DER ÜBERHEBLICHE. Dr. Friedrich Bude

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DER ÜBERHEBLICHE - Dr. Friedrich Bude

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heute bei den Karnevalszügen marschierten die Uniformen und tingelten die „Kollegen der Betrieb“ mit allem Zubehör an der Tribüne vorbei, während der Ansager über Mikrofon lauthals die einzelnen Marschblöcke ankündigend, deren Vorzüge pries.

      Es war schon imposant und unterhaltsam aus Edubs Turmfenstern zuzusehen - den Gleichschritt der Kampfgruppen, die Vorführungen der Sport- und Volkstanzgruppen, das Grüßen der Anführer der Marschblöcke mit ihren Transparenten Richtung Tribüne und deren dankbarer Beifall, durch Mikrofone verstärkt.

      Vater Horn war dabei.

      An diesem 17.Juni sollte die Demonstration einen noch nie dagewesenen Verlaufnehmen. Sohn Horn blieb bei seiner Instruktionsreise mit dem Auto schon an Geras Boulevard SORGE stecken, Demonstranten versperrten den Weg, musste ohne Weisungen zurück nach Schmölln.

      Auch dort rumorte es zwischenzeitlich. Menschenmengen marschierten von der Knopfmaschinenfabrik KNOHOMA, der Schuhfabrik und Rohde & Dörrenberg Richtung Amtsplatz und Marktplatz. Rhode & Dörrenberg, jetzt PWS genannt, war eine Werkzeugfabrik und SAG, sowjetische Aktiengesellschaft, von den Russen okkupiert, wurde von russischen Ingenieuren und Funktionären geleitet. Die gesamte Produktion ging nach Osten.

      Vater Horn versuchte dort als Vorsitzender der Gewerkschaft die Interessen der autoritären Macht mit denen der Einheimischen zu koordinieren. An dem Tag war er machtlos.

      Sohn Horn kam noch rechtzeitig vor den rebellierenden Arbeitern wieder ins Ratsgebäude am Amtsplatz, wo beim Vorsitzenden, dem Genossen Wiese, das Telefon klingelte. Aus der Villa BELLEVUE auf dem Pfefferberg, mit Blick auf die Stadt, dem Sitz der sowjetischen Kommandantur, meldete sich deren Kommandant, diskutierte die Lage. Ob man nicht jemanden unter den Demonstranten kenne, mit diesen friedlich Verbindung aufnehmen könne? „An der Spitze marschiert Zeuner von der PWS, den kenn' ich gut“, kommentierte der junge Horn die russische Anfrage.

      Auch der Schlosser der Schuhfabrik, Gerd Bauer, demonstriert mit. Am Vormittag gab es in der Fabrik heftige Diskussionen. Seine Kollegin deren Maschine er gerade eingestellt hatte, konnte die neu vorgegebene erhöhte Norm auch nicht mehr schaffen. Vor dem Abmarsch flitzte Gerd noch in die Chrimmitschauer Strasse um seine neu angetraute Frau Didi zu informieren.

      Als Kleinkind radebrechte Christina ihren Namen „Didi“, das blieb hängen. Die Vermählung der Tochter des Brunnenbaumeisters Kutschenreuter gegenüber dem Bahnhof, dessen Ehefrau Martha auch Cousine von Frieders Vater war, somit Frieders Cousine 2.Grades, galt als reichster Verwandter. Didis Hochzeit war das erste große Fest, an welchem Edub Tage vorher teilnehmen durfte.

      Schlosser Bauer erreicht noch rechtzeitig am Eingang zum Markt wieder den Protestzug.

      Zwischenzeitlich macht sich auch Sohn Horn, wie vom russischen Kommandant empfohlen, auf den Weg zu den Demonstranten, wollte Verbindung knüpfen, schlichten. Durch den Hintereingang gelangt er unbemerkt ins Rathaus, mengt sich unter die Revolutionäre auf dem Portal, späht Zeuner aus, stellt sich unbemerkt hinter diesen und flüstert dem, als der Redner endet über die Schulter: „Zeuner! Und nun stimmen wir noch die INTERNATIONALE an“, schwups, war er wieder im Rathaus.

      „Brüder zur Sonne, zur Freiheit…“ versucht Zeuner zu intonieren, nur wenige singen mit, die Melodie stirbt ab.

      Der von Edub am Fenster beobachtete Pistolenschuss des russischen Uniformierten führte dann zum Rückzug der Rebellierenden. Ein Teil von ihnen zog weiter durch die Stadt.

