Goldmarie auf Wolke 7. Gabriella Engelmann
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Goldmarie auf Wolke 7 - Gabriella Engelmann страница 8
Ich verkniff mir ein Grinsen und setzte mich auf den flauschigen Fellteppich, während Finja mit wichtigem Gesichtsausdruck jedem von uns zwei Flaschen gab. »Wenn ich Los sage, dann müsst ihr so schnell wie möglich die Linsen und Erbsen aus der Schüssel nehmen und in die beiden Flaschen stecken«, erklärte sie. »Wer zuerst fertig ist, hat gewonnen und darf ab jetzt den Titel Cinderella Undercover tragen.«
»Wieso denn undercover? Was für ein Quatsch!«, stöhnte Elric und ließ sich augenrollend zu uns auf den Boden sinken. »Außerdem hab ich keine Lust, den Namen irgendeiner blöden Prinzessin zu tragen. Dann will ich lieber Prinz Eisenherz heißen oder Artus!«
»Aber die haben nun mal nix mit Linsen zu tun«, entgegnete Finja ungerührt und begann schon mal mit dem Sortieren.
»Du bist aber heute streng«, sagte ich amüsiert und freute mich, dass der Freitagabend eine so unerwartet schöne Wendung genommen hatte. Ich liebte es, mit Finchen zu spielen, und ich mochte Elric – egal, wie bockig er sich gerade benahm. Das hier gab mir das Gefühl von Geborgenheit und davon, Teil einer Großfamilie zu sein. Deshalb genoss ich jede Minute.
Den Brief an meinen Vater konnte ich immer noch am Sonntag schreiben.
9. Lykke Pechstein
(Freitag, 11. November 2011)
Dear Diary,
welch himmlische Ruhe, endlich!
Marie lässt mal wieder ihrem Helfer-Syndrom freien Lauf, ist babysitten bei Julias Schicki-Familie und Ma ist auf einem Konzert. Sie trifft dort ihren alten Chef und will versuchen, ihn um einen Job anzugraben. Ich persönlich glaube ja nicht, dass das klappt, denn momentan trägt sie einen Stempel mit Großbuchstaben auf der Stirn: BIN VERZWEIFELT – KANN MICH JEMAND RETTEN? Nun ja, ist jetzt nicht zu ändern. Außerdem hab ich genug mit mir selbst zu tun, da kann ich mich nicht auch noch darum kümmern, was den Rest der family so umtreibt. (Die interessiert es ja schließlich auch nicht, wie es mir geht.) Also lese ich lieber schöne Gedichte und träume vor mich hin. Von einem besseren Leben, von einem besseren Ort – von einer besseren Welt. Wilhelm Busch (der ja sonst eher böse, böse ist – ich erinnere nur an die toten Hühner bei Max & Moritz) schreibt in seinem Herbstgedicht so poetisch von einem WUNDERLÄNDCHEN.
Das klingt so traumhaft, so verheißungsvoll …
Ob es in diesem Wunderland auch einen Platz für mich gibt? Einen Ort, wo Menschen leben, die mich so akzeptieren, wie ich bin? Mit all meinen Schwächen und Macken. Wo jeder einfach so sein darf, wie er sich fühlt.
Und werde ich IHN dort treffen? Den einen, der für mich bestimmt ist, genauso wie ich für ihn? Der in mein Herz sieht wie kein anderer, und der meine Seele mit Blicken zu streicheln vermag? Einer, der mich beschützt und an meiner Seite ist, egal was passiert? Der weiß, was ich denke, bevor die Worte meine Lippen verlassen haben?
Der weiß, wie ich fühle, noch bevor ich es selbst spüre?
Einer, der mich festhält und nie, nie wieder loslässt …
10. Marie Goldt
(Montag, 14. und Dienstag, 15. November 2011)
Das arme Mädchen musste sich täglich auf die große Straße bei einem Brunnen setzen und so viel spinnen, dass ihm das Blut aus den Fingern sprang. Nun trug es sich zu, dass die Spule einmal ganz blutig war, da bückte es sich damit in den Brunnen und wollte sie abwaschen; sie sprang ihm aber aus der Hand und fiel hinab. Es weinte, lief zur Stiefmutter und erzählte ihr das Unglück. Sie schalt es aber so heftig und war so unbarmherzig, dass sie sprach: »Hast du die Spule hinunterfallen lassen, so hol sie auch wieder herauf.« Da ging das Mädchen zu dem Brunnen zurück und wusste nicht, was es anfangen sollte; und in seiner Herzensangst sprang es in den Brunnen hinein, um die Spule zu holen. Es verlor die Besinnung …
Ich erwachte mit dem Gefühl von nackter Panik.
