Ein einzigartiges Lied.. Heiko Wenner
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Ein einzigartiges Lied. - Heiko Wenner страница 4
Die gefälschte Unterschrift und ihre Konsequenzen
Einmal hatte ich wieder eine Fünf im Diktat und ich wusste genau, wenn dies mein Vater erfuhr, dass es wieder Prügel gab. Bei uns zu Hause wurde der Lernstoff bei schlechten Leistungen eingedroschen und gute oder gar sehr gute Leistungen gar nicht oder nur selten gelobt, denn diese waren selbstverständlich.
Um diesen Prügeln erst einmal zu entkommen, kam mir der Gedanke einfach den Unterschriftenstempel meiner Mutter für die Abzeichnung zu verwenden, denn bei meiner Lehrerin, musste jede schriftliche Prüfung von einem Elternteil unterschrieben werden. Natürlich flog dieses Täuschungsmanöver auf, woraufhin meine Lehrerin bei meiner Mutter vorsprach. Dieser Abend war kein guter Abend für mich. Seelisch und moralisch vorbereitet gab ich mich den Schlägen meines Vaters hin. Er versohlte mich mit seinem Rohrstock so stark, dass ich mich über zwei Wochen nicht richtig bewegen konnte. Ich war am ganzen Körper grün und blau geschlagen. Das schlimmste war aber, dass er mir während der Prozedur den Mund zu hielt, so dass ich Angst hatte zu ersticken. Ich weinte nicht, ich schrie nicht, ich gab mich den Schlägen einfach hin und versuchte irgendwie mich vor dem Ersticken zu retten, indem ich seine Hand von meinem Kehlkopf wegdrückte, um immer, wenn ich es schaffte, tief Luft für die nächste Attacke zu holen. Irgendwann war auch er erschöpft und hatte keine Lust oder Kraft mehr. Ich bekam dann noch für vier Wochen Hausarrest und Fernsehverbot. Im November 1971 kam dann meine Schwester Nicole zur Welt. Zwischenzeitlich hatte ich meine Auffassung von Lernen drastisch geändert und tat alles, um von dieser Grund- und Hauptschule in Biebesheim, zur Realschule nach Gernsheim zu wechseln. Dazu musste ich einige Prüfungen ablegen, um dort aufgenommen zu werden, denn in der Grundschule stand ich mit zwei Fünfen im Zeugnis auf der Kippe, überhaupt in die nächste Klasse versetzt zu werden. Ich schaffte alle Prüfungen mit Bravour und durfte ab dem Herbst 1971 in die Realschule gehen. Ab diesem Zeitpunkt ging es mit den Noten nur noch bergauf. Ich hatte richtig Freude am Lernen und mein Klassenlehrer Herr Fiedler, verstand es mir den Lernstoff spannend zu vermitteln. Nur meine Eltern waren mit meinem Notendurchschnitt nicht zu frieden. Sie wollten nur noch Bestleistungen und „Einsen“ sehen.
Die zerbrochene Angelausrüstung
Neben der Schule und den flexiblen Einsätzen auf dem Bauernhof meiner Großeltern, ging ich mit meinem Freund Ernst am Rhein angeln. Er besaß einen Angelschein und ich durfte oft mit ihm fischen gehen. Nachdem ich das richtig beherrschte, kaufte ich mir von meinem eigenen Geld ein komplettes Angel-Set.
Die von meinen Eltern erhofften schulischen Bestleistungen hielten sich in Grenzen. Ich fand mich, gegenüber den Leistungen, die ich in der Grundschule brachte, jetzt richtig gut. Meine Eltern konnten meine Euphorie, was die Zeugnisnoten betraf, nicht mit mir teilen. Als mein Vater das Jahreszeugnis sah, lief er wütend in den Stall, wo ich meine Angelausrüstung aufbewahrte und zerbrach die Angelruten in drei Teile, zertrat den Angelkasten und warf ihn mit dem gesamten Inhalt in den Mülleimer. Mit den Worten „Ich zeig Dir, wie man angelt“, bekam ich dann wieder eine gehörige Portion Prügel und die gesamten Sommerferien über Hausarrest und Fernsehverbot.
Als zusätzliche Strafe dachte sich mein Vater noch eine besondere Zugabe aus. Ich sollte jeden Tag 50 Seiten aus einem von ihm ausgewählten Buch lesen und ihm abends den Inhalt des gelesenen Stoffes vortragen. Mein Vater war hier seiner Zeit voraus. Heute gibt es hierfür Hörkassetten oder Hörbücher. Ich war für ihn im altherkömmlichen Sinne ein moderner Tonträger.
Ich versuchte ihn zu täuschen, indem ich den Text nicht las und ihm abends einfach eine selbsterfundene Geschichte aus dem Buch „Fury“ erzählte. Das klappte genau zwei Mal und danach hatte ich ein wirkliches Problem. Mein Vater hatte sich in der Tat am Vorabend die Zeit genommen und die Geschichte, die er mir am nächsten Tag als Lesestoff auftrug, gelesen. Er hörte sich aufmerksam meinen Vortrag an, holte den Rohrstock hinter dem Radio hervor und schlug auf mich ein. Meine Aufgabe bestand ab diesem Zeitpunkt darin, 100 Seiten jeden Tag vortragen zu müssen. Das war für mich als langsamer Leser eine wahre Meisterleistung, die mich mehr als einen halben Tag meiner Freizeit kostete.
