Täterland. Binga Hydman

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Täterland - Binga Hydman

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Du ihm nicht zeigst, dass es Dir leid tut, wird diese Sache ewig zwischen Euch stehen.“ Jedes ihrer Worte trafen Martin wie ein Peitschenschlag. Nun war also auch seine Mutter gegen ihn, ging es ihm durch den Kopf.

      „Er sitzt auf seinem hohen Ross und hält sich für den Inbegriff der Menschlichkeit. Wir leben in einem neuen Zeitalter, Mutter. In Deutschland weht ein neuer Wind. Juden und Asoziale haben in unserer Volksgemeinschaft nichts mehr verloren.“ Martin blickte seine Mutter jetzt an, die seinem Blick standhielt. „Wer die Juden bedauert oder ihnen sogar hilft, wird Schwierigkeiten bekommen“. Dann erhob er sich und stellte sein Glas auf den kleinen Tisch zurück. „Du vergisst offenbar, dass Du von einer Jüdin erzogen worden bist.“ Helene hatte sich nun ebenfalls von ihrem Stuhl erhoben. Der eben noch sanfte mütterliche Gesichtsausdruck war dem einer strengen Ernsthaftigkeit gewichen. „Ich sage es Dir jetzt ein einziges Mal und dann nie wieder. Dieser ganze antisemitische Hass, der irrwitzige Rassenwahn und der Germanenkult dieser Leute, wird Deutschland über kurz oder lang in einen Krieg stürzen, den wir verlieren werden. Dein Vater hat das bereits vor langer Zeit erkannt. Die Familie von Amsfeld war immer schon sehr liberal und weltoffen. Die christlichen Werte sind uns heilig. Diese neue Religion in ihren schwarzen Uniformen predigt Tod, Hass und Gewalt. Weißt Du worunter Dein Vater am meisten leidet?“ Sie trat an Martin heran und ihr süßer Duft stieg ihm in die Nase. „Er hat versucht Dir etwas seiner Werte zu vermitteln. Du jedoch…“, ihre Stimme war jetzt von einer unendlichen Traurigkeit erfüllt. „… willst stets beweisen, dass er sich irrt. Es tut mir leid mein Sohn, aber Du hast wirklich rein gar nichts begriffen.“ Nach den letzten Worten drehte sie sich um und ging davon. Der Bussard hatte sich wieder in die Luft erhoben und schwebte majestätisch über den See hinweg. Martin stand noch eine ganze Weile so da und blickte gedankenverloren in die hereinbrechende Nacht. Dann ging auch er ins Haus zurück. Er wusste jetzt, was er zu tun hatte.

      „Der Dosenfraß ist wirklich widerlich.“ Im Halbdunkel des Gewölbes erhob sich eine in Wolldecken gehüllte Gestalt von einer der schmalen Pritschen und reckte sich. Seit einer guten Woche hatten die vier Menschen, die sich diesen feuchten und kalten Unterschlupf unterhalb einer Kirche teilten, kein Tageslicht mehr gesehen. Jeden Abend erschien Paul Gerhard von Amsfeld, um frisches Wasser und einige Lebensmittel vorbeizubringen. „Wie lange werden wir noch hier unten herumsitzen müssen?“, fragte Irmgard Neitzel in das Halbdunkel hinein. Willy Riesler, der seit Stunden rastlos um den klapprigen Esstisch herumwanderte, lächelte den Schatten an, von dem er vermutete, dass er der hübschen Frau gehörte. „Unser Gastgeber hat gestern eine Nachricht von Empbusch erhalten. Wir sollen in zwei Tagen in die Tschechei gebracht werden.“ Am anderen Ende der Gruft räusperte sich Hermann Schöneberg. „Es ist wahrlich kein Vergnügen in diesen feuchten Mauern zu hausen. Dennoch ziehe ich Ihre Gesellschaft einer Verhaftung durch die Gestapo jederzeit vor.“ „Da sagen Sie ein paar wirklich wahre Worte Herr Schöneberg!“, seufzte der Hüne Wilhelm Schnepphorst und kratze sich dabei genüsslich am Hinterkopf.

      Die vier Schicksalsgenossen hatten nach einiger Zeit in dem fensterlosen Keller jedes Zeitgefühl verloren. „Ich vermisse die Sonne.“ Irmgard Neitzel trat an das Bücherregal heran und zog eines der Bücher heraus. „Die Buddenbrooks, von Thomas Mann“ las sie halblaut und wie zu sich selbst. „Das ist eine echter Klassiker Fräulein Neitzel. Lesen sie es unbedingt, denn in Deutschland haben die Nazis Thomas Mann und seine Bücher verboten“, sagte Hermann Schöneberg an die junge Frau gewandt. Plötzlich vernahmen die vier ein Geräusch. Jedes Gespräch erstarb und eine fast spürbare Stille erfüllte die unterirdische Totenkammer. Da war es wieder. Es war ein leises Kratzen, das sich alle paar Sekunden zu wiederholen schien. Vorsichtig trat Wilhelm Schnepphorst an die dicke Eichentür heran und legte sein Ohr auf das alte Holz. Die Anwesenden hielten den Atem an. Dann veränderte sich das Kratzen zu einem leisen Klopfen. Der Hüne an der Tür zog erschrocken das Ohr von der Tür. „Da ist jemand“, flüsterte er in die Dunkelheit hinein. Niemand sprach ein Wort. Irmgard Neitzel hatte die Knie angezogen und den Kopf in den Schoß gedrückt. Plötzlich bewegte sich der schwere schmiedeeiserne Türgriff. Da versuchte jemand die Tür zu öffnen. Schnepphorst überprüfte, ob sich der Schlüssel in dem Schloss befand. Er steckte, also war die Tür definitiv abgeschlossen.

