Stille, Ekstase, Glück. Armin Heining

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Stille, Ekstase, Glück - Armin Heining

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      Im Kloster finden sogar öffentliche Veranstaltungen statt – das habe ich gar nicht gewusst, bis Ulrich mir den Festsaal zeigt: »Hier gibt es regelmäßig Konzertabende. Wegen der hervorragenden Akustik ist er als Veranstaltungsort sehr beliebt. Auch über die Grenzen Niederbayerns hinaus.«

      Und sie schauen fern! Mit zehn rot gepolsterten Fernsehsesseln, ordentlich in zwei Reihen angeordnet, hätte ich in einem Kloster nun wirklich nicht gerechnet. Das Kloster Metten verblüfft mich immer wieder.

      Aber ist es ein Ort, an dem ich leben dürfte?

      »Mir gefällt vor allem die straffe Tageseinteilung«, antworte ich ausweichend.

      Ulrich schaut mich überrascht von der Seite an.

      »Ernsthaft? Daran stören sich die meisten Besucher. Sie hätten zu wenig persönlichen Freiraum, beklagen sie.«

      Er schnaubt verächtlich.

      »Naja, deswegen sind wir aber nicht hier«, bekräftige ich.

      »Wir?«

      »Was?«

      »Du hast gerade gesagt: ›Deswegen sind wir nicht hier.‹ Siehst du dich doch schon als Klosterbruder?«

      Ich lache verlegen. Der Versprecher ist mir gar nicht aufgefallen.

      »Kann sein. Mir gefällt’s hier. Und ich mag diese klare Ordnung jeden Tag. Für gewöhnlich falle ich in den Ferien in ein Loch, werde launisch und unzugänglich, weil mir die Struktur fehlt. Hier geben mir die regelmäßigen Gebetszeiten Halt. Und die Gemeinschaft, die immer füreinander da ist. Das fühlt sich an wie ein schönes Leben.«

      »Es ist ein gutes, sinnvolles Leben, wenn wir es gottesfürchtig führen«, entgegnet Ulrich mit einem Ernst, der mir bisher noch nicht an ihm aufgefallen ist.

      »Und wenn es dir tatsächlich so gut gefällt, ist es vielleicht auch für dich das Richtige.«

      Ich senke betreten den Kopf. Gerne würde ich dazu gehören.

      Aber darf ich darauf hoffen, hier akzeptiert zu werden? Ich meine, es ist die katholische Kirche mit ihren strengen Glaubensgrundsätzen, die entscheidet, wer sich in einem Konvent lebenslang an sie binden darf. Nicht Ulrich, der vielleicht einige Sympathien für mich hegt. Noch. Wer weiß, wie er reagiert, wenn er die ganze Wahrheit kennt.

      Das Läuten der Konventglocke zum Abendgebet enthebt mich einer Antwort. So fällt meine Schweigsamkeit nicht weiter auf. Ich gehe sozusagen in der klösterlichen Stille auf, die sich wie eine schwere Decke über die Klostergänge legt und jedes Geräusch im Keim zu ersticken scheint. In meinem Tagebuch habe ich sie als tote Stille beschrieben. Ein gewöhnungsbedürftiges Phänomen, wenn man die permanente Geräuschkulisse einer umtriebigen Familie gewöhnt ist.

      Aber jenseits der Stille ist auch hinter Klostermauern überraschend viel los. Vielleicht hängt das mit der Jugend vieler Mönche zusammen. Bisher habe ich das Mönchssein eher mit dem Greisenalter – ab sechzig Lebensjahren – in Verbindung gebracht. Nun stelle ich fest, dass hier ganz viele junge Männer leben. Natürlich spricht dies für Metten: Hier sind ganz viele beinahe Gleichaltrige um mich.

      Unternehmungslustige Gleichaltrige. Zwischen Abendgebet und Nachtruhe trifft man sich gerne im Erzieherbüro des dem Kloster angeschlossenen Internats. Auf persönliche Einladung Pater Jeremias bin ich schon zwei Mal dabei gewesen. Dass ein so beliebter Präfekt mich zu einem seiner fröhlichen Abende einlädt, sagt mir, ich werde akzeptiert.

