Götter und Göttinnen. Manfred Ehmer
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rief er zu: 'Warum sprichst du freundliche Worte,
da du dich zum Angriff gerüstet?
Die Söhne haben sich getrennt,
ohne Achtung vor ihren Erzeugern,
denn du, die sie geboren,
hast jedem mütterlichem Sinn entsagt ….
Wider die Götter, meine Väter,
hast du deine Bosheit gerichtet.
Deine Truppe mag sich ausrüsten
oder dir die Waffen anlegen!
Begegnen wir uns lieber im Zweikampf!'
Als Tiamat dies hörte,
geriet sie außer sich, verlor den Verstand.
Sie stieß ein lautes Gebrüll aus,
rief eine Beschwörung und einen Zauberspruch.
Dann stießen zusammen Tiamat und Marduk,
der weiseste der Götter,
stürzten sich aufeinander,
und begegneten sich im Kampf.
Marduk breitete sein Netz aus,
fing darin Tiamat, ließ vor ihr los den Sturm,
den er vom Himmelsgott erhalten hatte,
als Tiamat ihn verschlingen wollte,
warf er den Sturm in ihren Schlund,
damit sie die Lippen nicht schließen konnte.
Die grimmigen Winde füllten ihren Leib.
Ihr Leib blähte sich auf, ihr Mund blieb offen.
Er schoss einen Pfeil ab, zerriss ihr den Bauch,
Ihr Inneres zerfetzte er
und durchbohrte ihr Herz.
Als er sie bezwungen hatte,
setzte er ihrem Leben ein Ende…..
Weitere Verse schildern, wie Marduk aus dem Leib der Tiamat die Welt erbildet, aus der oberen Hälfte das Himmelsgewölbe, das er in die Abschnitte der Sternbilder einteilt, wobei er auch den Gang von Sonne und Mond bestimmt und dem Gott Ea einen Himmelspalast zuweist. Aus der unteren Hälfte aber wurde die Erde gestaltet, aus dem Kopf der Tiamat ein hoher Berg, ihren Augen entspringen die Flüsse Euphrat und Tigris, aus ihrer Brust entsteht eine Hügellandschaft. Mit der Erschaffung der Menschen aus dem Blut eines geopferten Gottes endet der gewaltige Weltschöpfungs-Epos.
Der altjapanische Schöpfungsmythos
Im Mittelpunkt der altjapanischen Mythologie steht das Götterpaar Izanagi und Izanami, das mit dem himmlischen Juwelenspeer in der Salzflut rührte, bis diese sich verdickte und die Erde daraus entstand; danach ließen sie weitere Gottheiten aus sich hervorgehen, darunter die Sonnengöttin Amaterasu sowie den Mondgott und den Gott des Meeres. In einer modernen Nacherzählung liest sich dieser Schöpfungsmythos so:
Am Anfang waren Himmel und Erde nicht getrennt. Dann spross aus dem Ozean des Chaos ein Schilfrohr; das war der ewige Landbeherrscher Kunitokotatchi. Dann kamen die Göttin Izanami und der Gott Izanagi. Sie standen auf der schwimmenden Himmelsbrücke und rührten mit einem juwelenbesetzten Speer im Ozean, bis er gerann. So schufen sie die erste Insel, Onokoro. Sie bauten auf dieser Insel ein Haus mit einem Steinpfeiler in der Mitte; das ist das Rückgrat der Welt. Izanami ging in einer Richtung um den Pfeiler und Izanagi in der anderen. Als sie sich wieder gegenüberstanden, vereinigten sie sich; das war ihre Hochzeit. Ihr erstes Kind nannten sie Hiruko, aber es gedieh nicht sehr gut. Deshalb setzten sie ihn, als er drei Jahre alt war, in einem Schilfkahn aus; er wurde Ebisu, der Gott der Fischer. Danach gebar Izanami die acht Inseln Japans.18
Soweit also, frei nacherzählt, der Schöpfungsmythos aus dem Buch Kojiki, der „Sammlung der Dinge“, das im 8. Jahrh. n. Chr. auf Geheiß der Kaiserin Gemmyo zusammengestellt wurde. Mehrere Gesichtspunkte sind hierbei sehr bemerkenswert, und sie verdienen es, genauer hervorgehoben zu werden:
Izanami und Izanagi sind ein Götterpaar, und somit stellen sie eine männlich-weibliche Polarität dar. Es war also nicht ein isolierter männlicher Schöpfergott, der die Welt hervorgebracht hat, wie es in den Traditionen des Patriarchats so gesehen wird, sondern die Weltwerdung geht auf die Tat einer mann-weiblichen Paargenossenschaft zurück. Izanami und Izanagi verkörpern in diesem Sinne auch Yin und Yang, die mann-weibliche Ur-Polarität.
