Die Dirigentin. Maria Peters

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Die Dirigentin - Maria Peters

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Arm, an dem ihre Tasche schlaff hin und her baumelt. Unter dem anderen Arm trägt sie die Partitur.

      Ich habe sie im Flur erwischt, als sie den Klappstuhl auf den Stapel neben der Herrentoilette zurücklegen wollte. Und nun bringe ich sie zum Personalausgang.

      »Menschen wie dich muss man wegsperren«, blaffe ich sie an.

      »Darf ich mich denn nicht entschuldigen?«, entgegnet sie deutlich ruhiger.

      »Bei wem? Dem ganzen Saal?«

      »Bei Maestro Mengelberg.«

      Oh mein Gott, was heckt sie denn noch alles aus? Ich schüttele den Kopf. »Du glaubst doch nicht, dass ich dich in seine Nähe lasse? Einen großen Musiker behandelt man mit Respekt!«

      Ich öffne die Tür zum Ausgang.

      »Du bist entlassen«, sage ich, als ich sie hinausschiebe.

      Sie stolpert und fällt beinah die Treppe hinunter, aber sie fängt sich wieder und blickt mich funkelnd an.

      »Sie sind nicht mein Chef«, ruft sie mir zu.

      »Dein Chef hat schon eingewilligt«, sage ich. Das stimmt sogar. Natürlich habe ich das mit Barnes besprochen.

      Sie fleht mich an, dass sie diesen Job braucht, aber das kann mir egal sein. Ich sehe, dass sie weder ein noch aus weiß, empfinde aber kein Mitleid. Als sie einwendet, sie habe ihren Lohn für die letzte Woche noch nicht erhalten, zücke ich das Portemonnaie und drücke ihr etwas Geld in die Hand. Als sie den Betrag sieht, hält sie endlich den Mund. Vermutlich war es zu viel.

      ~ Willy ~

      4

      Mir blieb vor Angst das Herz stehen, als ich da so saß, um ganz ehrlich zu sein. Aber ich saß aufrecht, und für die anderen sah es so aus, als würde ich ungerührt nach vorn schauen. Dabei spürte ich, wie sich mir die entrüsteten Blicke des Publikums in den Rücken bohrten. Schau einmal an, dachte ich. Man muss sich nur trauen, dann kann man auch eine Heldin spielen.

      Ich schlendere durch die Straßen, nehme mir unendlich viel Zeit, alles anzuschauen – nur um nicht nach Hause zu müssen. Am liebsten hätte ich mit Mengelberg gesprochen, über sein Konzert und über die Musik. Über seine Interpretation der Symphonie und das Leistungsniveau unseres Orchesters. Auf Niederländisch. Und vielleicht hätte ich mich sogar getraut, ihm zu erzählen, was ich anders gemacht hätte.

      Ich wäre auch damit zufrieden gewesen, ein Teil der Menschenmenge sein zu dürfen, die den Konzertsaal verlässt. Schweigend den Kommentaren zuzuhören und in Gedanken den Abend und seine Eindrücke Revue passieren zu lassen. Aber der Kerl von der Toilette musste ja alles verderben. Das ist ein Naturgesetz: Seifenblasen zerplatzen immer.

      Ich bleibe bei dem blinden Bettler stehen, der an seinem festen Platz sitzt. Wenn er gut gelaunt ist, spielt er eigene Melodien auf dem Akkordeon, aber jetzt ist er still. Ich glaube, für heute hat er keine Musik mehr. Ich blicke in seine Augen, die von einem blauen Schleier bedeckt sind, die Pupillen sind unsichtbar. Es kann einen immer noch schlimmer treffen, geht es mir durch den Kopf. Er hört, dass jemand vor ihm steht, denn er hält mir die geöffnete Hand hin.

      Ich betrachte den leeren Filzhut, der neben ihm liegt. Er ist von Motten zerfressen. Daneben liegt ein Stück Pappe: Good luck to people who can share, steht darauf. Glück für diejenigen, die teilen können.

      Dieses verfluchte Glück. Ich spüre das Geld in meiner Tasche. Ich habe dem arroganten Pinkel sagen wollen, dass es zu viel ist. Ich konnte meine Bemerkung aber gerade noch rechtzeitig hinunterschlucken. Er schien mir sowieso nicht für Argumente zugänglich. Die Summe entspricht drei Wochenlöhnen. Zwei Drittel davon betrachte ich als Schmerzensgeld. Oder als Abfindung, damit ich die Kurve kratze. Sei’s drum, das ist jetzt auch egal.

