Auf der Reise zu Dir selbst. André M. Richter
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Maik hat Recht. Sandra fragt sich, was Kollegen, Freunde und Nachbarn denken würden. Aber ist das wichtig? Sie ist jetzt Single und ihr fehlt jegliche Freude im Leben. Sie ist härter und härter geworden – auch gegen sich selbst. Was hat sie sich da nur angetan ohne es zu bemerken? Sie lebt und arbeitet in einer Stadt, die ihr nicht wirklich gefällt. Sie wohnt in einem überteuerten Nobelviertel, zahlt eine unverschämte Miete, hat hohe Leasingraten für ihren Wagen und gibt Geld aus, weil sie gefrustet ist und sich trösten oder belohnen will. Und was ist in 20 oder 30 Jahren? Sandra läuft es bei dem Gedanken daran kalt den Nacken hinunter.
„Ich denke, ich fahre jetzt zurück zum Hotel!“, sagt sie zu Maik. „Unser Gespräch hat mich sehr nachdenklich gemacht. Ich muss das erst mal verarbeiten. Aber danke für Deine ehrlichen Worte! Ich würde mich sehr gerne weiter mit Dir unterhalten. Was Du sagst, gefällt mir wirklich, aber es macht mir auch Angst. Wann bist Du wieder hier? Können wir unsere Telefonnummern austauschen?“
„Ich bin telefonisch kaum erreichbar. Ich gönne mir den Luxus, mein Telefon nur einzuschalten, wenn ich es wirklich brauche. Es tut verdammt gut, auf Technik verzichten zu können. Aber gewöhnlich ich bin jeden Tag um diese Zeit auf einen Kaffee hier. Zumindest so ungefähr, denn ich trage auch keine Uhr mehr. Die würde mir nur zeigen, wie meine Zeit abläuft!
Übrigens will ich Dich nicht verletzen. Aber Dir ist nur mit einer ehrlichen Meinung geholfen!“
Sandra bedankt sich, steigt in ihr Cabrio und fährt davon. Im Hotel angekommen checkt sie ihre Mails, Nachrichten und ihren Anrufbeantworter zuhause. Plötzlich muss sie lachen. Ihr fallen Maiks Worte ein. Was hat er gesagt? „Es tut verdammt gut, auf Technik verzichten zu können.“ Wieso zum Henker dann dieses Gefühl, ständig über alles informiert sein zu müssen? Schließlich ist sie jetzt für ganze drei Wochen im Urlaub!
Nach dem Abendessen im Hotel genießt sie auf der Terrasse ein Glas Wein und denkt über das Gespräch mit Maik nach. Sandra ist voller neuer Eindrücke, aufgewühlt und verwirrt zugleich. Ihr ist bewusst, dass sie etwas ändern muss – aber wo soll sie anfangen und woher soll sie wissen, was wirklich gut für sie ist?
Voller widersprüchlicher Gedanken geht sie zu Bett, kann aber keinen Schlaf finden. Eine gefühlte Ewigkeit lauscht sie dem Meeresrauschen und genießt die Meeresluft. Irgendwann schläft sie schließlich ein.
Am nächsten Morgen wacht sie früh auf und schaut aus dem Fenster. Die ersten Hotelgäste reservieren bereits mit ihren Handtüchern die besten Liegestühle am Pool und gehen danach zufrieden zum Frühstück. Sandra schüttelt den Kopf. Sie denkt an Maik und beschließt, genau wie er möglichst jeden Tag etwas Neues auszuprobieren. Also geht sie an den Strand, um im Meer zu schwimmen. Es ist unglaublich schön, den Sand und die Wellen zu spüren, das Rauschen des Meeres zu hören und die salzige Luft zu riechen.
Zurück im Hotelzimmer öffnet sie den Kleiderschrank und greift gewohnheitsmäßig nach einem teuren Kleid. Plötzlich hält sie inne und überfliegt den gesamten Schrankinhalt. Sie entscheidet sich für ihr einziges Paar Jeans, ein lockeres T-Shirt und bequeme Sneakers. Sandra legt ihr Schminkzeug beiseite, kämmt sich kurz ihr Haar, benutzt ihr Lieblingsparfüm und schaut in den Spiegel. Sie ist zufrieden mit sich.
Nach einem leichten Frühstück geht sie an die Rezeption, um ihr Cabrio abzugeben und gegen einen Jeep zu tauschen. Da der Wechsel erst einen Tag später erfolgen kann, ist sie für den heutigen Tag an das Hotel und die nähere Umgebung gebunden. So entscheidet sie sich für einen langen Spaziergang am Meer und hofft, Maik am nächsten Tag wieder zu treffen.
