DER ÜBERHEBLICHE. Dr. Friedrich Bude
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Am Tag nach dem Einzug der Russen schlich er mit Peter durch den schmalen Hofgang bis zum Zaungitter. Den ganzen Hofkonnten sie, vorsichtig um die Ecke guckend, überblicken. Welch ein Schock:
Im Sonnenschein auf dem Gullydeckel im Hof stand die schöne Glasvitrine aus Omas Korridor mit dem zierlichen Porzellan! Zwischen deren Glasplatten spielten die Russenkinder mit Puppen, stellten diese zu den zierlichen Figuren! So was hätte Frieder nie machen dürfen! Natürlich lag dann auch schon eine kleine Porzellantänzerin kaputt auf dem Hofpflaster.
Als er entsetzt in der neuen Notunterkunft seiner Knorrs Oma diese Untaten berichte, schlägt diese entsetzt die Hände über dem Kopf zusammen. Vati kam zufällig mit der schmutzigen Tischlerschürze vorm Bauch ins Zimmer. Und noch Mal musste er berichten: „Das has’de nu davon, wie kann mo nur so däämlich sein, das Zeug nicht mitzunähm’. Wenn’ch mo überleg, was mo alles durch den Garten rausgeschleppt ham! - Und du lässt dei Porzellan drin!“ Furchtbar hat er sich aufgeregt.
Auf den Tag genau ein Jahr wohnten sie bei der Budens-Oma am Bahnhof.
Als die Russen auszogen, war es wieder spannend.
Vorm Haus stand ein großer Laster. Die Russen schleppten mit eifrigen deutschen Helfern die Möbel raus. Diesmal hat Oma aufgepasst, „wie ein Heftelmacher“: Sie stand aufgeregt im Tor des uns gegenüberliegenden Einganges der Fleischerei. Ihre Wohnzimmerstühle wurden verladen. Kaum waren die Möbelträger wieder im Haus, schwuppdiwupp, war Oma am Wagen, zerrte Stühle vom Wagen, rein in den Hausflur der benachbarten Fleischerei.
Die schweren Möbel nahmen die Besatzer nicht mit. So war ihnen vieles geblieben. Vati zeigte auf die Kerben seines Kirschbaumschrankes:
„Da haben sie die Flaschenköpfe abgeschlagen!“
Jetzt zog die Familie in eine größere Wohnung im Haus mit dem dritten Turm der Stadt - ein Stockwerk tiefer, langer Korridor mit elf Türen!
Das Schönste war, dass sein großer Bruder am Korridorbalken Haken für die Schaukel einschraubte. Er hat ihm das Schaukeln gelehrt, konnte bei den Schwüngen mit den Füßen sogar die Decke berühren. Aufpassen musste man. Auf der einen Seite stand Vatis Meisterstück: ein großer Kleiderschrank, welcher heute noch auf der Datsche in Ehren gehalten wird. Passgenau schließen nach Jahrzehnten Fächer und Türen, so dass eingeklemmte Kleidungsstücke ständigen Ärger verursachen.
Auf der anderen Seite Opas zwei große Standuhren: sein Glanzstück, eine „ganz alte wertvolle“, wie ihm sein großer Bruder erklärte, „die Zahnräder wären von Hand gefeilt“, was das Kindergartenkind natürlich nicht verstand - und Omas Standuhr, welche heute noch den Westminstergong in des Autors Wohnzimmer schlägt.
Wegen der Flüchtlingswelle musste Oma ihre Parterrewohnung aufgeben und bei der Familie mit einziehen.
Kein Mensch hat sich in diesen Umbruchszeiten für die Uhren interessiert, wahrscheinlich landete das Glanzstück später aus Platzgründen in Vaters Möbellager am Bahnhof.
Erst sechs Jahrzehnte später wird Großvaters Attraktion wieder zum Leben erweckt, kommt ihre Besonderheit beim Sichten alter Unterlagen mit der „Deutsche Uhrmacher-Zeitung, Juli 1941“ erneut ans Licht. Sie gibt einen interessanten Einblick in die Familiengeschichte der letzten zwei Jahrhunderte:
Frieders Ur-Ur-Großvater, 1822 geboren, hatte den Bau der bewussten Uhr schon 1848 begonnen. Unfertig wurde diese gegen 1880 von dessen Schwiegersohn, Frieders Urgroßvater, Franz Knorr, fertig gestellt, ging aber nur fehlerhaft, blieb erneut unvollendet.
