Deutschland schafft mich. Michel Abdollahi

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Deutschland schafft mich - Michel Abdollahi

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auch danach, was sie denn wählten. Bei der Fülle an rassistischen Ressentiments gegenüber Migranten konnten sie alle ja nur NPD oder AfD wählen, dachte ich. Aber weit gefehlt. Von der Linken über SPD bis zur CDU wurden alle Parteien genannt. Die Gemeinsamkeit dieser Menschen war damals nicht die Parteizugehörigkeit, es war die Ablehnung von Migranten. Heute ist die gemeinsame Parteizugehörigkeit hinzugekommen, diese Menschen haben in der AfD eine politische Heimat gefunden.

      ***

      Es war im Herbst 2019, als Hiobsbotschaften von den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen salvenartig durch Presse und soziale Medien schossen. Angst und Schrecken: Würde die AfD über 20 % der Stimmen holen? Stärkste Kraft werden? Zweitstärkste Kraft? Was würde dann passieren? Dabei wird oft vergessen, dass die AfD bereits 2016 zweimal deutlich zweitstärkste Kraft wurde: in Mecklenburg-Vorpommern mit 20,8 % und in Sachsen-Anhalt mit 24,3 %. So neu ist die Entwicklung also nicht, von der alle Parteien so überrascht scheinen. Sie haben es auch drei Jahre nach diesen beiden Wahlen versäumt, irgendein Gegenmittel zu finden. Sie haben es nicht vermocht, diese Menschen, die ich damals auf der Straße befragte und die sich damals noch querbeet durch das demokratische Parteienspektrum wählten, wieder einzufangen. Vielleicht, weil sie nicht einzufangen waren, aber eher doch, weil man dachte, es würde schon irgendwie gutgehen. Meine Sorge ist, was passiert, wenn das auch weiterhin versäumt wird, von Wahl zu Wahl, bis keine stabilen demokratischen Mehrheiten mehr möglich sind, wie jetzt schon in Thüringen, und sich die Wahlabend-Floskel »Es haben zwar zehn Prozent radikal rechts gewählt, aber die anderen 90 % haben sich ja für die Demokratie ausgesprochen! Konfetti!«3 überholt hat. 2019 sind wir in Sachsen nämlich nur noch bei 72,5 %.

      Der Tenor der Straße hat sich nicht geändert, seit ich in Jamel war: Sei leise und unauffällig, dann wirst du geduldet. Begehrst du auf, möchtest du vielleicht sogar plötzlich Bundeskanzler werden, dann ist es Zeit, in die »Heimat« zurückzukehren. Je nach Horizont muss es auch gar kein hohes politisches Amt sein, es reicht oft schon der eigene Vorgesetzte. In der Debatte um einen möglichen Bundespräsidenten mit Migrationshintergrund haben wir erkennen können, wie weit selbst unter den Gebildeten der Mitte die Gleichheit zwischen Biodeutschen und Migranten angezweifelt wird, wenn es nach ganz oben gehen soll. Irgendwann wird irgendwo dann doch immer unterschieden, mal früher, mal später. Die systematische Ausgrenzung geht durch alle Schichten.

      Rechts hat nichts mit Bildung zu tun. Rechts wird man, wenn man sich bedroht fühlt. Weil einem andere eine Bedrohung durch einen erdachten Feind suggerieren, der einem etwas wegnehmen will. Genauso wenig hat rechts etwas mit dem Alter zu tun.[15] Bei den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen ist die AfD bei fast allen Altersschichten die stärkste Kraft, selbst bei den unter 24-Jährigen. Nur die Alten, die Ü60er, die gaben den demokratischen Parteien mehrheitlich ihre Stimme. Kommt die Vernunft doch im Alter? Oder müssen wir Angst davor haben, was passiert, wenn diese Generation mal weg ist?

      Wir sollten nicht darauf hoffen, dass sich alles irgendwann von selbst wieder ändert. In Anbetracht der Situation sollten wir überhaupt aufhören zu hoffen. Wir alle. Hoffen führt hier zu gar nichts mehr. Wie sagt Nico Semsrott mit seinen Unglückskeksen so schön? »Die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber sie stirbt.« Dass Rassismus und Rechtsradikalismus sicherlich kein deutsches Problem sind, steht außer Frage, aber man sollte immer erst vor der eigenen Haustür kehren. Alles andere ist »Whataboutism«. Wir müssen uns eingestehen, dass wir ein großes Problem haben. Dresden hat das getan und 2019 den »Nazinotstand« ausgerufen. Dieser Notstand ist zwar mit einem Fragezeichen versehen, doch der Beschluss besagt, dass »Landesbehörden mit allen Mitteln des Rechtsstaates konsequent Täterinnen und Täter [rechter Gewalt] verfolgen« sollen.[16] Bleibt nur die Frage, was sie vorher gemacht haben.

