwar unendlich viel Arbeit, aber wenigstens erfror oder verhungerte niemand.
Kurz nach der Maifeier bekam der Verwalter einen Gichtanfall. Er konnte einige Tage nicht laufen und stöhnte, wenn jemand seinem geschwollenen Zeh auch nur nahekam. Ihn plagte das Zipperlein schon länger, aber nach großen Festen war er in letzter Zeit immer mal wieder bettlägerig geworden mit Fieber, Schmerzen und der Entzündung im Zeh. Er wurde schließlich auch nicht jünger. Heinrich wusste jetzt gottlob, welche Arbeiten zu tun waren und vertrat den Verwalter so gut er konnte. Jeden Tag besuchte er Ulrich und besprach mit ihm, was zu tun war. Nach einigen Tagen brachte der Verwalter ein ganz neues Thema auf: seine Nachfolge.
Er würde schließlich nicht ewig leben, so erklärte Ulrich seine Gedanken. Er brauchte einen Nachfolger als Verwalter, den er einarbeiten konnte, solange er noch gesund war und die Arbeit einigermaßen leichtfiel. Heinrich hörte sich das alles an und kam zum Schluss:
Ja, Ulrich hatte Recht. Sie mussten einen Nachfolger suchen.
Doch Ulrich meinte, sie müssten niemanden suchen, es gäbe da schon jemanden. Heinrich sah ihn gespannt an. Wen Ulrich wohl meinte? Ulrich sah Heinrich so nachsichtig an, wie man einen zurückgebliebenen Trottel ansah.
Er begann: „Nun ja, wir brauchen jemanden, der hier schon länger arbeitet, der das Gut kennt, der absolut loyal und fleißig ist, und der auch klug genug für die Arbeit des Verwalters ist. Der neue Verwalter muss natürlich rechnen können, um mit den Abgaben und Geldern zu haushalten. Er muss Korrespondenz führen können, auf Deutsch und auf Latein.“
Heinrich begann zu ahnen, wohin dieses Gespräch führen würde. „Ihr meint Martin?“
„Ja. Er ist genau der Richtige.“
Heinrich fühlte sich wie ein Kind, dem man ein Spielzeug wegnehmen wollte. Er wusste, dass Ulrich Recht hatte, dass Martin die beste Wahl war, aber irgendwie fühlte er sich um seinen neu gewonnenen Bruder betrogen. Martin würde künftig den Hauptteil des Tages mit dem Verwalter verbringen müssen, und für ihn würde nicht mehr viel Zeit übrigbleiben. Also meinte er:
„Ulrich, da habt Ihr sicher Recht. Aber ich wollte Martin Französisch und Bretonisch beibringen, und wir singen zusammen. Außerdem wollte ich ihm zeigen, wie man Pferde bereitet.“ Der Verwalter lächelte ihn freundlich an und beharrte: „Ihr könnt ihm jede Sprache der Welt beibringen, am Abend, bevor Bruder Alban kommt. Martin kann jeden Vormittag eine Stunde zu Alban gehen und den Abend nach wie vor mit Euch verbringen. Dann lernt Ihr halt nur eine Stunde statt viele Stunden am Nachmittag. Ihr habt doch Zeit. Frankreich läuft nicht davon, oder? Und außerdem, warum wollt Ihr mit Martin üben, wie man ein Pferd bereitet? So wie ich das gesehen habe, hat er nicht viel Talent dazu.“
Heinrichs Gesicht wurde heiß. Gingen seine Pläne den Verwalter etwas an? Hm, vermutlich schon. Wenn er tatsächlich Pferde bereiten oder gar züchten würde, dann müssten die Stallungen repariert werden, oder am besten gleich neue gebaut werden. Das ging nicht ohne den alten Geizkragen.