      Ich ergreife die raue Hand des Bettlers und schiebe einige Scheine hinein, sage ihm, er solle sie gut verstecken. Er bedankt sich und wünscht mir, dass Gott mich segnen möge. Eigentlich finde ich es widerlich, wenn Leute pausenlos Gott in ihre Angelegenheiten verwickeln, aber diesmal halte ich den Mund. Vielleicht ist es ja wirklich an der Zeit, dass er mal seinen Job macht. Ich werde es ja sehen.

      Bei jedem Schritt nach oben wehen Staubwolken auf. Jeder Mieter kümmert sich um seine eigene Wohnung, aber für die Treppe fühlt sich keiner verantwortlich. Niemand will etwas für die Allgemeinheit tun, deshalb bildet der Schmutz Nester auf den Stufen.

      So ist es nicht immer gewesen, aber so wird es wohl immer bleiben.

      Das ist einer der Gründe, warum meine Mutter jeden Cent auf die Seite legt, um auf ein eigenes Haus zu sparen. Wir Holländer gelten hier als fleißig und reinlich, und so hat meine Mutter jahrelang das Treppenhaus geschrubbt. Die anderen Bewohner wussten das zu Anfang durchaus zu schätzen und bedankten sich, im Laufe der Zeit nahmen sie ihr Gewiener jedoch als selbstverständlich hin. Bis es ihr eines Tages reichte. Sie kippte den Mülleimer auf der frisch geputzten Treppe aus und sagte: »Dann eben so!« Sie zog die Schürze aus, schlüpfte in ihre Jacke und schritt wie eine Königin über den Abfall nach draußen. In Augenblicken wie diesen ist meine Mutter auch einmal ein echtes Vorbild.

      Als Erstes fällt mein Blick auf die Zwiebeln, die auf der Anrichte liegen. Ich weiß sofort, was die Stunde geschlagen hat.

      »Schweren Tag gehabt?«, fragt meine Mutter, als sie mich sieht.

      Offensichtlich noch nicht schwer genug.

      »War in Ordnung«, höre ich mich sagen. Ich reibe ihr nicht unter die Nase, dass ich gleich zweimal gefeuert worden bin. Das muss ich erst einmal selbst verarbeiten.

      Sie reicht mir das Messer, mit dem sie gerade die erste Zwiebel geschnitten hat. »Mach das schnell fertig.«

      Ich sehe, dass noch sechs daliegen.

      Ich versuche, nicht zu weinen. Das Messer hebt und senkt sich rhythmisch. Die Zwiebelwürfel fallen auf das Brett. Ich muss auf meine Finger aufpassen, denn ich sehe kaum noch was. Aber immer noch mehr als der Bettler, schießt es mir durch den Kopf.

      Mein Ekel vor Zwiebeln rührt noch aus der Zeit der Überfahrt nach Amerika, die ich als Kind zusammen mit meiner Mutter unternahm. Vater war schon dort, um einige Dinge zu regeln. Auf dem Schiff aßen wir im Speisesaal, und eines Tages servierte man dort schleimige Zwiebeln in etwas, das wahrscheinlich ein Haschee hätte werden sollen. Ich starrte auf die Matsche auf meinem Teller und weigerte mich, sie zu essen.

      Aber nicht mit meiner Mutter: Der Teller musste leer gegessen werden. Sie zwang mich, das Zeug hinunterzuschlucken, indem sie meine Nase zukniff und mir den Löffel in den Mund schob. Ich würgte, aber wenn eine Schlacht zu schlagen ist, gibt meine Mutter nicht so schnell auf. Wenig später musste ich mich erbrechen. Quer über den Tisch, sodass es jeder mitbekam. Es stank unglaublich. Die Menschen um uns herum wandten sich voll Abscheu ab. In unserer Kabine las sie mir wie üblich die Leviten. Das werde ich nie vergessen.

      Mein Vater kommt von der Spätschicht zurück. Er arbeitet bei der Stadtreinigung. Nicht im Büro oder so, sondern ganz unten, als Müllmann. Der Lohn ist eher bescheiden, aber Vater hat großes Talent als Schatzsucher. Er findet alles Mögliche im Abfall. Das meiste bringt Mutter sofort zur Pfandleihe – und holt es dann nie wieder ab.

      Mein Vater stellt sich neben mich, sieht die Tränen über meine

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