Auswahlband Schicksalsroman 8 Romane in einem Buch September 2018. Cedric Balmore
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Anja krümmte sich wie ein getretener Wurm und hielt sich an der Tür fest. Sybille stand im Hausflur mit funkelnden Augen und wartete auf eine Antwort.
»Das ist es nicht. Natürlich ist Werner fort, aber ich kann einfach nicht. Sybille, ich kann es nicht mehr. Es war einfach zu schrecklich für mich. Versteh’ mich doch richtig! Ich … es sträubt sich alles in mir. Ich bin einfach nicht in der Lage, mitzugehen.«
»So, kneifen willst du also? Hältst dich also für besser, wie? Willst mich womöglich noch verpfeifen, was?«
»Nein, nein, natürlich nicht«, sagte sie rasch und kam einen Schritt näher.
»Natürlich wirst du das bei der nächsten Gelegenheit tun. Aber da kennst du mich schlecht, mitgegangen, mitgehangen, kapiert? Du gehst mit, ich habe dir schließlich aus der Patsche geholfen mit meinem Geld.«
»Sybille, ich kann nicht!«, rief sie gequält.
»So, du kannst nicht! Kannst du mir dann auch sagen, wie du mir das Geld wiedergeben willst?«
»Du bekommst es ganz bestimmt zurück, nur nicht sofort. Hör mich doch: Ich kann es nicht auf einmal bezahlen, aber du bekommst es. Glaubst du, ich bleibe es dir schuldig?«
»Nein, das nicht, aber ich brauche das Geld sofort. Ich kann nicht darauf warten«, erwiderte sie listig.
Anja wusste, dass sie log. Aber was sollte sie machen? Sie saß nun in dieser Klemme und konnte nicht mehr heraus. Ach, hätte sie doch nie auf die Nachbarin gehört. Nie, nie, nie! Aber nun war es zu spät.
»Ich brauche heute noch das Geld, verstehst du. Ich muss die Lichtrechnung bezahlen, und dann habe ich keinen Pfennig mehr. Und bis zum Ersten ist es ja noch ein paar Tage. Du kannst unmöglich von mir verlangen, dass ich hungere.«
»Wann willst du, dass ich mitgehen soll?«, sagte Anja müde. Ihr war nun alles egal.
»Heute, gleich, ich habe dein Kleid schon zurechtgelegt. Komm, sei doch kein Sauertopf! Das erste Mal hat es dir doch so gut gefallen. Und schließ einfach die Augen zu, wenn die Kerls kommen! Denk’ nur an das Geld, das hilft!«
»Wenn ich das tue, komm’ ich mir vor wie eine Nutte«, sagte Anja langsam. »Und bei Gott, ich glaube, wir sind es auch bald, wenn wir nicht aufhören.«
»Du bist bekloppt. Komm lieber in meine Wohnung und zieh dich um! Statt dass du mir dankbar bist, machst du auch noch Zicken. Versteh’ einer die Menschheit.«
Und Anja ging mit. Sie schloss hinter sich die Wohnungstür, zog sich wieder das rote Kleid über und kämmte sich das Haar, schminkte sich und verließ mit der Nachbarin die Wohnung. Auf der Straße nahmen sie ein Taxi. Sie fuhren zur gleichen Nachtbar wie das erste Mal. Der Portier war wieder derselbe und grinste sie vertraulich an. Anja verstand gar nicht, dass sie das erste Mal so aufgeregt gewesen war.
In der Bar selbst war noch nicht viel Betrieb. Einige Männer standen an der Theke und tranken bedächtig. Für einen kurzen Augenblick wünschte sie sich Klaus herbei. Aber dann war sie doch froh, ihn nicht zu sehen. Sie hatte ihm ja versprochen, damit aufzuhören. Der konnte gut reden, der hatte Geld genug, konnte sich wohl eine so fatale Situation gar nicht vorstellen. Ihre Augen wanderten durch den Raum. In einer Nische sah sie zwei hochgewachsene Männer. Sie mussten so alt wie Werner sein. Der eine hatte eisgraue Augen, das konnte sie genau von ihrem Platz aus sehen. Sie sahen zu ihrem Tisch herüber, machten aber keine Anstalten zu kommen.
Das Programm lief, und die Gäste füllten den Raum. Es war ein müdes Programm. Ein kleines junges Ding mit sehr wenig an war auf der Bühne und versuchte einen Stepptanz.