      Aber würde, wer auch immer dort draußen war, sich damit zufriedengeben? Dann Stille. Nur der flache regelmäßige Atem der vier Schicksalsgenossen unterbrach die angespannte Ruhe. „Was tust Du da?“ Jetzt war die Stimme von Paul Gerhard von Amsfeld zu hören. „Ich habe gesehen, dass Du den Eingang der Gruft vom Efeu befreit hast und wolle einen Blick hinein werfen“, sagte eine unbekannte Stimme, die aber deutlich jünger klang, als die tiefe Baritonstimme des alten Gutsherrn. „Du kannst da nicht hinein gehen mein Sohn, der ganze Raum steht unter Wasser.“ Es folgte eine kurze Pause und Schnepphorst, der immer noch an der Tür horchte, bemerkte, dass die Türklinke sich wieder in ihre Ausgangsposition zurückbewegte. „Ich wundere mich nur darüber, dass Du Dir die Mühe gemacht hast das ganze Grünzeug wegzuschneiden, um dieses dunkle Loch zu beäugen. Da war doch seit Jahren niemand mehr drin.“ Offenbar standen die beiden Männer jetzt genau vor der Tür, denn die Stimme des Gutsherrn war jetzt klar und laut zu verstehen. „Ich habe mich daran erinnert, dass dort unten ein paar alte Weinkisten aus Holz liegen müssten. Die Kinder unserer Arbeiter wollten sich ein paar Seifenkisten bauen und einer der Männer hat mich gefragt, ob ich nicht ein paar brauchbare Holzreste für sie hätte.“

      „Wir sollten in den nächsten Tagen das Wasser abpumpen, sonst zieht die Feuchtigkeit durch das Gemäuer noch in die Wände der Kapelle“, sagte die junge Stimme. Paul Gerhard von Amsfeld murmelte daraufhin etwas Unverständliches, aber er musste irgendetwas gesagt haben, das den anderen das Interesse an der Gruft verlieren ließ. Dann hörten sie Schritte, die sich entfernten. Willy Riesler war der Erste, der es wagte, wieder zu sprechen. „Es war sein Sohn“, stellte er fest. „Ja, den Eindruck hatte ich auch“, erwiderte Irmgard Neitzel leise. „Daran können Sie ermessen in was für Zeiten wir leben“, hörten sie den jüdischen Anwalt traurig sagen. “Der Vater muss den eigenen Sohn belügen, um ein paar unschuldige Menschen vor der Verhaftung durch die Gestapo zu schützen.“

      *****

      5. Kapitel

      Der Weg nach Dachau

      Der Sommer des Jahres 1937 neigte sich dem Ende entgegen. Martin befand sich seit ein paar Wochen an der Unterführerschule der SS in Lauenburg und wurde dort zum Scharführer ausgebildet. Der Lehrgang war kein Zuckerschlecken. In unzähligen Unterrichtsstunden wurde das Wissen der Lehrgangsteilnehmer in allgemeiner Waffenkunde, der operativen Gefechtsführung und der richtigen nationalsozialistischen Weltanschauung vertieft. Schon bald entsprachen die Männer den Ansprüchen des Reichsführers SS, Heinrich Himmler. Diese jungen SS-Unterführer stellten keine Fragen, sondern führten Befehle aus. Genau diese Art von Treue und Kadavergehorsam wünschte sich die SS-Führung, und sie sollte nicht enttäuscht werden. Als Martin im Herbst des gleichen Jahres seine Versetzungspapiere zur SS-Leibstandarte Adolf Hitler erhielt, war er zu einem ideologisch auf Linie gedrillten SS-Mann herangereift. Die Leibstandarte war kurz nach der Machtergreifung im Jahr 1933 aufgestellt worden und bestand zu diesem Zeitpunkt zum allergrößten Teil aus ehemaligen SA-Männern. In den beiden darauffolgenden Jahren wuchs die Truppe auf eine Stärke von 2600 Mann an. Die Leibstandarte, sowie deren Stab, wurde in der ehemaligen Kadettenanstalt des Heeres in Berlin-Lichterfelde einquartiert. Martin traf am frühen Abend in Berlin ein und machte sich auf den Weg in seine Unterkunft. Als man ihm zum Abschluss des Unterführer-Lehrgangs zum Scharführer befördert hatte, ließ man ihn wissen, dass er in die Leibstandarte versetzt werden würde. Der junge Feldwebel freute sich über diese vermeintliche Ehre und konnte sein Glück kaum fassen. „Sie werden es innerhalb der SS noch weit bringen!“, meinte einer seiner Ausbilder und gab ihm zum Abschied die Hand. Der Mann konnte nicht ahnen, wie richtig er mit dieser Einschätzung liegen sollte.

      „Scharführer von Amsfeld meldet sich wie befohlen.“ Die Handflächen hatte er an die Hosennähte gepresst und die Habachtstellung eingenommen. „Heil Hitler Scharführer.“ Hinter dem Schreibtisch vor ihm saß ein Obersturmführer, der einen Becher Kaffee in der Hand

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