Hexenkolk - Wiege des Fluchs. Thomas H. Huber

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Hexenkolk - Wiege des Fluchs - Thomas H. Huber

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nachdem er seine erste feste Anstellung hatte, zog er von Zuhause aus und mietete sich eine kleine Wohnung in Brooklyn. Nicht gerade die beste Lage, aber hier aus hatte er es nicht weit zur Arbeit, und es war ein Ort, an dem er ein beschauliches, und vor allem, anonymes Leben führen konnte, denn er trug ein Geheimnis mit sich herum, von dem niemand jemals etwas erfahren sollte. Nicht einmal seine Eltern wussten davon, und schon gar nicht seine früheren Freunde. Charly war nämlich schwul und dafür schämte er sich. Wenn seine Clique davon Wind bekommen hätte, wären sie über ihn hergefallen und hätten ihn vermutlich zu Tode geprügelt. Schließlich musste er das selbst oft genug mit ansehen. „Taco-Schwuchtel oder Latino-Schwuchtel“ nannten sie Seinesgleichen, und dann quälten sie die armen Schweine, traten auf sie ein, bis sie nur noch ein blutendes Häufchen Elend waren. Einige davon haben diese Tortur auch nicht überlebt. Deshalb verließ er seinen Heimatort und war dankbar dafür, so gute Nachbarn wie Conor zu haben.

      Auch seine Kollegen waren zweifelsfrei nett, und ein paar von ihnen waren ebenfalls schwul, doch geoutet hätte er sich trotzdem nie.

      Seine Angst, wegen seiner Homosexualität ausgeschlossen zu werden war größer, als sein Wunsch nach einer Partnerschaft und einem freien, selbstbestimmten Leben. Deshalb blieb er lieber allein, und im Grunde genommen existierte er nur für seine Arbeit. Wenn da nicht hin und wieder die Einladungen von Conor gekommen wären, hätte er nur selten Gelegenheit für private Gespräche gehabt. Doch glücklicherweise gab es diesen netten, charmanten Nachbarn. Bei ihm fühlte er sich sicher und geborgen, obwohl er nicht einmal ihm sein dunkles Geheimnis anvertraut hatte.

      Doch er würde dies in Kürze nachholen, sagte er sich jedes Mal, wenn er Conors Wohnung wieder verließ, mit einem klitzekleinen Gefühl der Hoffnung in der Magengrube, dass er und Conor ein Paar würden.