Sybille wurde schon ganz kribbelig, da sich noch immer kein zahlungskräftiger Freier gezeigt hatte.
»Hoffentlich haben wir uns nicht umsonst in Schale geschmissen«, knurrte sie böse vor sich hin.
Ein Hoffnungsschimmer keimte in Anja auf.
»Ist es dir denn schon mal passiert, dass keiner angebissen hat?«
»Bist du verrückt! Natürlich ist noch immer einer gekommen. Schon wegen der Rechnung! Glaubst, ich will das Zeug, das wir da trinken, selbst bezahlen? Hast wohl die Preise in diesem Laden vergessen, wie? Na, prost, ich glaube, da kommt endlich etwas!«
Richtig, in diesem Augenblick sah auch Anja die beiden Männer. Selten kam einer allein. Ganz klar und nüchtern schätzte sie die beiden ab. Alt und wabbelig. Sie schüttelte sich leicht. Sie kamen an ihren Tisch, setzten sich unaufgefordert und begannen gleich ein Gespräch.
»Na, ihr kleinen Vögelchen, so allein? Das passt ja prächtig. Wir suchen schon den ganzen Abend nach netten Mädchen, und hier finden wir euch! Wir dürfen doch bleiben, oder?«
»Natürlich«, girrte Sybille und setzte ihr strahlendstes Lächeln auf. »Wir haben auch schon auf euch gewartet. Ziemlich langweiliger Laden heute hier. Sollen wir mal auf die Pauke hauen?« Gleichzeitig trat sie Anja unter dem Tisch auf den Fuß. Das sollte heißen: Kein so mieses Gesicht zu machen, sondern sich auch an der Unterhaltung zu beteiligen.
Die beiden Männer waren schon nicht mehr ganz nüchtern, wie sie feststellte. Zum Tanzen hatten sie keine Lust. Lieber gemütlich am Tisch sitzen und sich unterhalten. Sie sprachen anfangs ununterbrochen von ihren Geschäften. Aber je mehr sie tranken, umso zudringlicher wurden sie.
Der eine begann Anja ungeniert das Knie zu tätscheln, legte seine große Hand auf ihre Brust. Am liebsten hätte sie ihm grob auf die Finger gehauen. Da waren die beiden vom ersten Abend viel diskreter und charmanter gewesen. Sie schluckte ihren Ärger hinunter und dachte nur an das Geld, wie Sybille ihr geraten hatte.
Dieser schien es nichts auszumachen. Lachend warf sie den Kopf zurück und schmiegte sich an den Mann, als kenne sie ihn schon eine Ewigkeit.
»Kommt, Jungs, ich muss noch etwas trinken, ich verdurste. Wie trocken doch die Luft hier ist!«
»Bist du an dem Umsatz hier beteiligt, Schätzchen?«, fragte sie der Mann.
»Schön wäre es, nein, so eine bin ich nicht. Ich bin nur hier, um mich zu amüsieren, meine Herren. Nicht das, was sie denken. Die vom Hause, die stehen da an der Bar. An den miesen Gesichtern könnt ihr sie erkennen. Wenn man es berufsmäßig macht, ist das nicht mehr schön. Nein, wir sind nur zwei nette Freundinnen, die sich ein wenig amüsieren wollen.«
Wie abgeschmackt und fade das doch alles klang und wie ordinär. Erst jetzt ging Anja so richtig ein Licht auf, wie gewöhnlich Sybille doch im Grunde genommen war. Schon jahrelang betrog sie ihren Mann und amüsierte sich, wenn er auf See war. Ich muss sehen, dass ich so schnell wie möglich von ihr loskomme, grübelte sie.
Sie hatte den Anschluss des Gespräches verpasst. Auf einmal bemerkte sie, wie die drei aufstanden und dem Ausgang zustrebten. Sybille kam zurück und zischte ihr ins Ohr.
»Bist du eingeschlafen, oder was ist mit dir? Wir gehen jetzt, hast du kapiert?« Sie warf ihr nur einen kalten Blick zu und stand auf.
»Das Eine sage ich dir jetzt schon, Sybille, sobald ich dir das Geld zurückgezahlt habe, mache ich nicht mehr mit. Es ist ja zum Kotzen!«
»Glaubst