      Gleichwohl ist mir der Trubel schnell zu viel, zu laut, zu viele Personen, die ich nicht gut kenne, zu groß die Anstrengung, sich zu fokussieren. In den letzten Tagen möchte ich doch lieber für mich sein; meine Tagebuchaufzeichnungen vervollständigen oder alleine beten. In diesem Fall führt mich mein Weg dann in die Kapelle des Internats, außerhalb der Klausur, des abgetrennten Klosterbereichs. Es sind Weihnachtsferien, also kann ich sicher sein, dass niemand die kleine Kirche nutzt.

      Ich setze mich in eine Bank und lasse die erbauliche Atmosphäre auf mich wirken: den intensiven Geruch des Weihrauchs, das ewige Licht vor dem Tabernakel, das beruhigende Halbdunkel.

      »Lieber Gott, jetzt weiß ich nicht, ob ich hier bleiben soll oder lieber weggehen mit den anderen. Ich spüre, wie es in mir brennt, wie eine offene Wunde. Und ich weiß nicht, was ich gegen den Schmerz, gegen diesen großen inneren Schmerz machen soll. Was bedeutet mir mehr? Will ich lieber alleine mit mir jetzt in der Stille sein, weil du mir alles gibst? Oder liegt mir Gemeinschaft mehr am Herzen? Wo ist mein Platz? Wohin gehöre ich?«

      »Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragt Ulrich mich besorgt nach dem Frühstück.

      Wie aufmerksam er ist. Er bemerkt anderntags sofort, dass ich mich in mein Schneckenhaus zurückgezogen habe und am liebsten unsichtbar bliebe.

      »Geht schon«, murmele ich.

      »Komm, lass uns einen Spaziergang machen. Die kühle Luft wird dir guttun.«

      Widerstrebend schließe ich mich ihm an, stelle aber draußen schnell fest, dass er recht hat. Die frische Brise klärt den Geist. Und lädt mutig zum offenen Wort ein.

      »Ich habe manchmal einfach Schwierigkeiten, mich neuen Situationen anzupassen«, beginne ich zögernd. Als Ulrich nichts erwidert, rede ich einfach weiter. Sein Schweigen wirkt ermunternd.

      »Das ist schon immer so gewesen, dass ich mit einer gewissen Reizüberflutung nicht zurechtkomme. Ich rede nicht gerne darüber, weil ich glaube, mich lächerlich zu machen. Was ist das schon für die meisten? Ein paar Menschen mehr oder weniger? Was macht das schon für einen Unterschied? Für mich einen großen. Das war schon seit meiner Kindheit so. Während eines Skiausflugs hatte ich eine Art Zusammenbruch, weil mir die Menschen auf der Piste, meine andauernden Abfahrten zu viel waren, mich überwältigten. Da war plötzlich so ein stechender Schmerz in der Herzgegend und ein Brennen in der Brust, als hätte sich eine Wunde geöffnet. Am meisten hat mich jedoch verletzt, dass es meinen Eltern egal war. Sie haben den Vorfall zur Kenntnis genommen, aber nichts hinterfragt, keine medizinische Untersuchung veranlasst, nichts. Meine Gefühle sind bis heute kein Thema, mit dem sie etwas anzufangen wissen.«

      »Eine schlimme Geschichte.«

      Wie es ihm immer wieder gelingt, sein Mitgefühl in so schlichten Worten auszudrücken und mich dennoch immer zu erreichen – das tut wirklich gut.

      »Weißt du, dass ich noch nie mit jemandem darüber gesprochen habe?«, vertraue ich ihm leise an.

      »Wirklich? Dann sprich dich nur aus. Vielleicht hilft’s dir in der Zukunft.«

      Wenn das so einfach wäre. Aber vielleicht ist es ein weiterer Schritt in die richtige Richtung.

      »Jedenfalls habe ich selber herausgefunden, dass ich nur dann nicht an meinen seelischen Schmerzen verzweifele, wenn es nur mich und Gott zu geben scheint. Nichts weiter. Nur dann bin ich von diesem unerträglichen inneren Brennen erlöst.«

      »Dann ist das Gebet, der Besuch des Gottesdienstes wirklich Balsam für deine Seele …«

      »… ja, wie ein Pflaster auf meiner inneren Wunde«, setze ich begeistert den von ihm begonnenen Satz fort. So verstanden zu werden ist auch schon ein Geschenk des Himmels.

      »Der Klosteraufenthalt muss dann ja eigentlich ein

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