      NEW YORK, THERAPEUTISCHE PRAXIS

      DR. WILLIAM SUTHERFORD, 2019

      „Es ist immer der gleiche Traum“, begann Vanessa ihre Erzählung, während ihr Therapeut, William Sutherford, aufmerksam zuhörte und sich hin und wieder Notizen machte. „Da ist eine Frau in meinem Alter. Ihr Haar ist fast schwarz, schulterlang und sie ist wunderschön. Sie trägt ein hellgraues, wallendes Kleid mit langen Ärmeln und Fingerschlaufen“. Als sie bemerkte, dass ihr Therapeut bei dieser Beschreibung ahnungslos die Stirn in Falten legte, fügte sie unaufgefordert hinzu: „Das ist eine Fingerschlaufe“, sie streckte ihm eine Hand entgegen und deutete auf eine mit Spitzen besetzte Stoffapplikation am Ärmel ihrer roten Bluse. „Sehen Sie, die Schlaufe umschließt den Mittelfinger. Trägt sich super und ist sexy, finden Sie das nicht auch?“ Natürlich ging Sutherford nicht darauf ein und erwiderte gewohnt sachlich: „Danke für diesen Ausflug in die Haute Couture. Wollen Sie jetzt vielleicht mit Ihrer Erzählung fortfahren?“ Vanessa räusperte sich verlegen: „Äh, na klar, sorry. Also, ja, diese Frau besucht mich jede verdammte Nacht. Bevor sie mir erscheint, bildet sich um mich herum ein dichter, weißer Nebel. Aber nicht ich befinde mich im Nebel, sondern ich stehe quasi auf einer kreisrunden Lichtung, die von einer Nebelwand eingegrenzt ist. Dann schreitet die Frau durch die Wand und kommt zu mir auf die Lichtung. Sie ist sehr schön und ich fühle mich auf eine ganz besondere Weise zu ihr hingezogen. Es ist nichts Sexuelles…“, sie machte eine Pause und suchte nach den passenden Worten, bevor sie Sekunden später weitersprach: „Da ist eine unglaubliche Vertrautheit, für die ich keine Erklärung habe. Ich kenne sie schließlich nicht, auch, wenn wir uns auf eine gewisse Weise sogar ähneln. Und obwohl ich mittlerweile jeden ihrer Sätze auswendig kenne, bringt sie mich jedes Mal erneut aus der Fassung. Sie sagt, dass ich mich für sie rächen muss“. „Würden Sie mir bitte Wort für Wort erzählen, was genau sie Ihnen sagt, damit ich mir ein besseres Bild machen kann?“ unterbrach Sutherford seine Klientin. „Nun, äh, sicher, kann ich machen. Sind Sie bereit?“ Als Sutherford zustimmend nickte, schloss Vanessa die Augen, so als wollte sie sich willentlich in den Traumzustand versetzen, um ja kein Detail auszulassen. „Sie nennt mich bei meinem Namen: „Vanessa, du bist das Gefäß meiner Rache und mit mir bis in alle Ewigkeit verbunden. Deine Seele ist meine Seele und sie schreit nach Vergeltung. Wir müssen rächen, was man mir und meinem ungeborenen Kind angetan hat. Du musst den Mann töten, der das Blut meines Henkers in sich trägt. Und dies muss am 21. August 2019 geschehen“. Vanessa öffnete die Augen und sah blinzelnd zu ihrem Therapeuten, der offenbar alles mitschrieb, was seine Patientin ihm gerade anvertraute. „Hm“, brummte er, „das kommt mir bekannt vor“. „Soll das heißen, Sie kennen jemand mit demselben Traum?“ Er lächelte und antwortete: „Nein, die Träume sind anders, aber in ihrer Essenz stimmen sie miteinander überein. Ich will Sie auch nicht zu sehr verwirren“. Er überlegte kurz, bevor er weitersprach: „Sagen Sie, Vanessa, wurden Sie schon einmal von einem Mann körperlich verletzt? Vielleicht sogar vergewaltigt?“ Sie schluckte und dachte an den Moment in ihrem Leben, den sie lieber für immer vergessen hätte. Dann sagte sie: „Sie wollen wissen, ob ich diesen Mann so sehr hasse, dass ich ihn töten würde? Und der Traum soll dann wohl meinem rachsüchtigen Unterbewusstsein entspringen, stimmt´s?“ „Ja, so in etwa meine ich das“. Vanessa nickte und ein paar Tränen liefen ihr über die Wange. Sutherford gönnte ihr eine kleine Pause, bevor er mit seiner Befragung fortfuhr: „Wann genau trat der Traum zum ersten Mal auf?“ Sie zögerte kurz, doch dann erzählte sie ihm die ganze Wahrheit: „Der Traum kam zunächst zeitgleich mit meiner ersten Periode. Ich war damals zwölf Jahre alt. Dann hörte es plötzlich auf. Ich dachte schon, der Traum wäre für immer verschwunden, aber dann kam er wieder“. „Wann kam er wieder?“ Sie sah ihn jetzt mit großen Augen an. Ganz offenbar fühlte sie sich ertappt, und war gleichermaßen erstaunt, dass er ihr Geheimnis durchschaut hatte. Zögerlich beantwortete sie seine Frage: „Nachdem ich vergewaltigt wurde. Da war ich sechzehn Jahre alt“. Wieder kräuselte der Therapeut die Stirn. „Stimmt was nicht, Doc?“ „Doch, doch, ich versuche mich gerade an einen anderen Fall zu erinnern“, erwiderte er, ohne seine Patientin in die Wahrheit seiner Vermutung einzuweihen. „Ich denke, wir sprechen beim nächsten Termin nochmal darüber“, sagte er und klopfte dabei gestenreich mit dem Zeigefinger auf seine Armbanduhr. Vanessa verstand natürlich sofort, dass er die heutige Sitzung damit für beendet erklärte und stand auf. „Gut, dann bis nächste Woche, Doc“, sagte sie und ergriff seine riesige Hand, die er ihr lächelnd entgegenstreckte. Als sie sein Arbeitszimmer verließ, saßen sechs weitere Patientinnen im Wartezimmer und ihr wurde in diesem Moment bewusst, dass Sutherford offenbar wirklich einer der angesagtesten Psychotherapeuten auf Long Island war, wenn nicht sogar der angesagteste.

      William Sutherford war nicht nur rein optisch eine sehr eindrucksvolle Persönlichkeit, sondern er hatte auch die Gabe, selbst den schwierigsten Patienten neue Perspektiven aufzuzeigen. Auch wenn keiner genau wusste woher er kam, und an welcher Universität er sich seine hervorragenden therapeutischen Kenntnisse angeeignet hatte, vertrauten sie sich ihm an.

      Lag es vielleicht an seiner außergewöhnlichen Statur, die seinen Patienten Respekt einflößte, und er sie dadurch folgsam machte? Immerhin war er ein Hüne von 219 cm Länge, die er, wie er immer wieder scherzhaft sagte, seinen göttlichen Eltern mit einem gewissen Hang zur Mathematik und Spiritualität zu verdanken hatte. „Wissen Sie, meine Schöpfer glaubten an die Zahl Zwölf“. Da ihn seine Patienten daraufhin meist stirnrunzelnd ansahen, fügte er schelmisch hinzu: „Nun, die Quersumme von 219 ist 12. Und die 12 ist eine magische Zahl“. Wenn seine Zuhörer nach dieser Erklärung keine weiteren Fragen stellten, beließ er es dabei. Wer jedoch wissbegieriger war und ihn um eine nähere Erläuterung bat, den weihte er in sein Wissen ein: „Ich glaube, Sie sollten noch etwas mehr über die Zahl 12 erfahren“, bemerkte er dann gedankenversunken, bevor er fortfuhr: „Nun, die 12 ist schon seit jeher im Gedächtnis der Menschen verankert, ob das dem einzelnen bewusst ist oder nicht. Die 12 bestimmt auf gewisse Weise den allgemeinen Lebensrhythmus auf der Erde, aber auch das spirituelle Gedankengut ihrer Bewohner. Angefangen bei den 12 Stunden, welche die Länge eines Tages bestimmen. Das Jahr, das aus 12 Monaten besteht, die 12 Tierkreiszeichen, welche für astrologische Voraussagen und zur Deutung des persönlichen Schicksals herangezogen

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