Die neuen Reiter der Apokalypse. Michael Ghanem
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Definitionsansätze
Die Definition von absoluter Armut gilt auch für Indigene und besonders für indigene Frauen, obwohl das Kriterium Armut in manchen Gemeinschaften für die soziale Selbsteinschätzung nicht wesentlich ist.
In den modernen Industriestaaten wird Armut häufig ausschließlich quantitativ auf Wohlstand und Lebensstandard bezogen, obwohl sie sich tatsächlich nicht auf das Fehlen materieller Güter reduzieren lässt. Das Verständnis von Armut unterscheidet sich in verschiedenen Gesellschaften. So bezeichnen sich beispielsweise Angehörige indigener Gemeinschaften erst dann als arm, wenn sie mit der enormen Vielfalt moderner Wirtschaftsgüter konfrontiert werden. Prinzipiell ist Armut ein soziales Phänomen, das als Zustand gravierender sozialer Benachteiligung verstanden wird. Die damit verbundene „Mangelversorgung mit materiellen Gütern und Dienstleistungen“ wird jedoch äußerst unterschiedlich beurteilt. So hat sowohl die Entwicklungspolitik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als auch die aktuelle wirtschaftliche Globalisierung das ökonomische Tun traditioneller Subsistenzwirtschaften prinzipiell als „Armut“ deklariert. Damit wird das Produzieren, Verarbeiten und Vermarkten für die unmittelbare Versorgung mit einem Zustand gleichgesetzt, der aus Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit oder Unterdrückung folgt. Ein für Armut ist typischerweise das Haushaltseinkommen, obgleich häufig damit die mangelnde Ausstattung mit wirtschaftlichen Ressourcen gemeint ist. Auch dies führt dazu, dass Selbstversorger – auch wenn sie materiell und sozial keinen Mangel leiden – zwangsläufig zu den Armen gerechnet werden. Zur Abgrenzung sollte man hier konkreter von „wirtschaftlicher Armut“ sprechen. Armut und Reichtum sind Gegenpole. Die im Folgenden beschriebenen Definitionen stehen ausnahmslos vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Armut nach westlichem Verständnis.
Absolute und relative Armut
Zu wirtschaftlicher Armut im engeren Sinne gibt es zwei grundsätzlich verschiedene Festlegungen. Zum einen die absolute Armut, bei der einer Person weniger als 1,90 PPP-US-Dollar pro Tag zur Verfügung stehen, zum anderen die relative Armut, bei der ein Einkommen deutlich unter dem mittleren Einkommen eines Landes oder Staates liegt. Die erste Form ist heute in Industriestaaten seltener, dominiert aber die Situation in Schwellen- und Entwicklungsländern. In diesen kann es im Extremfall vorkommen, dass eine Person zwar absolut, nicht aber relativ arm ist. Die zweite Form betrifft definitionsbedingt in praktisch jedem Staat einen Teil der Bevölkerung. Sowohl absolute als auch relative Armutsgrenzen sind nicht ohne normative Vorgaben zu bestimmen. Weder die Wahl eines bestimmten Prozentsatzes vom Durchschnittseinkommen zur Bestimmung relativer Armut noch die Bestimmung eines Warenkorbes sind wertfrei begründbar. Deshalb wird über sie in politischen Prozessen entschieden.
Absolute Armut
Um einen Überblick über die Probleme der Entwicklungsländer zu ermöglichen, hat der ehemalige Präsident der Weltbank, Robert Strange McNamara, den Begriff der absoluten Armut eingeführt. Er definierte absolute Armut wie folgt:
„Armut auf absolutem Niveau ist Leben am äußersten Rand der Existenz. Die absolut Armen sind Menschen, die unter schlimmen Entbehrungen und in einem Zustand von Verwahrlosung und Entwürdigung ums Überleben kämpfen, der unsere durch intellektuelle Phantasie und privilegierte Verhältnisse geprägte Vorstellungskraft übersteigt.“
Die absolute Armutsgrenze ist bestimmt als Einkommens- oder Ausgabenniveau, unter dem sich die Menschen eine erforderliche Ernährung und lebenswichtige Bedarfsartikel des täglichen Lebens nicht mehr leisten können. Die Weltbank sieht Menschen, die weniger als 1,90 PPP-US-Dollar pro Tag zur Verfügung haben, als „arm“ an. Betteln und Hunger(-tod) gehen somit unmittelbar mit dem Begriff der absoluten Armut einher.
