Stille, Ekstase, Glück. Armin Heining

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Stille, Ekstase, Glück - Armin Heining

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Absurdität dessen bewusst, sondern erinnert mich auch an die Ausweglosigkeit, die ich empfinde: »Mich zu weigern, ist zwecklos. Mein Vater duldet keinen Widerspruch.«

      »Oh, das kenne ich von meiner Mutter«, nickt Ulrich. »Kompromisse sind ihr vollkommen fremd. Ihr Wille ist Gesetz.«

      »Früher war das aber noch schlimmer als heute. Auf der Treppe vor unserer Haustür wartete er ungeduldig auf mich. Ich musste im Eiltempo alle Schuhe der Familie aus der Küche nach draußen bringen und ordentlich vor der Tür aufstellen. Mit unseren Schmutzbürsten befreiten wir jeden einzelnen Schuh akribisch vom Straßenstaub. Auch während des Putzens ließ er mich keinen Moment aus den Augen und kommentierte alles. ›Zieh keine Schnute!‹, fuhr er mich barsch an, wenn ich lustlos wirkte. Und wenn ich nicht schnell genug vorankam, schrie er: ›Geh weiter, stell dich nicht so an!‹«

      Ermuntert durch die Parallelen in unseren Familiengeschichten werde ich offener.

      »Folgte ich immer noch nicht, wie er wollte, warf er die Schmutzbürste nach mir. Im zweiten Arbeitsschritt mussten wir die Schuhe sorgfältig einfetten, um sie im Anschluss auf Hochglanz zu polieren. ›Das kannst alleine machen!‹, hieß es dann. Und so saß ich immer wieder samstags vor unserer Haustür und wienerte Schuhe, während meine Spielkameraden fröhlich herumtollten.«

      »Das ist natürlich demütigend. Gerade auch noch vor deinen Freunden.«

      Ja, genau so fühlen sich diese Samstage an: demütigend. Obwohl wir uns kaum kennen, spricht Ulrich mir aus der Seele.

      »Das Schlimmste kommt zum Schluss. Abschließend nahm mein Vater alle geputzten Schuhe gründlich unter die Lupe. Davor fürchtete ich mich am meisten: Waren sie nicht blitzblank, setzte es Prügel – vor allen anderen. Dann schämte ich mich und musste weinen. Und weil ich weinte, sperrte er mich ins Bad ein.«

      »Oh weh. Was für eine schlimme Erfahrung!«

      Ulrichs offenkundige Betroffenheit führt mir noch deutlicher vor Augen, wie wenig Verständnis ich zu Hause bekomme.

      »Und ich kann mir vorstellen, dass es auch keinen Zweck hat, mit deinem Vater zu sprechen, nicht wahr? Wer sich autoritär gibt, glaubt natürlich auch, immer im Recht zu sein. Ist doch so, oder?«

      Ich nicke stumm. Mit bemerkenswertem Scharfsinn bringt er meine Familienverhältnisse auf den Punkt.

      »Leider geht es in vielen Familien so zu: Eltern sehen manches anders als ihre Kinder und dieser Standpunkt wird um jeden Preis verteidigt. Aufbegehren ist zwecklos.«

      Schildert er gerade eigene Erfahrungen? Sie kommen meinen jedenfalls sehr nah.

      »Manchmal fühle ich mich nur ausgebrannt. Und vollkommen allein, auf verlorenem Posten.«

      »Ich weiß, wovon du sprichst. Aber was ist mit deinem älteren Bruder? Steht er dir zur Seite?«

      »Kann ich nicht behaupten. Ich bin trotz Geschwistern einsam. Meine Schwester ist zehn Jahre jünger. Mein Bruder ist drei Jahre älter und versucht, auf seine Weise zurechtzukommen. Er hat ganz andere Interessen als ich. Er verbringt lieber Zeit mit unserer Schwester oder seiner Freundin als mit mir. Außerdem ist er wesentlich besser in der Schule als ich. Wirklich viele Gemeinsamkeiten haben wir nicht.«

      »Hat deine Mutter denn Verständnis? Wie verstehst du dich mit ihr?«

      Gute Frage. Meine Mutter ist ein ganz eigener Fall, denke ich.

      »Besser als mit meinem Vater, irgendwie.« Ich zögere: »Weil sie mich schon mehr oder weniger aufbaut, wenn ich mich zurückgesetzt fühle, kraftlos bin.«

      Ich nehme einen tiefen Atemzug.