Sandra läuft mehrere Stunden den Strand entlang. Zwischendurch macht sie Pause, betrachtet die Umgebung und atmet tief durch. Sie schließt die Augen und versucht, alles um sich herum zu genießen. Aber das Nichtstun fällt ihr unendlich schwer. Sie hat das Gefühl, dass es falsch ist, zu entspannen und nicht produktiv zu sein. Sie fragt sich, wie es möglich ist, sich selbst immer mehr unter Druck zu setzen, ohne es überhaupt wahrzunehmen.
Plötzlich lebt man ein Leben, das so niemals geplant war. Aus Leichtigkeit und Lebenslust werden Eintönigkeit und Lethargie. Der Prozess ist schleichend. Tag für Tag wird es mehr und irgendwann ist man sich selbst fremd geworden. Ein paar Sätze von Maik gehen ihr durch den Kopf und irgendwie scheint alles klarer zu werden. Sie kann und darf hier entspannen so viel, wie sie will. Basta! Wenn sie nur seine Gelassenheit hätte und die Gabe, komplizierte Dinge möglichst einfach zu betrachten!
Zurück im Hotel bestellt sie sich ein Essen und ein Getränk auf ihr Zimmer. Sie braucht Ruhe, um ihre Gedanken ordnen zu können. Sandra nimmt einen Notizblock und beginnt zu schreiben. Nach ungefähr einer Stunde liegen viele Zettel vor ihr. Das bisherige Leben ist unterteilt in Vor- und Nachteile ihres Berufs, Hobbys, Freunde, Wünsche und Ziele, Ängste und Sorgen … aber je mehr sie ins Detail geht, desto weniger Klarheit bekommt sie. Also versucht sie, alles in einer Skizze darzustellen. Doch das Ergebnis sieht total verworren aus. Irgendwie macht das so keinen Sinn. Sandra beschließt, am nächsten Tag Maik davon zu erzählen. Erschöpft von der langen Wanderung und der frischen Luft geht sie zu Bett.
Am nächsten Morgen bekommt sie ihren neuen Leihwagen, packt ein paar Kleinigkeiten in einen Rucksack und fährt los, um Maik zu treffen.
Sandra fühlt sich wohl und hat das Gefühl, an ihrem Urlaubsort innerlich angekommen zu sein. Nach einigem Suchen findet sie schließlich den kleinen Ort mit der Taverne, wo sie Maik kennengelernt hat. Da sie ihn nicht entdecken kann, geht sie zum Strand und bleibt in der Nähe der Taverne. Die Ruhe, der Sandstrand, die Meeresluft und das gleichmäßige Rauschen der Wellen tun ihr gut und sie fühlt sich von Minute zu Minute lebendiger. Allmählich beginnt die Umgebung sie zu faszinieren.
Irgendwann galoppiert eine Frau auf einem schwarzen Pferd an ihr vorbei. Sie bemerkt, wie der Boden bebt, hört das Schnaufen des Pferdes und spürt die Kraft und die Energie. Sie lächelt und hat das Gefühl, als würde eine Last von ihr abfallen, während sie so intensiv das Leben und die Natur spürt. Sandra wird urplötzlich bewusst, dass es Situationen im Leben gibt, in denen man tiefes Glück empfindet, ohne dafür Geld ausgeben zu müssen. Ob sie jemals lernen wird, so zu denken und zu empfinden wie ihr neuer Freund?
Als Sandra auf die Uhr schaut, sind ganze zwei Stunden vergangen. Inzwischen ist Maik da. Sie beschließt, für den Rest ihres Urlaubs auf ihre Armbanduhr zu verzichten. Sandra denkt daran, dass eine Uhr nur anzeigt, wie die eigene Zeit verfliegt.
Maik spricht mit der Bedienung und lacht herzlich. Er muss wirklich glücklich sein und seinen Weg gefunden haben, geht es ihr durch den Kopf, während sie in seine Richtung läuft. Er sieht sie sofort und begrüßt sie herzlich.
„Hallo Sandra, schön Dich zu sehen! Als Du gestern nicht hier warst, dachte ich schon, dass unser Gespräch zu heftig für Dich war.“
„Hallo Maik! Nein, ich hatte gestern kein Auto. Dafür fahre ich jetzt einen kleinen Jeep. Ich habe bereits damit begonnen, mich zu verändern!“
Sandra erzählt Maik, wie sich ihr Denken nach ihrem Gespräch geändert hat, und berichtet von ihrem verzweifelten Versuch, mittels Zetteln und Skizzen Struktur in ihr Leben zu bringen.
„Es ist schön, dass Du es ernst meinst!“, antwortet Maik. „Du wirkst auch nicht mehr so gehetzt und angespannt. Aber was Deine Pläne und Skizzen betrifft … wirf sie weg und denke nicht mehr daran! So wie Du ein leeres Blatt brauchst, wenn Du etwas schreiben willst, so muss Dein Kopf zuerst klar und frei von Altlasten sein, wenn Du mit etwas Neuem beginnen willst. Das ist wie eine Festplatte, die man löscht