Heinrich seufzte also ergeben und meinte: „Ich will was Sinnvolles tun. Mein Vater hat damals Pferde gezüchtet und beritten, und das will ich auch wieder machen.“ Unsicher sah er Ulrich an. Der fragte: „Ihr wollt Pferde bereiten und züchten? Ihr wisst, dass das viel Arbeit ist? Und dass Ihr das alleine nicht hinbekommt?“ Heinrich wurde ungeduldig. „Ja, das weiß ich. Deswegen wollte ich ja, dass Martin mir hilft.“
Ulrich überlegte eine Weile und fragte dann: „Was ist mit Veit? Warum nehmt Ihr den nicht?“
Heinrich war sprachlos. Veit? Den hatte er seit Jahren nicht mehr gesehen. Er hatte gedacht, dass Veit weggegangen oder gestorben war. Anscheinend gab es ihn doch noch, aber warum hatte er ihn so lange nicht gesehen? Heinrich bemerkte, wie in seinem Herzen ein Kampf begann. Veit wäre natürlich der Allerbeste für seine Pläne, aber es war auch Veit gewesen, der Heinrich nie ernst genommen hatte und immer besser und schneller als er gewesen war. Heinrich hatte keine Lust, wieder nur die zweite Wahl zu sein und sich täglich von seinem ehemaligen Freund demütigen zu lassen. Er stutzte. Die Dinge waren anders als früher, er war ja jetzt der Herr auf diesem Gut, Veit würde sich unterordnen müssen. Trotzdem: so wie er Veit kannte, würde der ihm mit Blicken und Gesten ganz genau zeigen, wer der Bessere war. Heinrich war verwundert, wie groß der Groll in seinem Herzen war. Ulrich sah Heinrich zaudern und meinte: „Wenn Euch jemand helfen kann hier, dann Veit. Ihr müsstet ihn halt begnadigen und ihm die Fußketten abnehmen lassen.“
Heinrich sah ihn sorgenvoll an. Knechte, die Halseisen oder Fußketten trugen, hatten die ja nicht umsonst. Sie abnehmen zu lassen, war ein Zeichen von Schwäche, das die Dienstboten sicher ausnutzen würden. Diese Diskussion hatte er mit seinem Verwalter schon so oft geführt, aber Ulrich gab einfach nicht auf. Der Vater hatte Veit damals die Fußeisen verpasst, und Heinrich hatte sich gefreut. Der Vater hatte sicher einen Grund gehabt, er….
Heinrich schluckte schwer. Immer wieder schien er zu vergessen, welcher Drecksack sein Vater gewesen war. Vielleicht hatte er sich auch hier geirrt? Er fragte den Verwalter kurzangebunden: „Was ist passiert? Wo war Veit die ganze Zeit? Warum hat er die Fußketten?“
Der Verwalter versuchte, sich etwas bequemer hinzusetzen. Im Bett herumliegen war nicht das, was er gerne tat. Er bat Heinrich, ihm und sich selbst einen Becher gewässerten Wein einzuschenken, was Heinrich auch tat. Er war neugierig, was er jetzt zu hören bekommen würde.
Ulrich trank einen Schluck und schaute dann nachdenklich in seinen Becher hinein. Heinrich hatte also nicht gewusst, dass es Veit noch gab. Es war schon erstaunlich, wie wenig Ahnung er von seinem eigenen Gut gehabt hatte. Gottlob war das jetzt anders. Ulrich begann:
„Ihr wisst ja, dass Euer Vater mit Veit die Pferde beritten und gezüchtet hat. Die beiden waren jeden Tag zusammen. Aber es gab… Unstimmigkeiten. Euer Vater hat Veit in den Kerker werfen lassen. Er war acht Monate dort und danach hat er die Fußketten bekommen, damit er nicht mehr reiten konnte. Die Leute auf dem Gut haben ihn gemieden, und er hat sich zurückgezogen. Sein Vater war mein bester Freund, und deswegen gebe ich ihm immer Arbeit, bei der er für sich sein kann. Er ist gerne auf den Weiden oder Koppeln und bessert Zäune aus. Oft war er mit Martin im Wald. Er isst nicht mit den anderen, sondern verzieht sich irgendwo hin. Auch zu den Feiertagen, wenn es Geschenke gibt, ist er nicht mit den anderen zusammen, sondern vergräbt sich irgendwo. Die Geschenke gebe meistens ich ihm. Er geht den Leuten aus dem Weg, deswegen habt Ihr ihn vermutlich nicht gesehen.“ Ulrich schwieg und vermied es, Heinrich anzublicken.
Heinrich bemerkte, dass er auf seinen Fingernägeln kaute, wie immer, wenn ihn etwas beschäftigte. Er sah an Ulrichs Gesicht, dass er nicht alles gehört hatte. Was waren „Unstimmigkeiten?“ Heinrich stellte seinen Wein ab und wartete, bis Ulrich ihn ansah. Dann fragte er: „Was ist passiert? Könnt Ihr mir bitte die Wahrheit sagen? Ich weiß, dass hier am Gut viel Übles passiert ist? Wie soll ich das denn wiedergutmachen, wenn ich gar nicht weiß, was genau los war?“
Ulrich zögerte immer noch, aber Heinrich