Die „schwimmende Himmelsbrücke“, auf der sie beide stehen, ist ohne Zweifel der Regenbogen, der in der religiösen Mythologie der Völker eine so große Rolle spielt. Seit jeher galt der Regenbogen als die Brücke zum Reich der Götter. In der germanischen Mythologie haben wir etwa die Himmelsbrücke Bifröst, auf der die Götter zur Erde herabsteigen. Die Regenbogenbrücke Antahkarana gilt als die Brücke zur Geistigen Welt.
Wenn die beiden Götter nun mit Hilfe eines Juwelenspeers die Salzflut aufrühren, so ist dies eindeutig eine Anleihe aus der indischen Mythologie. Dort wird nämlich berichtet, wie die Götter einst den Urozean aufquirlten, bis sie auf seinem Grunde Amrita, das Wundermittel der Unsterblichkeit, fanden.
Wenn es in der Erzählung heißt, die Götter bauten auf der erstgeschaffenen Insel ein Haus mit einem Steinpfeiler in der Mitte, der „das Rückgrat der Welt“ ist, so verweist dies auf eine uralte Vorstellung, nämlich die den Himmel stützende Weltsäule. Sie wird auch die Weltachse oder axis mundi genannt. Zu diesem Thema schreibt Nelly Naumann in ihrem Buch Die Mythen des alten Japan: „Nach der Vorstellung nordasiatischer Völker wird der Polarstern, um den sich das Himmelsgewölbe dreht, geradezu als Himmelssäule angesehen oder doch als der Punkt, in dem sich der Himmel um die Weltsäule dreht. Diese Welt- oder Himmelssäule steht vor der Wohnung des ,Himmelsgottes’ und wird teilweise mit dem Himmelsgott selbst identifiziert. Verschiedene sibirische Völker haben Bilder der Himmels- oder Weltsäule angefertigt (…). Auch hier zeigt sich demnach eine Bilderwelt, die derjenigen des japanischen Mythos gleicht.“19
Als ein weiteres mythisches Motiv wäre das der Heiligen Hochzeit zu nennen. Denn es wird berichtet, dass Izanami und Izanagi den Weltenpfeiler in je umgekehrter Richtung umgehen, bis sie in der Mitte wieder zusammentreffen; dies ist der Ort der Vereinigung, aus der weitere Götterkinder hervorgehen, vor allem Ebisu, der Gott der Fischer, und die acht Inseln Japans. An dieser Stelle geht der Mythos in Theogonie über, in die Lehre von der Gottwerdung und der Aufeinanderfolge der Göttergenerationen. Bei diesen Göttern handelt es sich um kosmische Götter, also um solche, die ganz direkt mit dem Naturgeschehen zu tun haben, nicht aber um transzendente Mächte.
Die hesiodische Theogonie
Hesiod (um 700 v. Chr.) war ein altgriechischer Bauerndichter aus Askra in Böotien, der das homerische Zeitalter durch zwei Hexametergedichte entscheidend ergänzte: Werke und Tage, 828 Verse und Theogonie, 1022 Verse, ein Werk, in dem erstmals eine systematische Darstellung der griechischen Götterwelt gewagt wird. Er bringt Ordnung und System in das bunte Göttergewoge Homers, stellt Zeus ganz in den Mittelpunkt, gibt auch einen Querschnitt durch die Entwicklung, indem