Wem gehört die Zukunft?. Jaron Lanier

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Wem gehört die Zukunft? - Jaron Lanier

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alles in die Tiefe. Oft war es so, dass die Armen ärmer und die Reichen noch reicher wurden. Marx verwandte einen Großteil seiner Energie darauf, diese Tendenz zu beobachten, doch um sie zu bemerken, muss man kein Experte sein.

      Versuche, sich gegen den Strom zu stemmen und die Finanzen völlig durch die Politik zu ersetzen, wie es die kommunistischen Staaten versucht haben, zeitigten meist noch grausamere Folgen als selbst die schlimmsten Fehlfunktionen des Kapitals. Damit bleibt die Bekämpfung der Armut in einer Welt, die von den Finanzmärkten beherrscht wird, ein Problem.

      Marx wollte etwas, was die meisten Menschen, mich eingeschlossen, nicht möchten: eine Kontrollinstanz, die dafür sorgt, dass alle das bekommen, was für sie am besten ist. Verwerfen wir also das marxistische Ideal und überlegen stattdessen, ob man sich darauf verlassen kann, dass Märkte von selbst eine Mittelschicht schaffen.

      Marx argumentierte, dass Finanzmärkte diktatorische Instrumente seien, dass marktwirtschaftliche Systeme stets in den alten Trott zurückfallen und zu einer Plutokratie degenerieren würden. Ein Keynesianer würde zugeben, dass es diesen Trott gibt, würde aber einwenden, dass man ihn durch entsprechende Interventionen vermeiden könne. Es gibt zwar auch anderslautende Theorien, doch bislang hat die Mittelschicht, wenn es um ihr Überleben ging, auf diese Interventionen vertraut.

      Großer Reichtum hat von Natur aus eine gewisse Beständigkeit über Generationen hinweg. Das Gleiche gilt auch für große Armut. Die Zugehörigkeit zur Mittelschicht allerdings hat sich bisher nicht als sonderlich stabil erwiesen. Um diesen Status zu wahren, benötigt man oft ein wenig Hilfe. Alle bekannten Beispiele für eine langfristig stabile Mittelschicht stützen sich auf keynesianische Interventionen und auf dauerhafte Mechanismen wie soziale Sicherungssysteme, um die Auswirkungen des Marktes zu mildern.

      Es ist jedoch möglich, dass digitale Netzwerke eines Tages eine bessere Alternative zu diesen Mechanismen und Interventionen bieten. Um das zu verstehen, müssen wir uns zunächst mit menschlichen Systemen an sich beschäftigen.

      Zwei Verteilungskurven

      Es gibt zwei bekannte Grafiken zur Darstellung gesellschaftlicher Mehrheitsverhältnisse. Die eine veranschaulicht das sogenannte »Starsystem« nach dem Prinzip »The winner takes it all«. Sie zeigt, dass es, wie zum Beispiel im Filmgeschäft oder im Sport, immer nur wenige »Stars« geben kann. Dadurch bildet sich eine Spitze, bestehend aus einer kleinen Anzahl von Topleuten, gefolgt von einem langen Ausläufer oder »Long Tail« mit all den anderen, die deutlich schlechter abschneiden. Wir haben also »Stars« und solche, die es gern wären, aber keine breite Mitte.

      Das Starsystem

      Die Verteilung der Ergebnisse bei den aktuellen, digital vernetzten, hypereffizienten Märkten verläuft meistens nach dem Starsystem. Das gilt beispielsweise für Startup-Unternehmen im Hightech-Bereich: Nur einige wenige haben Erfolg, wenn sie es allerdings schaffen, dann können sie ein enormes Vermögen machen. Das Prinzip gilt auch für normale User der Online-Welt: Nur extrem wenige schaffen es, tatsächlich Geld mit einer App fürs Smartphone oder mit einem Video zu verdienen, das sie bei YouTube hochgeladen haben. Die meisten träumen nur davon und scheitern.

      Die andere bekannte Grafik ist die »Glockenkurve« oder die »Normalverteilung«. Sie besagt, dass das Gros der Gesellschaft aus durchschnittlichen Menschen besteht, die einen »mittleren« Berg bilden mit zwei Ausläufern links und rechts mit den von der Norm abweichenden Menschen. Glockenkurven ergeben sich aus den meisten personenbezogenen Erhebungen, denn so funktioniert nun einmal Statistik. Das trifft sogar zu, wenn die Messung manipuliert ist oder auf subjektiven Kriterien basiert. So gibt es zum Beispiel keine eindeutige Definition von »Intelligenz«, dennoch machen wir Intelligenztests, deren Resultate dann tatsächlich eine Glockenkurve ergeben.

