Die reiche Zukunft hat ein Double. Christine Schick

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Die reiche Zukunft hat ein Double - Christine Schick

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      „Genau diese Situation hatten die maschinellen Helfer zu beurteilen, die Sie unbrauchbar gemacht haben. Der Wert liegt bei rund 60.000 Mittelwesteuro. Und es geht nicht nur um das Geld an sich, auch die Drohnen fehlen nun für potenzielle Einsätze. Das haben Sie zu verantworten“, sagte der Richter und sah ihn eindringlich an. „Sind Sie noch nie auf die Idee gekommen, dass die von vielen Experten entwickelten Programme die richtigen Entscheidungen treffen? Wie kommen Sie darauf, dass Sie die Situation als Nichtmediziner besser beurteilen können?“

      „Jeder weiß, dass hinter diesen Programmen auch ökonomische Überlegungen stehen“, sagte Malik vorsichtig. „Was hätten Sie denn an meiner Stelle getan? Hätten Sie wirklich den zweiten Anfall, den dritten abgewartet?“, fragte er.

      „Sie plädieren also auf Notwehr“, sagte Clemens Elderstedt, ohne auf Maliks direkte Ansprache einzugehen. Er tippte mit dem Stift auf seinen 3-D-Wachsglasbildschirm. „Ich muss mich allerdings auch fragen, ob es Ihnen möglicherweise nicht nur um den Jungen, sondern auch um die Lust am Zerstören ging.“

      „Nein, das ist Unsinn“, meinte Malik mit fester Stimme. „Ich stand unter Zeitdruck, ich wollte schnelle Hilfe, ohne mit einem Drohnenprogramm in einer Endlosschleife festzuhängen. Also musste ich mich zwischen Dragusch und den Maschinen entscheiden. Sie wissen, wie das Ergebnis ausgefallen ist. Wenn Sie mich jetzt mit einer Haftstrafe abschießen, kann ich nicht mehr arbeiten, nicht bei meiner Familie, nicht mehr freiberuflich“, sagte er und hielt dem Blick des Richters stand.

      „Dann haben Sie den Ernst der Lage ja verstanden“, sagte der und schüttelte den Kopf. „Vor dem Hintergrund Ihrer Familiengeschichte verstehe ich Ihr Misstrauen und Ihre Skepsis. Trotzdem ist es mir wichtig, dass Sie einen Perspektivwechsel vollziehen. Hinter Firmen, die Drohnen und die dazugehörige Software herstellen und betreiben, stehen Menschen und keine Monster.“

      Das ist ja das Problem, schoss es Malik durch den Kopf. Aber er wusste, dass es nicht klug war, Clemens Elderstedt das auf die Nase zu binden. Er kapierte auch nicht recht, worauf der hinauswollte. Deshalb deutete er ein Nicken an.

      „Dann sehe ich eine Möglichkeit darin, die Haftstrafe in Sozialstunden umzuwandeln. Die sollen Sie bei einer Firma ableisten und zwar genau bei dem Unternehmen, das die Drohnen herstellt und sie dem Gesundheitssystem kontinuierlich spendet“, sagte der Richter.

      „Was?“ Malik war völlig irritiert. „Bei Kronberg?“

      „Ganz genau, ich möchte, dass Sie die Perspektive derer kennenlernen, die tagtäglich für unsere Gesellschaft arbeiten und Verantwortung übernehmen“, sagte Clemens Elderstedt.

      „Au ja!“ Malik hatte das Gefühl, dass seine Stimme eine Oktave nach oben verlegt worden war. Sein ironischer Ausrutscher tat ihm schon leid, als er sich selbst noch sprechen hörte. Scheiße, scheiße, scheiße! Du bist ein Idiot, dachte er und suchte fieberhaft nach einer Verharmlosungsstrategie.

      Der Richter sah ihn mit einem mitleidigen Lächeln an, schüttelte den Kopf und wurde wieder ernst. „Sie müssen Ihre Arroganz und Destruktivität in den Griff bekommen.“

