Wem gehört die Zukunft?. Jaron Lanier
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Frühe Hochkulturen in Mesopotamien und anderswo behielten mit Kerben in Hölzern und Tontafeln den Überblick über Handel und Schulden. Ein Schuldenverzeichnis erfordert eine höhere Komplexität als eine einfache Zählung von Schafen. Es muss eine Verbindung zwischen den bloßen Zahlen, den Personen und Absichten hergestellt werden, daher ist irgendeine Form der Markierung nötig.
Früher war es harte Arbeit, Aufzeichnungen in Holz zu kerben oder gar in Stein zu meißeln. Diese Mühe machte man sich natürlich nicht für jede beliebige Information. Die Speicherung von Informationen war speziellen Themen vorbehalten, etwa Gesetzen oder Geschichten über Könige und Götter. Auch Schulden waren von Interesse.
Geld war in der Frühzeit ein Speichermedium für Informationen, das vergangene Ereignisse festhielt. Aus Sicht vieler Forscher gab es daher in dieser Phase der Menschheitsgeschichte noch kein »Geld«, sondern nur eine ausgeklügelte Form der Abrechnung und Buchhaltung. Man könnte sagen, dieser Prototyp des Geldes war ausschließlich an der Vergangenheit orientiert.
Dieses vergangenheitsorientierte Geld, das der Abrechnung dient, ist konkret und damit auf natürliche Art leicht zu verstehen. Es ist einfacher, sich eine konkrete Anzahl Schafe vorzustellen, als etwas Abstraktes wie eine Statistik, die sich mit den Aussichten eines Derivatepakets beschäftigt.9
Moderne, an der Zukunft orientierte Konzepte von Geld ergeben nur Sinn in einer Welt der sprichwörtlich unbegrenzten Möglichkeiten. In der Frühgeschichte, als Geld und Zahlen als Einheit entstanden, hat offenbar niemand damit gerechnet, dass sich die Welt einmal auf ein so waghalsiges Projekt wie das ihrer unablässigen Verbesserung stürzen würde. Die frühen Kosmologien sind oft zyklisch angelegt, oder sie gehen davon aus, dass das ganze Unternehmen irgendwann gegen die Wand fahren wird, eine Art Harmagedon oder Ragnarök. Wenn alles, was man je wissen wird, bereits bekannt ist, dann müssen Informationssysteme nur die Vergangenheit und Gegenwart berücksichtigen.
Das Geld hat sich mit der Technologie verändert, die es repräsentiert. Sie sind wahrscheinlich froh, dass es das moderne Geld gibt, aber es hat einen Vorteil, den Sie vermutlich nicht ausreichend wertschätzen: Man muss nicht wissen, woher das Geld kommt.
Geld vergisst. Anders als die frühen Kerben auf Tontäfelchen hat das massenhaft produzierte Geld keine Erinnerung an die Geschichte seiner ursprünglichen Entstehung. Wenn wir die Geschichte jedes einzelnen Dollars kennen würden, wäre die Welt noch mehr von Kriegen zerrissen, als sie es ohnehin schon ist, weil der Mensch dem Stammesdenken noch mehr anhängt als der Gier. Geld ermöglicht Todfeinden die Zusammenarbeit. Wenn Geld von einer Hand in die andere geht, denken wir zumindest einen Moment lang nicht daran, wie es zu einem bestimmten Konflikt gekommen ist und wie wir uns rächen könnten.
Geld vergisst, aber »Gott« erinnert sich an alles. Gott10 weiß, wie Sie diesen Dollar verdient haben, und folgt einer anderen Buchführung – die sich an moralischen Aspekten orientiert und sich auf Erinnerungen stützt. Und wenn nicht Gott, dann eben das Karma oder der Weihnachtsmann.
Manche Konzepte des Göttlichen reichen offenbar ähnlich weit zurück wie die Entstehung des Geldes. Selbst heute kann man sich einige Aspekte des Göttlichen als Summe karmischer Erinnerungen vorstellen, die Münzen zu vergessen verdammt sind. Als moralische Instanz ist Gott praktisch das Gegenteil des Geldes.
Geld war die erste Anwendung der Datenverarbeitung. Im heutigen Zeitalter der Computer wird sich die Natur des Geldes erneut verändern. Leider ist durch die Kombination einer sich rücksichtslos verbessernden digitalen Technologie und fauler Ideale eine neue Ära entstanden, in der Geld manchmal nicht alles vergisst, was es vergessen sollte. Das ist keine gute Entwicklung.
In der vernetzten Welt von heute erinnert sich Geld, das auf manchen Computern gespeichert wird, nur zu genau. Das kann Probleme verursachen. Ein Problem ist die Korruption.