Kritiker merken an, dass die unterschiedlichen Lebensverhältnisse in einer Gesellschaft unberücksichtigt blieben und insbesondere nach dem Indikator der Weltbank, den Kaufkraftparitäten, dass nach dessen durchschnittlichen Warenkorb die relativ günstigen Dienstleistungen berücksichtigt würden, die allerdings von den Ärmeren einer Gesellschaft nicht in Anspruch genommen werden können. Dadurch gälten weniger Betroffene als arm.
Indikatoren der absoluten Armut nach der International Development Association (IDA)
• Pro-Kopf-Einkommen (PKE) < 150 US-$/Jahr
• Kalorienaufnahme je nach Land < 2160–2670/Tag
• Durchschnittliche Lebenserwartung < 55 Jahren
• Kindersterblichkeit > 33/1000
• Geburtenrate > 25/1000
Relative Armut
Der Begriff der relativen Armut bedeutet Armut im Vergleich zum jeweiligen sozialen (auch staatlichen, sozialgeographischen) Umfeld eines Menschen. In diesem Zusammenhang bezieht sich relative Armut auf verschiedene statistische Maßzahlen für eine Gesellschaft (zum Beispiel auf den Median des gewichteten Nettoäquivalenzeinkommens). Relative Armut macht sich auch durch eine soziokulturelle Verarmung bemerkbar, womit eine fehlende Teilhabe an bestimmten sozialen Aktivitäten als Folge des finanziellen Mangels gemeint ist (wie z. B. Theater- oder Kinobesuch, Klassenfahrten).
Transitorische und strukturelle Armut
Armut kann zeitweise oder dauerhaft vorhanden sein.
Transitorische (vorübergehende) Armut gleicht sich für den Betroffenen im Verlauf der Zeit wieder aus. Das ist der Fall, wenn zu bestimmten Zeiten die Grundbedürfnisse befriedigt werden können, zu anderen Zeiten aber nicht. Das kann zyklisch schwanken, wie Zeiten kurz vor der Ernte oder in einer jungen Ehe, oder auch azyklisch, zum Beispiel durch Katastrophen. Dem entgegen steht der Begriff der strukturellen Armut. Diese liegt vor, wenn eine Person einer gesellschaftlichen Randgruppe angehört, deren Mitglieder alle unter die Armutsgrenze fallen, mit sehr kleinen Chancen, aus dieser Randgruppe herauszukommen. Ein Beispiel ist die Bevölkerung von Elendsvierteln. In Verbindung damit wird oft von einem „Teufelskreis der Armut“ oder „Armutskreislauf“ gesprochen: Ohne Hilfe von außen werden die Nachkommen der in struktureller Armut lebenden Menschen ebenfalls ihr Leben lang arm sein (zum Beispiel mangelnde sexuelle Aufklärung, die zu frühen Schwangerschaften führen kann und fehlender Ausbildung führen kann, aber auch Benachteiligung wegen der Wohnsituation).
Bekämpfte und verdeckte Armut
Bekämpfte Armut beinhaltet verschiedene Maßnahmen, insbesondere in den westlichen Industrienationen, in denen versucht wird, die Konsequenzen der Armut abzumildern. Dazu zählen im Feld der Sozialpolitik neben der Bekämpfung durch Sozialleistungen, die kompensatorische Erziehung und die Einrichtung von Suppenküchen, Tafeln, Kleiderkammern und Notunterkünften. Zu dieser sogenannten bekämpften Armut kommt noch die verdeckte Armut von Personen, die einen Anspruch auf eine Grundsicherungsleistung hätten, diesen aber nicht geltend machen.
Kritik
Die Definitionsansätze von Armut unterliegen verschiedenen Kritikpunkten.
Methodische und politische Kritik
Es wird diskutiert, dass den Armutsberichten ein Herrschaftsverhältnis eingeschrieben ist, da von den verfassten Armutsstatistiken oftmals abhängt, wer Zugang zu Wohlfahrtshilfen erhält und wer nicht. Objektive Maßzahlen lassen sich dabei nicht konstruieren. Wo die Armutsgrenze verläuft und wie viele Menschen unterhalb dieser Grenzziehung verortet werden,