      Beim Schreiben dieses Buches hat mich die Realität gleich mehrfach eingeholt: Drei Landtagswahlen und der Anschlag von Halle. Aus (wieder mal) theoretischen Überlegungen wurde (wieder mal) Realität. Noch mal und noch mal und noch mal. Die Reaktionen auf Halle zeigten erneut völlig entrückte Politiker, fern jeder Realität. Wieder will man jetzt ganz schnell den Rechtsruck aufhalten, dafür aber im Grunde genommen nichts tun. Wenn die Bundesregierung wenige Tage vor dem Anschlag ihr eigenes Programm »Demokratie leben«, das sich um die Demokratieförderung kümmern soll, kürzt,[17] dann erscheinen alle Aufrufe zum Handeln nach dem Anschlag nicht nur als reine Lippenbekenntnisse, nein, die erschreckenden Fehleinschätzungen werden in diesem Zusammenhang sichtbarer denn je. Wenn Neonazi-Aussteiger-Programme wie »Exit« oder Anti-Rassismus-Kampagnen wie »Gesicht zeigen«, die alle gegründet wurden, weil wir ein gesellschaftliches Problem mit Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie haben, aus finanzieller Not um ihre Existenz fürchten müssen, dann ist es berechtigt zu fragen, wie der Staat Rechtsradikalismus eigentlich bekämpfen will.

      Wenn die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer nach solch einem Angriff von einem »Alarmzeichen« spricht und von einem Handlungsbedarf philosophiert4 – nach den unzähligen Angriffen auf Migranten in den letzten Jahren, den Schüssen auf Flüchtlingsunterkünfte und Tausenden registrierten antisemitischen und islamophoben Straftaten –, dann reicht es nicht, dafür nur einen Shitstorm zu ernten. Man muss ihr die Eignung für das Amt der Bundeskanzlerin absprechen.

      Dabei war sie keineswegs die einzige Überraschte. Die skurril bis verstörend wirkenden Reaktionen der Politiker zogen sich durch sämtliche Lager. Während die Schergen der Rechten ihr Weltbild durchsetzen, scheint die Führung unseres Landes die vergangenen Jahrzehnte in einem Paralleluniversum verbracht zu haben. Wie kann das sein? Ich sage es Ihnen: Das Versagen, dem Rechtsextremismus etwas entgegenzusetzen, lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Einzeltäter. Immer wieder rechte Einzeltäter. Und damit kein Problem. Wenn die Politik auch hier weiter so handelt, wie sie es bei der Bekämpfung des Klimawandels macht, diesem ambitionslos zusammengeschusterten Päckchen, dessen Inhalt für einen europäischen Führungsstaat ebenso unzureichend wie beschämend ist, dann gute Nacht.

      Wenn mal gehandelt wird, kommen mitunter befremdliche Dinge dabei heraus. 2014 beispielsweise konnte das Oberlandesgericht kein antisemitisches Motiv nach einem Brandanschlag auf eine Wuppertaler Synagoge erkennen. Der Angriff sei politisch motiviert und als Kritik an Israels Gaza-Politik zu werten. In einem Artikel im Tagesspiegel schrieben Abraham Cooper und Yitzchok Adlerstein dazu:

      »Bis heute wurde diese skandalöse Entscheidung nur von wenigen prominenten Deutschen kritisiert. Wenn es unbeanstandet bleibt, gefährdet es die demokratischen Werte Deutschlands. Der Harvard-Professor Alan Dershowitz drückt es folgendermaßen aus: ›Die Idee, ein Angriff auf eine Synagoge sei als anti-israelischer politischer Protest zu rechtfertigen und nicht als antijüdische Hasstat einzuordnen, ist so absurd wie die Behauptung, die Reichspogromnacht sei ein Protest gegen den schlechten Service jüdischer Ladenbesitzer.‹ Oder, so könnte man anfügen, eine angesteckte Moschee sei ein Zeichen des Protests gegen ISIS.«[18]

      Die AfD hingegen hat ihr Nest schon längst gebaut und ist dabei, zu handeln. Die Zugewinne bei den Landtagswahlen mögen erschreckend wirken, schlimmer ist aber ihre Arbeit in den Kommunen, wo sie sich unbemerkt tief in das normale Leben eingegraben hat und von unten versucht, gesellschaftspolitischen Einfluss auszuüben. Bei einer Veranstaltung in Köln sagte mir ein Verein, der benachteiligten Kindern und Jugendlichen Nachhilfe- und Freizeitangebote zur Verfügung stellt, dass die AfD-Abgeordneten auf Kommunalebene ihnen das Leben schwer machten, weil im Verein vorwiegend Migranten arbeiten würden. Das systematisch angewandte Mittel der politischen Anfrage habe nur das Ziel, das geförderte Programm zu behindern und die freien Träger der Vereine zur Aufgabe zu bringen.

      Die AfD betreibt aktiv Kampagnen gegen Vereine, die nicht im Sinne ihrer Doktrin handeln. Es sind diese kleinen, meist unsichtbaren Mittel, mit der die AfD ihre Denke durchsetzen will, und es gelingt ihr zunehmend, weil sie gelernt hat, wo die Schwachstellen unseres Systems sind und wo man nicht abgeneigt ist, ihr zuzuhören.

      Wie weit diese Zusammenarbeit geht, zeigt die CDU in Sachsen-Anhalt, wo sie in einem Gemeinderat mit der AfD kooperierte. Auf die Zusammenarbeit

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