Die neuen Reiter der Apokalypse. Michael Ghanem
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Bei der Verwendung des Begriffes Neid ist daher stets kritisch zu hinterfragen, ob er nicht von der bevorteilten Seite zur Diskreditierung des Gerechtigkeitssinnes der benachteiligten Seite im Sinne eines Kampfbegriffes verwendet wird im Sinne von: „Neid ist das böse Wort, das die Reichen für den Gerechtigkeitssinn der Armen verwenden.“
Ein Beispiel hierfür ist die Bezeichnung emanzipatorischer Bewegungen (historisch z. B. der Arbeiterbewegung) als Neid statt als Gerechtigkeitssinn. Im Sinne der Hauptbedeutung des Begriffes Neid ist dies zwar korrekt, die Konnotation des Nichtgerechtfertigt-Seins der Forderung führt aber ebenso wie die häufig unausgesprochen mitschwingende Unterstellung destruktiven Neides (im Allgemeinen bewusst) zu einer Verunglimpfung der Angesprochenen und stellt damit die Forderung nach einem sozialen Ausgleich als egoistischverwerflich und damit illegitim dar.
Aus psychologischer Sicht resultieren sowohl der konstruktive als auch der destruktive Neid aus dem Bedürfnis des Menschen, seinen Selbstwert zu maximieren und seine relative Position in der sozialen Hierarchie zu verbessern. Psychologische Studien und Untersuchungen zum Neid beziehen sich daher häufig auf die Theorie der Aufrechterhaltung der Selbstbewertung von Abraham Tesser und die Theorie des sozialen Vergleichs von Leon Festinger.
Destruktiver Neid: Rezeption und Folgen
Von den beiden Ausprägungsformen von Neid – destruktiv und konstruktiv – gilt nur der destruktive Neid als ethisch/moralisch verwerflich.
Dies ist insbesondere deswegen der Fall, da dieser mit Missgunst verbunden ist und damit im Allgemeinen (begriffskonstituierende) destruktive Emotionen oder Handlungen nach sich zieht wie z. B. Hass, Schadenfreude, Denunziation, Verrat, Sabotage, üble Nachrede und in letzter Instanz für den Beneideten sogar gefährlich werden kann.
Destruktiver Neid wird in vielen Fällen verschwiegen oder geleugnet, da er ein Eingeständnis der Unterlegenheit gegenüber der beneideten Person bedeutet.
„Neid entsteht aus Schwäche, Kleinmut, mangelndem Selbstvertrauen, selbstempfundener Unterlegenheit und überspanntem Ehrgeiz, deswegen verbirgt der Neider seinen unschönen Charakterzug schamhaft. Er lehnt lauthals ab, es dem Beneideten gleichzutun. … geht es ihm an den Kragen, genießt der Neider stille Schadenfreude.“ – Götz Aly
Konstruktiver Neid: Rezeption und Folgen
Konstruktiver Neid gilt als neutrale Emotion, da er keine destruktiven Emotionen oder Handlungen nach sich zieht. Ein Eingeständnis konstruktiven Neids wird in der Tendenz als Zeichen innerer Größe rezipiert.
Konstruktiver Neid kann zweierlei bedeuten:
Wohlwollende bewusst geäußerte Anerkennung des Vorteils der beneideten Person. Dies ist insbesondere bei grundsätzlich positiver Grundeinstellung der beneideten Person gegenüber möglich. Es besteht im Allgemeinen keine Absicht, die Ungleichheit zu beseitigen, in vielen Fällen, weil dies aussichtslos ist.
Ein Beispiel für diese Situation ist ein Großvater, der seine Enkeltochter für ihre Jugend, Gesundheit und Unbeschwertheit beneidet. Er missgönnt ihr diese Zustände nicht und würde sie ihr auch nicht wegnehmen wollen, wenn das ginge. Er erfreut sich sogar daran. Aber er würde sagen, dass er sie dafür beneide, weil er auch gerne noch einmal so jung, gesund und unbeschwert wäre.
Bemühungen seitens des Neiders, selbst die geneideten Güter zu erlangen. Dies motiviert im Allgemeinen zu erhöhter Leistung und ist damit im Rahmen der marktwirtschaftlichen Gesellschaftsform von Vorteil. Hier zeigt sich der Neid als Ehrgeiz, ein Gut (ebenfalls) erreichen zu wollen.