Lügner benötigen ein hervorragendes Gedächtnis. Eine doppelte Buchführung macht mehr Arbeit als eine einfache. Die Plage toxischer Wertpapiere und gigantischer Schneeballsysteme wäre ebenso wie die sinnlose Aufblähung des Finanzsektors ohne gigantische Rechnerleistungen nicht möglich gewesen, nur dank gigantischer Computer konnten alle Details gespeichert und sortiert werden, die man benötigt, um andere Leute übers Ohr zu hauen. Die ungeheuerlichsten modernen Lügner nutzen die Computer nicht nur, sie lassen sich auch von ihnen inspirieren.
Erst vor kurzem wurde Rechnerleistung so günstig, dass man sie dazu verwenden konnte, faule Wertpapiere zu verstecken. Die toxischen Finanzkonstrukte der Wirtschaftskrise waren so komplex, dass die Entwirrung des Geflechts der Entschlüsselung eines komplizierten kryptografischen Codes glich. Diese Finanzprodukte waren die Geschöpfe großer Rechnerkapazitäten.
Selbst der legale Handel kann betrügerische Züge annehmen. Es gibt den Spruch: »Wer mit Glücksspiel richtig Geld verdienen will, der sollte ein Kasino eröffnen.« Er ist veraltet. Die neue Version lautet: »Wer mit dem Netz richtig Geld verdienen will, dem sollte ein Metaserver gehören.« Wenn Ihnen die schnellsten Computer mit Zugang zu Informationen über jedermann gehören, müssen Sie das Geld nur suchen, schon wird es auftauchen.
Ein Eliteserver im Verborgenen, der sich an alles erinnert, was das Geld früher vergaß, und im Zentrum menschlichen Handelns platziert ist, ähnelt, wenn man es recht bedenkt, durchaus gewissen Vorstellungen von Gott.
Die Informationstechnologie des Optimismus
Die Wirtschaftswissenschaften sind eine noch relativ junge Disziplin und oft nicht in der Lage, sich auf grundlegende Lehrsätze zu einigen oder fragwürdige Theorien definitiv zu widerlegen. So befasst sich ein Großteil meines Buchs mit der Schaffung von Vermögen, doch es gibt immer noch keine Einigung darüber, woher Vermögen eigentlich kommt.[2]
Ich behaupte nicht, ein Wirtschaftswissenschaftler zu sein. Als Informatiker beschäftige ich mich jedoch mit der Frage, wie sich Informationssysteme entwickeln, und das könnte uns einen nützlichen Einblick in die Wirtschaftswissenschaften eröffnen. Jede Informationstechnologie, vom frühesten Geldkonzept bis zum neuesten Cloud-Computing, basiert im Grunde auf Entscheidungen darüber, was gespeichert und was vergessen werden soll. Geld ist einfach ein weiteres Informationssystem. Die grundlegenden Fragen zu Geld sind daher auch die, die man sich im Zusammenhang mit Informationssystemen stellt. Was wird gespeichert? Was wird vergessen?
Wenn die offiziellen Wissenschaften ins Schwimmen geraten, schießen populäre Theorien ins Kraut, die oft an Paranoia grenzen. So auch zum Thema Vermögen. Eine breitverteilte Entstehung von Vermögen lässt sich nur schwer von dem Begriff »Wachstum« trennen, aber »Wachstum« wird von linken Kräften manchmal als eine Art Krebsgeschwür dargestellt, das den Menschen und seine Welt befallen hat. Die politische Rechte wiederum reagiert allergisch auf den Begriff »Inflation«, die stets, allerdings oft auch nur in geringem Ausmaß, eintritt, wenn Reichtum auf breiter Ebene entsteht. Dazu kommt bei den Konservativen noch der ausgeprägte Hang zu Sparsamkeit. (Erstaunlich, wie viele Gemeinsamkeiten Gegner häufig haben.)
Die Schaffung von Vermögen bedeutet aus Sicht der Informatik einfach nur, abstrakte Informationen, die wir speichern, in Einklang zu bringen mit dem konkreten Nutzen, den wir haben könnten. Ohne diese Abstimmung werden wir nicht in den Genuss all dessen kommen, was potenziell möglich ist.
Seit einiger Zeit geht es bei dem, was das neue Geld in die Welt gebracht hat, hauptsächlich um die »Memorialisierung« von Verhaltensabsichten. Es handelt sich also mehr um eine Berechnung der Zukunft, wie wir sie planen, als der Gegenwart, wie wir sie bemessen. Moderne