Der Pudel und die Zahnspange
Irgendwann kamen meine Eltern auf die Idee, sich noch einen Hund anzuschaffen. Es war ein silbergrauer Zwergpudel mit dem Namen „Terry“, der nun der Schoßhund meiner Mutter war. Das Ausführen von Terry überließ meine Mutter natürlich uns. Dieses Tier war total verwöhnt und bekam nur die besten Leckerlis zu fressen. Zu dieser Zeit musste ich oft zum Zahnarzt. Da mein Kiefer zu eng war, wurden mir vier gesunde Zähne gezogen und ich musste eine Spange tragen. Unser Zahnarzt stand damals schon kurz vor dem Rentenalter und es schien mir, dass er seit der Eröffnung seiner Praxis seine Geräte nie erneuert hatte. Der Bohrer wurde noch über Fußpedale angetrieben. Da die Türen zum Wartezimmer nicht Schalldicht waren, konnte ich die leidenden Schreie der Behandelten draußen miterleben. Ich war schon psychisch fertig, bevor ich überhaupt auf dem museumsreifen Behandlungsstuhl Platz nehmen konnte. Auch die Zangen schienen direkt aus der Nachkriegszeit zu stammen. Es war für mich schon ein Horror, wenn der nächste Zahnarzttermin anstand. Die Räume glichen einer Folterkammer.
Thorsten mit Terry
Hinzu kam, dass mein Vater immer darauf bedacht war, Geld einzusparen. Nach dem Motto „viel hilft viel“ justierte er meine Spange. Anstatt, wie vom Arzt empfohlen, im zweiwöchigen Abstand die Drähte um eine halbe Umdrehung enger zu stellen, machte er drei ganze Umläufe. Die Schmerzen konnte ich anfangs kaum ertragen. Meine Spange legte ich tagsüber immer an die gleiche Stelle auf der Fensterbank in der Küche ab. Eines Tages war sie verschwunden. Ich suchte sie überall und konnte sie zunächst nicht finden. Erst als ich bemerkte, dass unser verwöhnter Pudel anfing zu winseln und zu würgen, hatte ich eine Ahnung, was geschehen war. Terry hatte meine Spange im Maul und bekam sie nicht mehr raus. Es war für mein Vater auch nicht leicht, diesem vor Angst knurrenden und wehrhaften Hund, die Spange aus seinem Kiefer wieder zu entfernen. Nach mehreren Anläufen schaffte er es dann. Die Spange wurde kurz abgespült und mir zum Tragen übergeben. Nach den Ferien meldete mich meine Mutter im Fußballverein an. Das tat sie auf Empfehlung von Herrn Waigel, ein Diakon unserer evangelischen Kirchengemeinde. Er trainierte die Jugendmannschaft des KSV Biebesheim. Im Training mussten wir immer mit dem Ball auf einen mit Steinen gefüllten Koffer hin trippeln und diesen dann aus einer Entfernung von 3 Metern versuchen zu treffen. Samstags waren dann meistens Spiele gegen andere Mannschaften des Kreises, die wir häufig in zweistelliger Höhe verloren.
Meine bislang größte menschliche Enttäuschung
Meine schulischen Leistungen wurden zusehends besser und ich bekam immer mehr Spaß und Interesse mir mehr Wissen als erforderlich anzueignen. Mit meinem Freund Holger Buchhaupt ging ich oft nach der Schule an die Kiesgruben der näheren Umgebung. Dort wurde Kies geschürft. Auf langen Förderbändern wurde der aus der Tiefe geschürfte Sand und Kies in große Silos befördert. Vorher wurde er durch mehrere Siebe geleitet, so dass zu große Steine und Gegenstände ausgeworfen und zu einer separaten Halde durch ein Fördersystem transportiert wurden. Das war unser Eldorado, denn dort fanden wir versteinertes Holz, Mahl- und Stoßzähne von Mammuts und einmal sogar den Schädel eines Urpferdchens. Holger wusste genau, wo es was zu finden gab und so fuhren wir oft auch nach Gernsheim zu den Baugebieten, wo die Bagger zum auskoffern der Keller noch zu Gange waren. In Gernsheim bestand zu Römerzeiten eine Römersiedlung und wir haben dort großartige Funde, von Tontöpfen bis zu Münzen nach Hause gebracht. Meine Schätze bewahrte ich in dem Kellerraum meiner Großmutter Rosa auf. Holger wurde sogar von seinen Eltern unterstützt und er durfte den Großteil der elterlichen Kellerräume zur Aufbewahrung seiner Funde nutzen. Diese waren in Glasvitrinen gelagert. Holger sammelt heute noch und hat eines der größten privaten prähistorischen Sammlungen Hessens.
Holger sammelte