Bloody Marys - das Leben birgt ein tödliches Risiko. Sabine Ludwigs
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Für die Kinder im Haus bin ich die „gute Tante“, so nennen sie mich. Ich habe immer ein paar Bonbons für sie und viel Zeit. Mehr Zeit als die Eltern. Das wissen sie, und deshalb kommen sie zu mir. Und ich freue mich. Das bringt ein bisschen Leben in meine Wohnung. Vielleicht ist das auch nur, weil ich selber keine Kinder habe. Vielleicht hole ich sie mir deshalb von der Straße. Das Mädel aus dem vierten Stock war auch oft bei mir. Eine ganz besonders Aufgeweckte war das. Kommandierte selbst die älteren Jungen von der Straße herum. Aber es gab auch Zeiten, da war sie richtig scheu. Drückte sich an meiner Tür vorbei mit den klappernden leeren Flaschen, für die sie volle holen musste, und sagte kein Wort, wenn ich die Tür einen Spalt öffnete. Das wusste doch jeder im Haus, dass der Stiefvater tagsüber, wenn die Mutter arbeitete, seine Geliebte mit hoch in die Wohnung nahm und das Mädel dann auf die Straße schickte. Die hatte es nicht leicht, die Kleine. Eine Mutter, die trinkt, und ein Stiefvater, der mit anderen Frauen im Bett liegt. Wie soll das denn so ein kleines Mädchen verkraften?
Ich hätte nie geglaubt, dass das nicht seine leibliche Tochter ist. So stolz hat er sie überall rumgezeigt. „Das wird mal ein Klasseweib“, hat er immer gesagt. „Guck sie dir genau an, Friedrich. Ein Klasseweib wird das.“ Und dann hat er ihr immer gesagt, sie soll mal vor uns auf und ab gehen. Und ich musste immer sagen, dass ich das auch fände, dass sie mal ein Klasseweib wird. Und ob sie ihren Papi auch lieb hat, hat er sie immer gefragt. Und wenn sie nicht gleich geantwortet hat, die Kleine, dann hat er mit den Zähnen geknirscht, so lange, bis sie gesagt hat, was er hören wollte. Der war vielleicht stolz auf sie. Richtig verliebt war der in die Kleine. Das hätte ich nie gedacht, dass das nicht seine leibliche Tochter war.
Sie können ruhig alles wissen. Jetzt, wo es vorbei ist. Ich steh zu dem, was ich getan habe. Hundertprozentig. Das hab ich doch für die Kleine getan. Was blieb mir anderes übrig? Hätte ich zusehen sollen, wie er nach mir auch noch die Kleine kaputt macht? Ich hab doch alles versucht, um von ihm wegzukommen. Zweimal hab ich die Kleine zu Verwandten geschickt, und jedes Mal hat er ihr wieder aufgelauert und sie nach Hause zurückgebracht. Und ich hab wieder gekuscht vor ihm, um es nicht alles noch schlimmer zu machen für die Kleine. Natürlich habe ich getrunken. Auch harte Sachen. Ich war doch am Ende. Ich wusste mir keinen Rat. Aber die Kleine wollte ich doch beschützen vor ihm. Und die anderen haben mir das alle nicht geglaubt. Keiner wollte das glauben. Meine eigene Schwester hat gedacht, ich wär’ verrückt, als ich ihr gesagt habe, dass ich Angst habe um die Kleine. Angst, dass er sich an ihr vergreift. Das war doch längst nicht mehr normal, wie der sie immer angeguckt hat. Sie musste mit ihm zusammen baden. Und sie hat geweint und ist zu mir gelaufen. Sie wollte nicht mehr mit ihm in die Badewanne. Das hat er dann eingesehen, dass sie nicht mehr wollte. Aber von da ab musste sie ihm den Rücken schrubben. Da half nichts. Und als sie auch das nicht mehr wollte, kam sie heulend zu mir in die Küche. Da bin ich dann rein zu ihm ins Badezimmer. Und da lag der Rasierer auf dem Waschtisch gleich neben der Badewanne. Ich brauchte ihn nur einzustöpseln und in das Wasser zu werfen. Ich musste das einfach tun. Ich konnte nicht anders. Das war dann das Ende. Leid tut mir das nicht. Kein bisschen. Das hätte ich schon viel eher tun sollen, dann wär’ der Kleinen einiges erspart geblieben.
