Theaterherz. Stefan Benz
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Beck hielt das Lenkrad umklammert. Nicht weil es noch etwas zum Lenken gegeben hätte, sondern weil er innerlich Halt suchte. Das gab’s doch jetzt nicht. Endlich hatte er den Aufbruch geschafft, und schon steckte er mitten im Wald fest. Als sich der Krampf in seinen Fingern gelöst hatte, Beck das Mobiltelefon im Handschuhfach gefunden und den Abschleppdienst angerufen hatte, sollte es noch fast eine Stunde dauern, bis Hilfe zu erwarten war. Beck stieg aus, zwängte sich zwischen Koffer und Taschen, fingerte nach dem roten Beutel und zog. Sein Notfallbesteck leistete Widerstand, klemmte, hakte so sehr, dass Beck unruhig wurde und so lange zerrte, bis ihm der Beutel fast entgegensprang. Um ein Haar wäre ihm die Flasche entglitten. Das kleine dickwandige Gläschen klirrte bedenklich, doch alles blieb heil. Beck atmete tief durch, bohrte hastig in den Korken und zog heftig. Ein Pfützchen ins Glas. Beck schnüffelte: Er hatte nicht geglaubt, dass er den Sangiovese-Verschnitt so schnell brauchen würde. Eigentlich hatte er den toskanischen Montepulciano nur deshalb mitgenommen, weil er fürchtete, die vielen Weißen aus der Kurstadt könnten ihm irgendwann zu den Ohren herauskommen. Aber jetzt kam ihm dieser Rote genau recht. Er tat einen großen Schluck. Das war gut! Noch einen und noch einen und noch einen. Als habe er Durst. Hatte er Durst? Beim dritten Glas hörte er auf, darüber nachzudenken. Nach dem vierten wurde er schläfrig, und als er schließlich wie betäubt hinter dem Lenkrad in sich zusammensackte, war nur noch so wenig in der Flasche, dass sie nicht einmal auslief, als Beck sie in seinem unruhigen Nickerchen mit der Wade im Fußraum seines Wagens umstürzte.
So schnell der Schlaf gekommen war, so bleiern zog er ihn in die Tiefe, aus der er nur langsam wieder emporstieg, um einem seltsamen Ton zu folgen. War es eine Sirene? Nein, ein Hupen! Wo war er? Während er noch blinzend nachdachte, klopfte es an die Windschutzscheibe. Beck schreckte auf. Vor der Motorhaube ragte ein gelber Abschleppwagen mit Kran auf, ein dicker Glatzkopf stand neben ihm, redete gegen die Scheibe und gestikulierte. Wie lang stand der schon da? Beck war immer noch benommen, kurbelte das Fenster runter, und ein Schwall streng riechender Worte schwappte zu ihm herein. Beck verstand nichts von Motoren, stammelte etwas von Rauch und Geräuschen, kriegte mit Mühe die Haube entriegelt und hörte dann den Mechaniker in seinem Motorraum rumoren.
Zwischen das Geklapper seines Werkzeugs mischten sich Flüche. Beck verstand nur Satzfetzen. „Eijeijei“ und „Was für ein Dreck“, aber auch „Du lieber Gott“ oder „Das gibt’s doch gar nicht.“ Beck traute sich nicht aus dem Auto heraus. Er konnte ohnehin nur mit Mühe Scheibenwaschwasser und Öl unterscheiden. Mit dem dicken Schrauber würde er kein vernünftiges Gespräch zustande bringen. Mit einem Schraubenschlüssel in der Hand baute er sich neben Beck auf. Sah martialisch aus wie eine Polizeikontrolle in diesen amerikanischen Krimis. Beck blickte verunsichert auf den Bauch des Mannes neben seiner Fahrertür. „Sie müssen raus“, blaffte die grüne Latzhose. „Ich nehm den Wagen hoch. Aber das sag ich Ihnen gleich: Ich weiß nicht, ob das noch was wird.“
Die Koffer konnte Beck im Auto lassen. Er selbst musste auf dem Beifahrersitz des Abschleppwagens Platz nehmen. Auf der Fahrt in die Kurstadt sprach der Mann am Lenkrad nicht viel und das wenige in einer Mechatronikersprache, die Beck nicht verstand. Irgendwas mit dem Motor, Getriebe, Achse, Rost und Öl. Es ergab für Beck keinen konkreten Sinn, aber es klang nicht gut.