Neid in Soziologie und Verhaltensforschung
Bereits Gustav Ratzenhofer hat 1899 den „Brotneid“ als einen grundsätzlichen sozialen Antrieb („Urkraft“) konstatiert. Helmut Schoeck hat dann den Neid geradezu zum Schlüsselbegriff der Soziologie erklärt. Er war überzeugt, dass erst die Furcht vor zerstörerischem Neid anderer das Zusammenleben in größeren Gruppen ermögliche. Menschen versuchen sich vor diesem Neid zu schützen, unter anderem, indem sie Hab und Gut miteinander teilen. So wurde der Neid der Götter etwa mit Opfergaben zu besänftigen versucht.
In seinem 1966 erschienenen Standardwerk Der Neid und die Gesellschaft postulierte Schoeck, dass kein anderes Motiv so viel Konformität erzeuge wie die Furcht, bei anderen Neid zu erwecken und dafür geächtet zu werden. Erst durch die Fähigkeit, sich gegenseitig durch den Verdacht auf Neid zu kontrollieren, sei die Bildung von Gruppen mit unterschiedlichen Aufgaben sozial möglich geworden. Ebenso konstatierte der französische Psychiater François Lelord, dass Neid ein wichtiger Mechanismus im Zusammenleben von Gruppen sei.
Als eher umgangssprachlicher Begriff bezeichnet „Sozialneid“ den Neid in einem sozialen Milieu auf eine – auch nur vermeintlich – besser gestellte andere Gruppierung (Bezugsgruppe). Er bezieht sich auf Privilegien (etwa Macht- oder Genussmöglichkeiten). Bereits Aristoteles postulierte einen gerechten Neid bei ungleicher Verteilung der Güter. Der Psychoanalytiker Rolf Haubl unterscheidet zwischen dem negativen feindseligschädigenden und depressivlähmenden und dem positiven ehrgeizigstimulierenden und empörtrechtenden Neid, der das Gerechtigkeitsgefühl anrege und auf Veränderung dränge.
Studien mit Kapuzineraffen um Frans de Waal an der Emory University zeigten in der Verhaltensbiologie eine Verweigerungshaltung bei benachteiligten Tieren. Die Forscher spielten mit den Affen und belohnten sie mit unterschiedlichen Leckereien. Boten die Forscher etwa einem Tier leckere Trauben und dem anderen lediglich ein Stück Gurke, verweigerte letzteres eine weitere Zusammenarbeit in dem Spiel.
Ein Forscherteam um den Bonner Neuroökonomen Armin Falk verglich in Experimenten unter einem Kernspintomographen die Gehirnaktivität von menschlichen Probanden. Er sieht einen Beleg für seine These, dass Menschen Belohnungen immer im Vergleich sehen.
Der Zürcher Ökonom Ernst Fehr vertritt die Auffassung, dass eine milde Form des Neides ein emotionales Grundbedürfnis des Menschen sei. Diesbezügliche Forschungen zeigen demnach auf, dass Menschen bescheidene Vermögensverhältnisse bevorzugen, wenn sich diese zumindest nicht wesentlich von denen anderer Menschen unterscheiden und ein für sie höheres Einkommen nur mit im Vergleich dann deutlich höheren Einkünften anderer verbunden wäre. Dieser neidbedingte Antrieb ende laut Fehr allerdings abrupt beim Erlangen der vorher beneideten Position der Bessergestellten; die erlangte Position werde nun gegenüber anderen verteidigt und als befriedigend empfunden. Das Gefühl des Neides diene somit primär nur der Befriedigung der eigenen egoistischen Bedürfnisse und weniger einem allumfassenden Wunsch nach Gerechtigkeit. Neid in Form des Verübelns der Besserstellung anderer bei gleichzeitiger Begehr desselben Status für sich erfülle damit die Kriterien der Doppelmoral.
Der Historiker Götz Aly sieht im Neid eine wesentliche Ursache für das besondere Erstarken des Antisemitismus in Deutschland:
„Die in ihrer Entwicklung sehr viel langsameren christlichen Deutschen beneideten die Juden um ihre Weltläufigkeit, Urbanität und Auffassungsgabe, um ihr kaufmännisches Geschick und ihre Bildung. 1848 hieß es in einem Überblick zur Lage der israelitischen Minderheit: »Die teilweise Wohlhabenheit und besondere Erwerbsgeschäftigkeit der Juden ist es, die ihnen die Angriffe dieser Stände auf den Hals zieht, welche sich durch solche Geschäftigkeit benachteiligt fühlen.«“
Die Wirtschaftswissenschaftler Daniel Zizzo und Andrew Oswald von der Universität Warwick wiesen in einem computersimulierten Glücksspiel nach, dass nahezu zwei Drittel aller Teilnehmer Gebrauch