Die Dirigentin. Maria Peters
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»Gut aufgepasst«, muss er zugeben. »Kennst du den Posaunenpart auswendig?«
»Nicht nur diesen, sondern alle«, entgegne ich.
Goldsmith hat seine Tasche gepackt und geht die Stufen hinunter. Er versucht offensichtlich, sich rasch davonzumachen. Ich muss mich beeilen, um überhaupt hinterherzukommen.
»Sie geben doch Klavierunterricht am Konservatorium?«
»Das ist richtig.«
»Ich möchte auch auf das Konservatorium.«
»Na dann, viel Erfolg.« Er geht einfach weiter. Diese Unterhaltung macht ihm keinen Spaß. In einem Bogen laufe ich um ihn herum und stelle mich ihm in den Weg; jetzt muss er stehen bleiben.
»Darf ich einmal vorspielen?«
»Ich verschwende meine Zeit nur ungern.«
»Das geht mir auch so.« Ich weiß, das ist ganz schön frech, aber was bleibt mir übrig.
»Das kostet aber was«, sagt Goldsmith. »Zwei Dollar.«
»Das ist in Ordnung.«
Er begutachtet meine schäbige Sonntagskleidung.
»Im Voraus.«
Zu seiner Überraschung nehme ich den Betrag aus der Tasche und überreiche ihn ihm. »Bitte sehr.«
Widerwillig gibt er mir seine Visitenkarte. »Morgen um vier.« Dann wendet er mir den Rücken zu.
Ich betrachte die Karte: Mark Goldsmith, Music Professor, lautet die Aufschrift.
Drei Minuten zu früh betrete ich das große Foyer des Apartmentkomplexes, in dem Goldsmith lebt. Da ich in den sechsten Stock muss, steige ich in den Aufzugkäfig in der Mitte des Treppenhauses. Ich will nicht außer Puste oben ankommen.
Als ich die richtige Tür gefunden habe, klingele ich. Eine hübsche, leicht übermüdet wirkende Frau öffnet.
»Ja bitte?«, fragt sie.
Ich sehe, dass sie schwanger ist.
»Ich bin mit Professor Goldsmith verabredet.«
Sie öffnet die Tür weiter und bittet mich herein. Sofort wuseln Kinder lautstark um mich herum. Ich komme auf fünf. Das kleinste fängt an zu weinen. Mrs Goldsmith nimmt es auf den Arm und geht in das große Wohnzimmer.
Professor Goldsmith kommt hemdsärmelig aus seinem Arbeitszimmer.
»Ruhe, Kinder! Ich versuche zu arbeiten«, meckert er. Dann blickt er seine Frau an, als wäre die Standpauke eigentlich für sie gedacht.
»Könnte ich eine Tasse Kaffee bekommen?«
»Der muss erst gemahlen werden«, antwortet sie.
Erst jetzt sieht er mich. »Sie kann das erledigen. Wenn der Kaffee fertig ist, kannst du reinkommen.«
Er verschwindet wieder im Arbeitszimmer. Mrs Goldsmith nimmt mich mit in die Küche und drückt mir die Kaffeemühle in die Hand. »Du hast ihn gehört«, sagt sie.
Die Kinder geben keine zwei Sekunden Ruhe.
»Sind das alles Ihre?«
»Ja, und das sechste ist auch schon unterwegs.«
Ich versuche, nicht auf ihren Bauch zu starren, setze mich an den Küchentisch und fange an, den Kaffee zu mahlen. Ich atme auf, als ich in der Küche allein bin. Mein Arm schmerzt, aber der Duft des gemahlenen Kaffees beruhigt mich etwas.
Dann habe ich plötzlich das Gefühl, als würde mich jemand durch einen Türspalt im Flur ansehen. Wahrscheinlich beobachtet mich heimlich eines der Kinder. Als ich aufschaue, wird die Tür geschlossen.
Mrs Goldsmith reicht mir zwei Tassen dampfenden Kaffees. Ich gehe damit zum Arbeitszimmer und stehe hilflos vor der Tür. Wie soll ich so klopfen? Ich trete mit dem Fuß gegen die Tür. Die Tür geht auf, und mir gegenüber steht niemand anderes als der Kerl von der Toilette …
~ Frank ~
7
Wie ein erschrecktes Reh schaut sie mich an. In den Händen hält sie zwei Kaffeetassen. Sie kann weder vor noch zurück. Als ich sie eben beim Mahlen des Kaffees gesehen habe, wurde mir ganz merkwürdig zumute. Sie tut mir jetzt doch irgendwie leid. Mark hatte gerade erst erzählt, dass noch jemand zum Vorspielen kommt – ich habe das zur Kenntnis genommen, aber nicht weiter kommentiert. Und auch jetzt zucke ich nicht mit der Wimper.
Ich trete zur Seite und lasse sie herein. Sie geht auf Mark zu. Er sitzt hinter seinem riesigen Schreibtisch, der ganz unter Papierstapeln begraben ist. Ich lasse mich wieder auf dem Lehnstuhl nieder, auf dem ich schon den ganzen Mittag verbringe. Die Tassen klappern auf den Untertassen. Ich bin erleichtert, als Mark die Stille unterbricht.
»Dieser Haushalt ist ein einziges Chaos, darum lade ich eigentlich niemanden nach Hause ein, abgesehen von dem da«, er deutet auf mich, »aber der gehört sowieso zum Mobiliar.«
Das trifft es durchaus. Er gehört schon seit Jahren zu meinen engeren Freunden, und ich besuche ihn ziemlich häufig. Wir hatten heute Mittag einiges zu besprechen, da er mich gebeten hat, mich um einige berühmte Solisten zu kümmern, die als Gastdozenten am Konservatorium unterrichten sollen.
»Frank, das ist …«
Er weiß ihren Namen nicht.
»Willy Wolters«, sagt sie und stellt die zweite Kaffeetasse vor mir ab. Augenkontakt vermeidet sie. Damit sie mir nicht die Hand geben muss, wischt sie sich umständlich die Finger am Rock ab.
»Verschwenden wir keine Zeit.« Mark zeigt auf den großen Flügel mitten im Arbeitszimmer. Willy setzt sich auf den Hocker. Zögernd berührt sie einige Tasten, ohne jedoch zu spielen. Als würde sie mit dem Instrument erst Kontakt aufnehmen wollen.
»Spiel etwas.« Mark lehnt sich zurück und rührt in seinem Kaffee.
Sie beginnt mit einem Stück von Bach, BWV 731: Liebster Jesu, wir sind hier. Sie schlägt die Tasten ziemlich kräftig an und setzt das rechte Pedal zu häufig ein. Wir warten, denn eigentlich sollte sich jetzt beim Zuhören unser Herz öffnen. Mark unterbricht sie schon bald.
»Hör mal auf.«
Sie hört auf. Langsam gleiten ihre Finger von den Tasten.
»Schön«, sagt sie.
»Meinst du?«, fragt Mark.
»Der Flügel«, führt sie aus. »Ich übe auf einem Klavier mit Lappen auf den Saiten.«
»Wie um Himmels willen kommt man denn auf so eine Idee?«