Affekt
Sabine Ludwigs
Das Restaurant lag verwaist da. Bis zum Mittagstisch blieben mir noch drei Stunden. Es war ein eigenartiges Gefühl, hier zu sitzen und auf Gabi Muchler zu warten. Vermutlich würde sie jeden Moment durch den Lieferanteneingang hereinkommen. Vorausgesetzt, sie hatte heute den gleichen Brief im Postkasten gehabt wie ich.
Ich wusste, was sie sagen würde. Dasselbe wie immer, wenn wir uns sahen.
Die Hintertür quietschte in den Scharnieren, kurz darauf stand sie da. Bleich wie eine Erscheinung, in der bebenden Hand einen Umschlag. Fragend schaute sie mich an.
Stumm deutete ich auf ein identisches Kuvert auf dem Tisch.
Die Zeugenladung vom Schwurgericht Dortmund.
Sie sank auf einen Stuhl, flüsterte wie erwartet: „Diesen Anblick werde ich nie vergessen. Wie er da kniete, bleich, die Haare wild in die Stirn, das blutige Messer in der Hand, und auf dem Boden die junge Frau, die sich mit letzter Kraft gegen ihren Mörder wehrt.“
Gegen ihren Mörder …
O ja, er hatte sie getötet.
Zweifellos.
Aber ich bin mir sicher, dass er bis heute nicht begriffen hat, wie es dazu kam.
Genauso wenig wie Gabi Muchler.
Vor ziemlich genau zwei Jahren haben Andreas und ich den kleinen Hof in Asseln gekauft und unsere gesamten Ersparnisse hineingesteckt. Das Gehöft lag ganz zwischen Äckern, Feldern und Baumgruppen. Niemand hätte vermutet, dass man sich hier mitten im Ruhrpott befand.
Hier wollten wir uns den Traum von der Selbstständigkeit erfüllen. Biologischer Anbau von Kartoffeln, darauf spezialisierten wir uns. Unsere Kartoffelsorten wie Charlotte, Rosara, Alva und Sava lagerten wir kühl in Holzkisten in der eigens dafür umgebauten Scheune. So konnten wir unseren Kunden das ganze Jahr über 1A-Ware bieten. Je nach Jahreszeit, boten wir auch unterschiedliche Kohl- und Salatsorten, sowie Zwiebeln und Gemüse an.
Ein hartes Brot, wie wir bald feststellten. Wenn die Kartoffeln nicht von der Kraut- und Knollenfäule vernichtet wurden, verdorrten sie in der Sommerhitze oder erfroren, weil es im Frühjahr noch einmal Frost gab. Mehr als einmal bereute ich, dass ich meinen Job als Krankenschwester aufgegeben hatte.
Eines Tages kam Andreas die Idee mit dem Restaurant.
„Du kannst klasse kochen, Britta. Wir sitzen an der Quelle. Warum nicht zusätzlich Küche rund um die Kartoffel anbieten?“
Was soll ich sagen? Die „Tolle Knolle“ lief von Anfang an prächtig und mauserte sich rasch zu einem Geheimtipp. „Wir müssen uns nach einer Hilfskraft umsehen“, stellte ich schon bald erfreut fest.
Wir entschieden uns für Ewa Górniak, eine bildhübsche Polin. Sie war Medizinstudentin und wollte sich bei uns etwas dazu verdienen. Viel zahlen konnten wir nicht und boten ihr stattdessen Kost und Logis an.
Ewa sagte zu.
Sie gefiel vor allem den männlichen Gästen. Bei den Frauen war das ganz anders. Die musterten immer gleich Ewas lange blonde Haare, das zu freizügige Dekolleté