      Der Markt blieb aber weiterhin Mittelpunkt des Aufruhrs. Die aufgelöste Demonstration und die Radiomeldungen des RIAS (Radio im amerikanischen Sektor) hatten sich zwischenzeitlich wie ein Lauffeuer verbreitet. Immer wieder kamen Neugierige zum Markt, bildeten Grüppchen. Auch Sohn Horns junge Frau Ruth schlenderte mit Tochter und Kinderwagen über die untere Marktseite.

      Später - Borchert, stellvertretender Ratsvorsitzender, parteitreuer Redner, versucht vom Rathausportal zu agitieren, wird ausgepfiffen. Der von Edub beobachtete, in weißer Zunftjacke eines Obermeisters gekleidete Konditor legt sich mit Borchert an:

      „Die privaten Handwerker werden besonders schlecht mit Material versorgt! Wir stehen doch bei Euch auf der Abschussliste!“ Die Polizei versuchte Gruppendiskussionen zu ersticken, was nicht gelang, Verstärkung wird angefordert.

      Gegen 18 Uhr kam dann der Russenpanzer. Alles flüchtet in die Seitenstraßen, auch der Schlosser Gerd Bauer mit seiner Didi. Ausgangssperre wird verhängt.

      Der aufregende Tag geht zu Ende. Im RIAS werden noch die Meldungen zum Arbeiteraufstand abgehört. Zeitig gehen Bauers zu Bett. Die neu vermählte Didi wohnt mit ihrem Gerd wegen des Wohnungsnotstandes bei dessen Mutter. Die Rollos haben sie runter gelassen, muss ja nicht jeder in die Parterrefenster gucken können, bemerken deshalb auch nicht den PKW, welcher einsam schräg gegenüber am Abend abgestellt ist, dessen Insassen auf ihren Einsatz warten.

      Beide schlafen fest. Jeder auf seiner Seite liegend, gekrümmt, nur mit Nachthemd zugedeckt. Die Sommerhitze steht noch im Zimmer.

      Plötzlich Getrappel im Korridor - Schritte kommen näher - die Tür wird aufgerissen:

      „Aufstehen, Hände hoch!“

      Mit hartem Griff, verschlafen, wird Gerd Bauer von den Eindringlingen hoch gezerrt: „Hände an die Wand, die Beine auseinander!“ schreit einer, drückt ihm den Pistolenlauf ins Genick.

      Im Nachthemd auf den Korridor gedrängt, müssen beide, Gesicht zur Wand, stehen, währenddessen die Wohnung von drei Geheimpolizisten auf den Kopf gestellt, Fächer und Schränke ausgeräumt, gesucht und immer wieder gesucht wird.

      Proteste werden vom Bewacher, mit entsicherter Pistole hinter den beiden Benachthemdeten höhnisch zurückgewiesen.

      Die Uhr schlägt dreimal:

      „Anziehen, los, los, nur Hose und Jacke, mehr brauchen Sie nicht!“ Die Hose klemmt über dem Nachthemd, die Eindringlinge zerren Gerds Hände nach hinten, stopfen die Arme in die Jackenärmel, schon klicken die Handschellen.

      „Was wollen Sie denn mit meinem Mann?“ verzweifelt bettelt Didi um Verstehen, um Mäßigung.

      „Halten Sie den Mund, sonst kommen Sie auch noch mit!“

      Auf die Straße geschubst, in einen PKW gedrückt, ab ging es mit Gerd Bauer.

      Der Tag X war zu Ende.

      Wie ein Lauffeuer verbreitet sich am folgenden Morgen, dass weitere Kollegen verhaftet wurden. Auch der Konditor Döring war dabei. Es wird gestreikt.

      „Der Gerd ist doch so ein ruhiger Kerl! Außerdem, solchen Einfluss, uns angeblich aufzuhetzen, hat der nicht. Auf den hätten wir schon gar nicht gehört“, war der Tenor der Leute.

      Bauer wurden Verbindungen zum Hetzsender RIAS angedichtet. Er wäre am Sonntag vor dem Tag X dort in Westberlin gewesen, hätte am Tag X von der Ladefläche eines Lasters an die Streikenden aufrührerische Reden gehalten. Der Konditor hätte dem Ratsmitglied Borchert nach dem Rededuell am Rathausportal geohrfeigt, angespuckt. Die Gerüchteküche hat Hochkonjunktur.

      Vier Zeugen gab es dafür, dass Bauer am bewussten Sonntag auf dem Fußballplatz war. Alle Proteste der Kollegen halfen nichts. Logischster Grund für die Stasi-interne Auswahl, ausgerechnet diesen Unschuldigen als angeblichen Provokateur festzunehmen, könnte dessen Schwiegervater, Brunnenbaumeister Kutschenreuter, Edubs Onkel, gewesen sein. Der Kapitalist könne Schlimmes im Schilde führen. Vielleicht wollte

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