Ein einzigartiges Lied.. Heiko Wenner
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Meine Großmutter nahm sich schließlich der Sache an und klemmte sich dahinter. Zum vorgegebenen Prüfungstermin fuhr sie mit dem Zug nach Darmstadt, um diese Prüfungen abzulegen. Sie war damals die älteste Prüfungsteilnehmerin, bestand aber auf Grund ihrer bereits jahrelangen Erfahrung die Tests und mündliche Prüfung auf Anhieb. Sie hatte mit ihrem Einsatz die Existenz und Fortführung des Betriebes gesichert und klopfte sich selbst stolz auf die Schultern, da es ja sonst keiner machte und von der Familie alles was sie tat als selbstverständlich angesehen wurde. Sie wollte sich für das Gelingen etwas Gutes tun und bedankte sich für ihre großartige Leistung mit einem Speiseeis. Sie verlor dabei die Zeit aus ihren Augen und verpasste den Zug, so dass sie erst zwei Stunden später als erwartet zu Hause ankam.
Großmutter Elisabeth
Was nun geschehen würde, konnte sie sich im Vorfeld schon ausmalen. Sie erhielt von meinem Großvater eine ordentliche Standpauke und zur Strafe für ihr zu Spätkommen durfte sie den Rest des Abends noch im Kuhstall mit Kühe melken verbringen. Als ich diese Geschichte hörte, wurde mir klar, dass es ihr nach dem Tod meines Großvaters wesentlich besser erging. Meine Oma hatte einen Lieblingssong, der, wenn ich ihn manchmal heute im Radio höre, mich an sie erinnern lässt. Der Text war von Camillo Felgen und lautet:
Ich Hab‘ Ehrfurcht vor Schneeweißen Haaren
Ich hab Ehrfurcht vor schneeweißen Haaren,
sie verschönern der Mutter Gesicht.
Und sie krönen die Arbeit von Jahren,
und ein Leben in Treue und Pflicht.
Ich hab Ehrfurcht vor schneeweißen Haaren,
vor den Falten von Sorge und Leid.
Ich will helfen, aus den letzten Jahren,
zu machen ihre glücklichste Zeit.
Für die lieben alten Menschen,
die das Leben nie verwöhnt.
Hat mein Herz ein warmes Plätzchen,
dass sie mit der Welt versöhnt.
Weil sie in den vielen Jahren
weit mehr Leid als Glück erlebt.
Haben Sie heut‘ weiße Haare
und ein Lächeln das versteht.
Ich hab Ehrfurcht vor schneeweißen Harren,
sie verschönern der Mutter Gesicht.
Und sie krönen die Arbeit von Jahren,
und ein Leben in Treue und Pflicht.
Ich hab Ehrfurcht vor schneeweißen Haaren,
vor den Falten von Sorge und Leid.
Ich will helfen, aus den letzten Jahren,
zu machen ihre glücklichste Zeit.
Ich konnte mich noch daran erinnern, dass meine Großmutter in der Küche zwei Teller mit Sprüchen an der Wand hängen hatte. Sie waren meinem Großvater gemünzt, der es noch nicht einmal bemerkte, was meine Oma damit eigentlich zum Ausdruck bringen wollte. Auf dem einen stand „Die Ruhe sei dem Menschen heilig, denn nur Verrückte habens eilig“. Bei meinem Opa musste alles schnell gehen. Er rannte wie eine wild gewordener Stier durch die Gegend, wenn etwas nicht nach seinem Plan lief. Das war dann der Zeitpunkt, wo ich mich sicherheitshalber schnell aus seinem Dunstkreis entfernte, um schlimmeren Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen. Auf dem anderen Teller stand „Wer andere Jagd, wird selbst mal müde.“ Das bekamen tagtäglich die Menschen zu spüren, die mit ihm zusammenarbeiten mussten. Es waren glücklicherweise nicht viele.
Die Erkenntnisse aus meiner Kindheit
Mein Vater wuchs in dieser von Gewalt und Herrschsucht geprägten Familienstruktur auf und kannte nur diese Art von Erziehung, wie er sie erleben durfte, um sie später selbst an mir zu praktizieren. Für ihn war das alles richtig, wie er uns als Kinder erzog. Mit der Einstellung „eine Tracht Prügel oder ein Schlag auf den Hinterkopf hat noch keinem geschadet und trägt zur Steigerung des Wohlbefindens bei“, bewiesen meine Eltern ihre Unfähigkeit uns zu erziehen.
Für mich zählt heute nicht die Ausrede „ich wusste es nicht anders“, denn es steckt in jedem Menschen ein wenig Mitgefühl und Gerechtigkeitssinn. Deshalb kann und will ich meinen Eltern für ihre psychisch und physischen Foltermethoden nicht verzeihen und vergeben. Was geschehen war kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Ich kann mich bemühen, darüber nachzudenken und zu philosophieren, warum es so war, wie es war. Es macht jedoch keinen Sinn und ist vergebene Liebesmühe, alles Alte aufzurollen.
Die Erkenntnis für mich liegt darin, dass der wohl lohnendste Weg nur der sein kann, selbst die Probleme, die dazu geführt hatten, zu erkennen, um es selbst besser machen zu dürfen.
Als Kind war ich machtlos und konnte mich nur selten gegen die Gewalt meines Vaters wehren. Ich entwickelte während dieser Zeit meinen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Ich erkannte auch sehr schnell die betrügerischen Methoden, die seitens meines Vaters sehr markant waren. Er hatte seine eigenen Strategien, an Geld zu kommen entwickelt und ich musste als Mitglied der Familie mitmachen, funktionieren und den Mund halten.
Mein Vater war als Lagerverwalter auch für die Bestellungen von Waren zuständig. Handelsvertreter liefen ihm während der Hochkonjunkturphase im Baugewerbe die Bude ein. Oft schenkten sie ihm ganze Werkzeugkisten, gefüllt mit hochwertigen Werkzeug, um im Geschäft zu bleiben und wer dies nicht tat, der war so gut wie aus dem Geschäft.
Er nutzte seine Position regelrecht aus. Er verlieh häufig an Wochenenden Werkzeuge aus der Firma an Freunde und Bekannte, aber wenn er dies machte, hatte er immer einkalkuliert und war darauf bedacht, dass er diesen Freundschaftsdienst doppelt und dreifach an Wert wieder zurückbekam.
Mein Vater konnte auch ein sehr geselliger und spaßiger Mensch sein, machte sich aber oft auf Kosten von anderen Menschen lustig. Einmal kam ein Mitarbeiter mit Schnupfen zu ihm. Es ging ihm sichtlich nicht gut. Mein Vater meinte er hätte ein sehr gutes Mittel für ihn und versprach ihm, dass seine Nase danach wieder frei wäre. Mein Vater öffnete den Kanister gefüllt mit Salzsäure und bat ihn erst ein Nasenloch mit dem Finger zu schließen und durch das andere tief Luft einzuatmen. Vertrauensvoll tat er dies, bückte sich über den Kanister und atmete tief durch. Was dann geschah, kann sich jeder denken. Er verätzte sich die Nasenschleimhäute und aus seinen Augen, die herausquollen wie bei einem Frosch, rannen dicke Tränen. Mein Vater lachte lauthals und war sich den Folgen seines Tuns gar nicht bewusst.
Eine weitere Geschichte hätte noch schlimmere Folgen haben können. Die Firma Schäfer hatte den Auftrag den Altrheinarm zwischen Erfelden und Stockstadt mit einem Saugbagger tiefer zu legen, denn der Altrhein drohte in diesem Abschnitt zu versanden. Mein