      »Aber wenn sie an Migräne leidet, ist ihre Unterstützung vorbei. Dann braucht sie absolute Ruhe und will nur noch für sich sein. Und ich bin buchstäblich mutterseelenallein und ohne Halt, als gäbe es sie gar nicht.«

      »Das ist natürlich belastend.« Frater Ulrich nickt.

      Weil er mir ein guter Zuhörer ist, drängt es mich, weiter zu erzählen.

      »Und meine Mutter ist doch tatsächlich einmal mit dem Kochlöffel hinter mir hergekommen!«

      »Was, wirklich?«

      Ungläubig sieht er mich an.

      »Ob du’s glaubst oder nicht: Eines Tages spielte ich mit meinen Freunden nach der Schule an einem Bach in der Nähe unseres Hauses. Plötzlich gab es nichts Wichtigeres als an der Mauer hochzukraxeln, die neben der Böschung aufragte. Natürlich vergaßen wir, wie spät es geworden war. Nur meine Mutter hatte die Uhr stets im Blick. Aus heiterem Himmel stand sie mit einem Kochlöffel in der Hand oben an der Mauer und schrie: ›Das Mittagessen ist seit Stunden fertig! Ich warte auf dich und du treibst dich herum! Ich habe Angst und zermartere mich vor Sorgen – und was machst du?!‹ Natürlich war es mir peinlich, vor meinen Freunden so gescholten zu werden. Ich wollte mich entschuldigen. Aber sie hörte überhaupt nicht zu, sondern schwang den Kochlöffel, als ob sie mich schlagen wollte. Dann trieb sie mich – mit drohendem Löffel – den ganzen Weg nach Hause vor sich her, als wäre ich ein Stück Vieh auf dem Weg zurück in den Stall. Später, als sie sich auf das Sofa legte, stellte sich heraus, dass sie wieder unter heftiger Migräne litt. Eigentlich hatte sie sich ausruhen wollen; aber stattdessen musste sie hinter mir her rennen, weil ich wieder nur an mich gedacht hätte. Sie hätte mehr Rücksicht von mir erwartet, ließ sie mich wissen.«

      »Oh, das kenne ich. Das klingt ganz nach dem strengen Regiment meiner Mutter. Ich habe auch viel unter ihrem launischen Verhalten leiden müssen. Mit Kritik und Tadel war sie immer sehr schnell zur Stelle. Ihre Anerkennung oder ein Lob schien ich mir nie verdient zu haben.«

      Sein Blick schweift gedankenverloren in die Ferne.

      »Genau!«, rufe ich laut.

      »Manchmal frage ich mich, ob meine Eltern überhaupt etwas von mir halten. Jedenfalls habe ich nicht den Eindruck, ihnen zu genügen. Meiner Mutter bereite ich zu häufig Kummer und von meinem Vater befürchte ich immer, dass er mir mein sonniges Wesen am liebsten austreiben würde.«

      Bei dem Gedanken von meinem Vater nicht so geliebt zu werden wie ich bin, treten mir Tränen in die Augen.

      »Hältst du es für möglich, dass deine Eltern trotzdem das Gute in dir sehen?«, fragt er leise.

      »Das kann ich mir kaum vorstellen«, stelle ich nüchtern fest.

      Erst das Läuten der Glocke reißt mich aus jenem Schweigen mit Ulrich, das unsere Gespräche immer wieder begleitet. Mittlerweile komme ich immer besser mit der Tatsache zurecht, tagsüber sieben Mal von der Glocke zu unserem Gottesdienst und Gebet gerufen zu werden.

      ›Zu unserem Gottesdienst.‹ Als sei ich schon einer von ihnen. Dabei bin ich hier im niederbayerischen Kloster Metten nur zu Besuch. Sechs Tage auf Probe – und dann mal sehen.

      »Warum besuchst du eigentlich in deinen Weihnachtsferien unser Kloster?«, lautete folgerichtig eine von Ulrichs ersten Fragen.

      »Weil ich mir schon sehr lange gewünscht habe, besonders die Zeit um Weihnachten abseits der häuslichen Langeweile zu erleben«, entfährt es mir überraschend ehrlich.

      »Insgeheim möchte ich überhaupt noch mehr Zeit in der Anwesenheit Gottes verbringen, im Gebet

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