Verräter. Can Dündar

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Verräter - Can Dündar страница 6

Verräter - Can Dündar

Скачать книгу

Ich werde auch im Ausland arbeiten und Geld verdienen.

      – Und ich suche mir in der Türkei einen Job, wenn nötig.

      – Wie sieht es bei Freunden und Bekannten aus?

      – Alle sind völlig durcheinander. Das Telefon klingelt nur selten. Ich freue mich, wenn mal jemand anruft. Entweder trauen sie sich nicht, oder sie sagen sich: »Lassen wir sie in Ruhe.« Ich möchte das Zweite glauben. Wir wollten, dass die Regierenden uns vergessen, jetzt haben uns die eigenen Leute vergessen.

      – Auch das geht vorüber. Wir wollen nichts übelnehmen, lass uns nicht nachtragend sein.

      – Mir geht es gut, denk nicht an mich. Kommt es allzu schlimm, nehmen wir Antidepressiva.

      Es war Vollmond, wir gingen an der Küste von La Barceloneta spazieren. Hand in Hand mit uns liefen Kummer und Sorge. Das fröhliche Gelächter der Passanten klang in unseren Ohren wie eine unverständliche Fremdsprache.

      Tagtäglich erwachten wir morgens zu neuen Attacken der Erdoğan-freundlichen Medien. In einer Meldung hieß es, ich stellte mittlerweile eine Gefahr für die nationale Sicherheit dar, »Man muss tun, was nötig ist«, stand da. In Fernsehsendungen wurde darüber diskutiert, ob es besser wäre, mich wie einst Abdullah Öcalan[5] herbeizuschaffen und vor Gericht zu stellen oder vom Geheimdienst im Ausland umbringen zu lassen. Freiwillige auf Twitter signalisierten: »Wir sind bereit.«

      Unser Land lag unter einer düsteren Wolke, unser Leben war auf einen Schlag in tausend Scherben zersprungen.

      Durch den dichten Nebel vor uns war die Zukunft nicht zu sehen.

      Wir drei lebten jetzt auf zwei Kontinente und eine Insel verstreut.

      Nun begannen die Tage und Monate des Exils.

      Vielleicht auch die Jahre.

      Womöglich.

      Beim Abschied sagte Dilek: »Versuchen wir, das Beste für uns daraus zu machen. In allem steckt immer auch etwas Gutes.«

      Wieder einmal zog ich den Hut vor ihrer Courage, ihrer Kraft und Standfestigkeit.

      Ob sie, als wir heirateten, wohl ahnte, worauf sie sich einließ? Auf Verurteilung, Gefangenschaft, Attentat, Exil, Trennung …

      Sie ist die Tochter von Einwanderern. Ungewissheit beunruhigt sie, sesshafte Ordnung, sich wohnlich einzurichten sind ihr lieber. Und jetzt sollte sie unser Haus, das sie so liebevoll und sorgfältig eingerichtet hatte, aufgeben und ins Ungewisse umziehen? Würde sie glücklich werden können in einem fremden Land, das sie nicht kannte und dessen Sprache sie nicht beherrschte?

      Würden wir, wie damals die Exilanten nach dem Putsch vom 12. September 1980, aus der Ferne verfolgen müssen, wie unser Land in Finsternis versank?

      Würde es noch schlimmer kommen?

      Am Flughafen lächelte sie bekümmert und sagte: »Wer weiß, wann wir uns wiedersehen.« Dann war sie fort.

      War ich traurig?

      Ja.

      Bereute ich?

      Nein.

      War ich nervös?

      Ja.

      Aber zumindest hatte meine Unschlüssigkeit ein Ende.

      Ich stornierte den Rückflug.

      Jetzt war ich im Exil.

      6 Abschied

      Im August 2016 erschien in der Berliner Zeitung ein Interview mit mir.

      Auf die Frage nach meinen Plänen hatte ich geantwortet, nicht in die Türkei zurückkehren zu wollen, solange der Ausnahmezustand nicht aufgehoben sei.

      Dilek rief als Erste an und beschwerte sich, ich würde tun, was mir gerade einfiel, ohne die Folgen zu bedenken.

      »Du hast wieder für Aufruhr gesorgt«, sagte kurz darauf Akın Atalay am Telefon, mein Anwalt und zugleich Herausgeber meiner Zeitung:

      »Damit hast du dir nur Schwierigkeiten gemacht, für den Prozess ebenso wie für deine Position bei der Zeitung. Das Gericht kann deine Aussage als Beweis gegen dich verwenden und dich zur Fahndung ausschreiben lassen. Und bei der Zeitung wird schon darüber spekuliert, wer neuer Chefredakteur wird …«

      Selbst im Gefängnis hatte ich weiter als Chefredakteur fungiert. Das war unabdingbar gewesen. Nun aber waren die Umstände verändert. Eine Zeitung lässt sich nicht quasi per Fernbedienung leiten. Die neuen Umstände zwangen mich, sosehr es schmerzte, diese honorige Tätigkeit, gewissermaßen die Endstation meiner Berufslaufbahn, aufzugeben.

      Ich nahm mein Notebook und setzte die Kündigung auf:

      »Was mir in den letzten anderthalb Jahren, seit ich den Posten des Chefredakteurs der Cumhuriyet bekleide, widerfuhr, übersteigt alles, was ich in meinem ganzen Leben erlebt habe:

      Angriffe, Applaus, Drohungen, zur Zielscheibe gemacht zu werden …

      Anklage, Verhaftung, Gefängnis …

      Isolation, Gefangenschaft, Attentat …

      Beleidigungen, Auszeichnungen, wiederholte Ermittlungen, ein Prozess nach dem anderen …

      Rechnungen präsentiert zu bekommen für den Wettlauf zwischen unserem journalistischen Enthusiasmus und der Phase massiver Repressionen …

      Den Preis dafür zu bezahlen, mich nicht gebeugt zu haben, worauf ich ebenso stolz bin … (…)

      Der Justiz zu vertrauen bedeutet unter den derzeitigen Umständen, den Kopf freiwillig der Guillotine hinzustrecken, deshalb habe ich beschlossen, mich dieser Justiz nicht zu stellen – zumindest für die Dauer des Ausnahmezustands. Den Kampf gegen das repressive Regime setze ich selbstverständlich mit derselben Entschlossenheit fort.

      Seid gewiss, dass ich meine Stimme nur umso stärker erheben werde.

      Die Widersacher sollen nicht triumphieren, die Freunde sich nicht grämen.«

      Das zu schreiben, schnürte mir die Kehle zu.

      Am Gaumen der saure Geschmack von Abschied …

      In den Ohren das Knirschen der launig geriebenen Hände der Profiteure …

      In der Nase der schwache Geruch von Einsamkeit …

      Irgendwo im Kopf eine Stimme: »Du tust das Falsche …«

      Mir war, als würde ich nicht aus einer Position, sondern aus einem Stück Erde gerissen.

      Nicht unter ein Schreiben setzte ich einen Punkt, sondern unter ein Kapitel meines Lebens.

      Als der Text stand, ging ich raus, lief niedergeschlagen zwei Stunden durch die Gegend. Anschließend setzte ich mich in eine spanische Bodega und versuchte nachzudenken.

Скачать книгу