Dieser Franz Knorr gründete eine wahre Uhrmacherdynastie. Alle vier Söhne errichteten in Ostthüringen, in Kraftsdorf, Weida, Roda und Schmölln Uhren-, Optik- und Goldwarengeschäfte.
Der Zweite, Frieders Großvater Richard Knorr, geboren 1874, eröffnete sein Geschäft 1906 in Schmölln, welches er von Oskert Lückert übernahm, der nach Las Palmas auswanderte. Bereits 1912 konnte er den Altbau aufstocken und mit dem Turm am Markt 7 vollenden.
Er erbte die unvollendete Uhr somit in dritter Generation und hat diese um 1920 zum Laufen gebracht. Das Besondere daran ist, dass das Uhrwerk nur aus drei Rädern und einem sogenannten „ Stiftscherengang“ besteht, so dass die drei Räder ohne Zwischenantrieb die Zifferblätter für Sekunden, Minuten und Stunden antreiben - eine wahre Rarität.
Diese Standuhr schmückte noch 1933 als Ausstellungsstück die Druckerei Böckel vom „Tagesblatt“ auf der anderen Seite der Bahnschienen, gegenüber dem Stellwerk, welches für Frieder als Kind so interessant war. Dort, wo auch seine Großmutter Ernestine früher als Redakteurin schriftstellerte.
Wieder musste mehr als ein halbes Jahrhundert vergehen, bis ein Urenkel von Frieders Großmutter, väterlicherseits, also kein Nachkomme der Knorr-Familie, diese Standuhr im Möbellager Bude entdeckte, aufmotzte und zum Leben erweckte.
Nach gütlicher Familieneinigung der väterlichen und mütterlichen Nachkommen wurde die Uhr der Blutsverwandtschaft zurückgegeben, tickt heute im Wohnzimmer von Frieders Neffen, einem Knorr´schen Urenkel in Jena. Dessen Ur-Ur-Ur-Großvater hatte das Werk 1848 begonnen, durfte es damals als vorgesehenes Meisterstück nicht weiter bearbeiten, weil die Arbeit vor dem offiziellen Prüfungsbeginn schon begonnen wurde.
Winter 47/48, Kriegstagebuch Ernstine Bude:
Wir haben, wie fast alle Mitmenschen keine Kartoffeln mehr, noch keine Butter, keine Nährmittel, keine Waschmittel, keine Schuhe.
Die Leute vertauschen gegen Nahrungsmittel die notwendigsten Wäsche- u. Kleidungsstücke. Wir kauften in diesen Tagen 1 Ltr. Speiseölfür 400 RM, 1 Pfund Schwarztee kostet 1000 RM, 1 Pfund Weizen oder Roggenmehl 25 RM. Ein normaler Wochenlohn beträgt 40 - 50 RM. Die Zustände sind katastrophal. Die Arbeitsleistungen sinken, weil die Menschen keine Kraft mehr haben. Fast 3 Monate konnten wir infolge der großen Kälte nicht arbeiten.. Oster-Sonnabend, ich bekam von ganz fremden Leuten aus Brooklyn (New Yorker Stadtbezirk), die durch Zufall meine Adresse erhalten hatten, ein 8 kg Paket mit allerhand guten Sachen, die wir gar nicht mehr kennen.
Zwei Jahre nach dem Schaukelbau neben der geschichtsträchtigen Uhr: Ohne Abschied blieb der Bruder weg! Gedrückte Stimmung, Mutti tröstet den kleinen Frieder:
„Albrecht ist auf Handwerksburschen-Wanderschaft!“
Als Geselle in Vatis Werkstatt angestellt, musste der auf den Lohn am längsten warten, bekam am wenigsten. Überhaupt war die Familie nicht durch die Tischlerei bevorzugt, eher benachteiligt. Mutter sagte immer: „Bevor Vati bei uns was macht, muss mindestens ein Donnerwetter von mir passieren und dann dauert es noch ein Jahr, bis alles fertig ist.“
Albrecht war nach dem Westen abgehauen, wollte richtig Geld verdienen. Nur Mutti war eingeweiht.
Wenige Wochen nach des Bruders Abwesenheit - die Schwester tat ganz geheimnisvoll: „Frieder, Du hast ein Päckchen mit der Post bekommen!“
Das erste Päckchen, ganz allein für den achtjährigen Knirps?
Klein, mit Packpapier fest verklebt. Auf dem Deckel konnte er seinen Namen buchstabieren. Etwas kleines Buckliges, braun und klebrig, mit durchsichtigem Glitzerpapier