      Malik rauschten Bilder und Halbsätze durch den Kopf. Seine Arroganz und Destruktivität? Was hätte Clemens Elderstedt gemacht, wenn Dragusch Winter zuckend vor ihm zusammengebrochen wäre? Liegen lassen? Lasst sie doch einfach alle liegen, wo sie hinfallen. Was war das für ein Land, in dem sich immer nur alles um Anpassung, Leistung und Funktionieren drehte? Wieso hatte die Generation, welcher der Richter angehörte, nie eine Maschinensteuer eingeführt? So könnten sie heute wenigstens die Sozialleistungen bezahlen, die für junge, alte und nicht hoch qualifizierte Menschen wichtig wären. Aber nein, man machte alle zu Prostituierten, die sich Firmen wie Kronberg anzudienen hatten. Unternehmen steuerten heutzutage nicht ihren Anteil zur Gesellschaft bei, nein, sie spendeten. Ganz zufällig waren diese Spenden Geräte, die sie selbst herstellten. Drohnen, die dich nie zu einer medizinischen Behandlung vordringen ließen. Kronberg war auch dafür verantwortlich gewesen, die Leistungskürzungen gegenüber seinem Vater durchzusetzen. Kostenoptimierung bis zur Windel. Als Urheber der Verwaltungssoftware, die damals bei den Krankenkassen eingesetzt wurde und seinem Vater nur die allerbilligsten Einlagen genehmigt hatte. Die Kriterien: Bewegungsfähigkeit und Wahrnehmungsmöglichkeiten unterhalb der Gürtellinie. Wie sich sein Vater beim ständigen Umziehen fühlte, weil sie nicht passten und ihren Zweck nicht erfüllten, spielte keine Rolle.

      „Ich weiß, was Sie jetzt denken. Aber Sie werden nicht im Ansatz mit technischen Dingen zu tun haben, sondern in der Kantine arbeiten“, riss ihn der Richter aus seinen Gedanken.

      Das war seine Chance, Himmel. Bitte, vermassel das jetzt nicht wieder, betete er ein bisschen zu sich selbst und legte eine irritierte Miene auf. „In der Kantine?“, fragte er.

      „Ganz genau. Den Beiköchen assistieren, Essen ausgeben, Extrawünsche der Mitarbeiter vom Karottensüppchen bis zur sternförmig geschnittenen Kiwi erfüllen.“

      Malik konnte es kaum glauben, was ihm Clemens Elderstedt da auf dem Silbertablett servierte. Selber schuld, wenn er sich als genug qualifiziert einstufte und keinen Technikbeirat für notwendig erachtete. Wer war hier eigentlich arrogant?

      „Aber ich habe keine Ahnung von solchen Sachen und …“ Malik fuhr sich durchs Haar. Er wollte so wirken, als beschäftigte ihn das, was sich dort in der Küche oder beim Bedienen abspielen sollte, durfte, konnte.

      „Sie sind nicht der Erste und der Einzige, der bei dieser Firma Sozialstunden ableistet. Sie werden entsprechend eingewiesen und angeleitet. Tut Ihnen vielleicht auch mal gut, etwas ganz und gar Praktisches zu machen“, sagte Elderstedt. Unglaublich. Wenn der Richter unbedingt wollte, dass er sich die Taschen voll Passwörter stopfte, Zugänge erkundete und das Unternehmen studierte, würde er sich fügen. Er hatte schließlich keine Wahl. Elderstedt saß am längeren Hebel. Malik wollte den Richter noch weiter auf Nebengleise führen. Sicher war sicher.

      „Herr Elderstedt, ich finde es klasse, dass Sie mir Sozialstunden anbieten. Aber ich muss zugeben, dass ich ein bisschen unsicher bei Gesprächen und Kontakten bin. Vielleicht wäre es besser, wenn ich nur irgendwo etwas sortiere, aufräume …“, sagte er.

      Der Richter schüttelte den Kopf. „Genau das ist meine Bedingung. Dass Sie mitmachen, sich integrieren, wie gesagt, ich will einen Perspektivenwechsel.“

      Malik deutete ein Nicken an, was so viel heißen sollte wie es fällt mir schwer, aber ich lasse mich darauf ein.

      Abgeschoben an die Kantinenfront, in Konversation verstrickt. Vielleicht war noch ein klitzekleines bisschen Zeit, sich ins Bestellsystem zu vertiefen.

      Wer lieferte denn das leckere Essen an die Kronberg-Mannschaft? Da ließ sich sicher auch in den generellen Betriebsdatenbankbahnhof umsteigen und etwas über die weiteren Partnerschaften und Netzwerke herausfinden.

      Welche Abschottungstaktiken griffen wo, wie kommunizierten die Mitarbeiter untereinander? Welche Schlupflöcher hatten Einzelne vielleicht nicht im Blick? Und wer in der Führungsriege arbeitete gerade an welchem Projekt zum Nachteil der restlichen Bevölkerung? Das würde auch seine Freundin Charlie brennend interessieren.

      Es stand ein opulentes Mahl für ihn bereit. Malik war sicher, dass er die Zeit bei Kronberg für sich nutzen konnte. Gut nutzen konnte. Er würde den Mitarbeitern ihre Rouladen servieren und konnte sich in Ruhe in ihrer Welt umschauen. Nur erwischen lassen durfte er sich nicht. „In Ordnung. Wann fange ich dort an?“, fragte Malik.

      „Wenn sich irgendetwas ereignet, Klagen zu uns vordringen, wandern Sie in wenigen Stunden hinter Gitter. Die Zeit wird dann auch nicht angerechnet. Ist das klar?“

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