Dieser Albtraum begleitete mich, seit ich begonnen hatte, bei der Drachenlady zu jobben. Mit vom Schlaf verklebten Augen tastete ich nach meinem Wecker und versuchte, durch tiefes Ein- und Ausatmen meinen rasenden Puls unter Kontrolle zu bekommen. Es war halb sechs, eigentlich zu früh, um aufzustehen. In der Wohnung war es noch mucksmäuschenstill, aber Duft von frischem Kaffee bahnte sich schon seinen aromatischen Weg durch die Ritze meiner Zimmertür. Irgendjemand war also ebenfalls wach. Leicht benommen tappte ich Richtung Badezimmer, um mich durch eine ausgiebige Dusche in Schwung zu bringen. »Guten Morgen, Marie. Du bist aber früh auf den Beinen«, begrüßte mich Kathrin aus der Küche. Sie war in den Bademantel gehüllt, den mein Vater ihr in dem Jahr zu Weihnachten geschenkt hatte, bevor er gestorben war. Ich murmelte »Hab was Blödes geträumt« und öffnete die von Kalkspuren bedeckte Duschkabinentür. An der Decke hatte sich ein Stück Tapete gelöst, vermutlich durch die hohe Luftfeuchtigkeit. Das Bad hatte dummerweise kein Fenster. Hier müsste dringend mal renoviert werden!, dachte ich und drehte seufzend den Hahn auf. Die Traumgeister hielten mich noch immer fest umklammert, da halfen weder Wasser noch nach Honig duftende Seife.
Als ich wie üblich zehn Minuten vor Arbeitsbeginn die Bäckerei betrat, war sonnenklar, dass Ludmilla mal wieder total miese Laune hatte. Sie war von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet und ähnelte heute noch mehr als sonst einer bösen Hexe aus dem Märchen. Mit Fingernägeln, die so lang waren, dass sie sich schon nach unten bogen (Bäh!), tippte sie auf dem Display ihres Handys herum und murmelte unverständliches Zeug. Ich versuchte, mich gegen das Unwohlsein zu wehren, das mich mehr und mehr befiel, je näher ich ihr kam. Kommentarlos hängte ich meinen Mantel an den Garderobenhaken, der daraufhin von der Wand fiel. Als ich ihn aufhob, sah ich, dass er gar nicht verdübelt oder festgeschraubt gewesen, sondern lediglich mithilfe von doppelseitigem Klebeband an den Fliesen befestigt war. »Was ist denn hier schon wieder los?«, zeterte Ludmilla, als sie sah, dass mein Mantel auf dem Boden lag und ich mit der Betrachtung des Hakens beschäftigt war. »Schwing deinen Hintern nach vorn an die Theke, wir haben Kundschaft! Kannst du denn nicht einmal das tun, wofür ich dich so fürstlich bezahle?« Ich schluckte schwer: Fürstliche Bezahlung – das war ja wohl die größte Untertreibung des Jahrhunderts! Doch es nützte nichts, im Verkaufsraum wartete eine alte Dame. »Ich hätte gern ein halbes Graubrot, in dünne Scheiben geschnitten, wenn das möglich ist«, bat sie mit brüchiger Stimme und zählte zittrig das Geld in ihrem Portemonnaie. »Aber natürlich ist es das, dafür sind wir ja schließlich da«, antwortete ich, nahm das Brot aus der Auslage und steckte es in die Schneidemaschine.
Und dann ging plötzlich alles ganz schnell. Ludmilla stellte sich hinter mich, telefonierte mit ihrem Vermieter, gestikulierte dabei wild herum und stieß mir den Ellenbogen in den Rücken. Meine Finger gerieten in die Maschine, mir wurde schwindelig und übel, alles war voller Blut, ich sah farbige, zuckende Blitze, gleißendes Licht und schließlich gar nichts mehr …
»Was ist denn mit dir passiert, Goldschatz?«, fragte Jorinde Machandel und blickte entsetzt auf meinen Verband, als ich am nächsten Tag in der Praxis ankam. »Ich bin mit einer Brotschneidemaschine kollidiert«, erklärte ich düster. Dass ich heute überhaupt hier sein konnte, verdankte ich ausschließlich der Tatsache, dass ich bis zur Halskrause mit Schmerzmitteln vollgepumpt war. Gut, dass »nur« die linke Hand betroffen war. »Herrjemine,