Beck hing im Gurt. So hatte er sich die Fahrt in sein neues Leben nicht vorgestellt. Draußen zogen die letzten Bäume vorüber und es öffnete sich das Tal mit dem kleinen Fluss, an dessen Ufern die Weinberge der Kurstadt bisweilen steil aufstiegen. Eine Burg-Ruine aus rotem Sandstein schmiegte sich, von Wald gekrönt, an die obersten Weinlagen. Auf den Zinnen flatterten die Fahnen des Festivals, das dort seine größte und grünste Bühne besaß – mit einem Parkett, das von einer gewaltigen Linde beschirmt wurde und einer Bühne, die direkt in den Wald überzugehen schien. Die Postkarten-Aussicht des Kurorts hellte Becks Stimmung wieder auf, und je näher der Ort kam, desto besser wusste er wieder, warum er sich so auf diese Auszeit gefreut hatte. Neben dem Ortsschild „Bad Weinfurt“ prangte ein gigantisches gelbes Transparent. Schon von weitem sah man den schwarzen Schriftzug „Festspielstadt“. Ja, sie hatten sich hier einiges vorgenommen. Schluss mit dem betulichen Sommertheater. Zwar waren ganz klassisch Hofmannstahl, Molière, Kleist und Zuckmayer angekündigt, aber mit Regietheater und Sponsorenspektakel. Darauf waren die Weinfurter ganz stolz, hatte er im Programmheft gelesen. Erst als sie fast schon vorbei waren, erkannte Beck, dass über dem Wort „Festspielstadt“ etwas kleiner und in rot wie mit der Sprühpistole geschrieben „Bankrott einer“ stand.
Der Abschleppwagen umkurvte zwei Verkehrsinseln. Auf der einen stand ein enorm großes Weinfass, auf der anderen eine alte Kelter. Dahinter tauchten schon die ersten schiefen Fachwerkhäuser auf. Was für ein erfreulicher Anblick. Beck wunderte sich schon gar nicht mehr über die Antiwerbung am Ortseingang, da erblickte er auch schon das Plakat für „Jedermann“, und auch hier hatte ein Sprayer die Botschaft verändert, durchgestrichen und dazugekritzelt, so dass da nun stand: „Jedermann muss sterben“. Kaum zweihundert Meter weiter grüßte „Der eingebildet Kranke – ein Gesundheitsprogramm“, doch das war kaum noch zu erkennen, dafür prangte hier nun fett und schwarz: „Total krank“. So ging es weiter: Vom „Zerbrochnen Krug“ blieb nur „Krieg“. Und „Weinberg, die fröhliche Gastroshow“, ein Event frei nach Zuckmayer, war übermalt mit der Krakel-Drohung „Tod dem Weinberg“.
Beck fragte sich, ob das nun Marketing oder Vandalismus war. Die Frage an den Fahrer, was es mit den Plakaten auf sich habe, hätte er sich sparen können. Die grüne Latzhose klärte Beck darüber auf, dass „Jedermann muss sterben“ und „Tod dem Weinberg“ wohl Theaterstücke seien. Und als Beck einwandte, dass Hofmannsthal und Zuckmayer andere Titel gewählt hatten, murrte der Fahrer: „Schade, ich wollt mir das schon angucken. Na, das wird dann ja eine schöne Kunst-Kacke sein.“
Der Diskurs über Aufführungsästhetik war damit nur wenig länger ausgefallen als zuvor das Fachgespräch über Karosserie und Hydraulik. Die beiden Männer hatten sich nichts mehr zu sagen, bis Beck endlich mit seinen Koffern auf dem Bordstein vor dem „Nehoda Imperial“ stand. Er war verblüfft. Im Katalog hatte es besser ausgesehen. Die glänzenden Steinfliesen der Achtziger-Jahre-Fassade waren mit Efeu überwachsen, der aus dem angrenzenden Kurpark zu kommen schien und offenbar dabei war, das Hotel langsam zu verschlingen. Ein wenig enttäuscht streifte sein Blick ins Grüne, doch bevor ihn der prächtige Park hätte aufmuntern können, rief der Mechaniker aus dem Führerhaus noch: „Ich melde mich. Aber machen Sie sich keine Hoffnung.“ Dann sah Beck, wie sein alter Schwede huckepack um die nächste Ecke verschwand. Da stand er nun mit all seinen Koffern und Taschen. Bis zur Lobby waren es noch einige Meter. Kein Kofferwagen zu sehen. Er wollte sich gerade auf den Weg, die Auffahrt hinauf zum Empfang machen, da kam ihm auch schon ein Portier in Sakko und Mütze entgegen. Wie aufmerksam, dachte sich Beck und hob dem Mann einen Koffer entgegen. Und der junge Herr eilte sich. Ja, er rannte. Das wäre nun auch