      Die Glockenkurve oder »Normalverteilung«

      In einer Volkswirtschaft mit einer starken Mittelschicht kann sich die Verteilung des Einkommens einer Glockenkurve annähern. Die Verteilung des Einkommens in der neuen digitalen Wirtschaft entspricht bislang aber – ähnlich wie einst im Feudalsystem oder zu Zeiten des Manchester-Kapitalismus – mehr dem »Starsystem«.

      Wie kommt es zu dieser Verteilung?

      Veränderungen beim Netzwerk-Design können die Ergebnisverteilung beeinflussen

      Ich werde weiter unten einen vorläufigen Vorschlag präsentieren, wie man Netzwerke so organisiert, dass sie organisch zu einer Einkommensverteilung führen, die mehr einer Glockenkurve als der »Starsystem«-Verteilung ähnelt. Noch durchschauen wir nicht alle Auswirkungen bestimmter Netzwerk-Designs, aber wir wissen doch bereits genug, um den Status quo verbessern zu können.

      »Starsystem«-Verteilungen entstehen, wenn man Menschen nach Spezialgebieten sortiert. Auch eine Normalverteilung bei einer Eigenschaft wie der Intelligenz führt zu einer »The winner takes it all«-Situation, wenn »Intelligenz« – wie auch immer sie einem einzelnen Test zufolge aussehen mag – das einzige Erfolgskriterium bei einem Wettbewerb ist.

      Ist denn gegen die Verteilung nach dem Starsystem überhaupt etwas einzuwenden? Fördert sie nicht einfach die Besten, zum Wohle aller? Tatsächlich gibt es viele Beispiele, bei denen in gewisser Weise alle von dieser Verteilung profitieren. Für die Wissenschaft ist es natürlich förderlich, wenn es besondere Auszeichnungen wie den Nobelpreis gibt. Eine deutlich größere Wirkung haben aber breiter angelegte Formen der Förderung wie akademische Festanstellungen und Forschungsstipendien.

      Leider tritt das Muster der Starsystem-Verteilung auch in anderen Bereichen unserer Gesellschaft immer häufiger auf. In den USA hat im Zeitalter der Netzwerke bekanntermaßen eine Schwächung der Mittelschicht stattgefunden, begleitet von einer massiven Ungleichverteilung beim Einkommen. Das muss nicht so sein. Wettbewerbe, bei denen es um alles oder nichts geht, sollten als besondere Auszeichnung gelten, als Tüpfelchen auf dem i. Sich ausschließlich auf sie zu stützen ist ein Fehler – nicht nur ein pragmatischer oder ethischer Fehler, sondern auch ein mathematischer.

      Das Starsystem ist nur eine andere Verpackung für eine Glockenkurve. Es präsentiert dieselben Informationen, verwendet aber ein anderes Design-Prinzip. Wenn es falsch oder zu häufig verwendet wird, verstärkt das Starsystem Fehler, wodurch das vermeintlich ermittelte Ergebnis an Bedeutung verliert.

      Verteilungen basieren auf Messungen, doch wie die Messung von »Intelligenz« gezeigt hat, ist die Art der Messung oft kompliziert und nicht frei von Willkürlichkeiten. Betrachten wir einmal den Aspekt des »Glücks«. Mit dem Aufkommen der neuen digitalen Wirtschaft um die Jahrtausendwende wuchs auch die Begeisterung für Casting-Shows und ähnliche Fernsehsendungen, bei denen ein Auserwählter plötzlich reich und berühmt wird. Bei diesen »The winner takes it all«-Wettbewerben sind die Zuschauer fasziniert von der Rolle, die das Glück spielt. Sicher, der Sieger oder die Siegerin in einem Gesangswettbewerb ist gut – in aller Regel so gut, dass er oder sie den Sieg verdient, doch schon eine kleine schicksalhafte Wendung kann alles so verändern, dass ein anderer Teilnehmer gewinnt. Eine andere Tönung beim Make-up kann da schon über Sieg und Niederlage entscheiden.

      Und doch besteht am Ende ein enormer Unterschied zwischen Sieger und Verlierern. Manche Kritiker haben vielleicht ästhetische oder ethische Bedenken gegenüber dem Starsystem, doch es gibt auch ein mathematisches Problem, weil unerwünschte Nebeneffekte verstärkt werden. Wenn sich also eine Gesellschaft zu sehr auf das Starsystem stützt, leidet unsere Wahrnehmung. Wir verlieren die Realität aus den Augen.

      Wenn

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