Fünf Minuten vor Mitternacht. Celina Weithaas

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Fünf Minuten vor Mitternacht - Celina Weithaas Die Chroniken des Grauen Mannes

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Um die nächste Biegung müsste der Wagen halten. „Bitte kümmere dich um meine Schleppe und die Frisur. Soweit ich informiert bin, dürfte ein Regenschirm im Kofferraum aufbewahrt sein.“ Sie nickt eifrig, sich sehr wohl bewusst, dass sie ebenso ersetzbar ist wie alle Mädchen vor ihr. „Darf ich Eure Schuhe tragen?“, fragt sie aufgeregt. Lächerlich. Wie ein kleines Kind, dem nie Respekt beigebracht wurde. „Wenn du dich um den verdreckten Saum meines Kleides sorgst, gerne. Und mir nach dem Marsch nach drinnen die Füße wieder säuberst.“ Sie verzieht leicht das Gesicht. „Ich kümmere mich um den Regenschirm.“ Der Chauffeur hält und öffnet die Tür. Auf ihrer Seite. Der Regen weht hinein und perlt von den hellen Lederpolstern ab. Vorwurfsvoll rutsche ich so weit wie möglich fort, raffe den Saum zusammen und verschränke die Arme schützend vor der Brust. Eine Ecke des Umschlages rutscht nach oben. Ich falte ihn noch einmal in der Mitte, ehe ich ihn etwas tiefer verstaue und meine Frisur und das Make-Up in der Scheibe ein letztes Mal überprüfe. Meine Lippen haben den weichen Roséton beibehalten, meine Augen funkeln strahlend grün unter dem dezent schimmernden Lidschatten. Wenige blonde Locken fallen in mein Dekolleté und lassen das zart roséfarbene Kleid weit weniger gewagt wirken, als es tatsächlich ist. Perfekt. Das Zimmermädchen verschwindet gemeinsam mit dem Chauffeur im strömenden Regen, die Tür bleibt sperrangelweit geöffnet. Resigniert beobachte ich, wie kleine Bäche in den Fußraum fließen. Meine Eltern werden außer sich sein.

      Der Schirm wird gespannt, bevor sich die Tür auf meiner Seite öffnet. Das Mädchen greift sofort nach meiner Schleppe. Zu übereifrig. Ich spüre einen leichten Zug an der Schnürung. „Wehe du zerreißt es.“ Sie zuckt zusammen. „Entschuldigt meine Ungeschicklichkeit.“ Sollte ich im Gebäude so aussehen wie sie jetzt, wird das äußerst schwierig werden bis hin zu nicht möglich. Bitten schützt vor Strafen nicht. „Sorge dich um mein Äußeres, danach können wir dieses Gespräch fortsetzen.“ Das Mädchen nickt eifrig. Abschätzig verziehe ich den Mund. Ihr Enthusiasmus ist zu bewundern. Der Stoff des durchweichten Kleides klebt an der Angestellten wie eine zweite Haut, das aufwendig gemachte Haar tropft in Strömen. Dennoch strahlt sie, als wäre dies ihr Hochzeitstag. „Das wird so aufregend“, ruft sie, meine Schleppe lieblos über den Arm geworfen. Ich verbiete mir, das jämmerliche Bild, das meine Angestellte gibt, näher zu betrachten. Ihr Glück ist es, dass ich ein Gastzimmer in der obersten Etage besitze und dort einige ausgewählte Stücke meiner schon einmal benutzten Abendgarderoben aufbewahrt werden. Selbstverständlich, um die Brust herum wird ihr jedes meiner Kleider zu groß sein und um die Hüfte etwas zu schmal. Wenn ich mich recht entsinne, hängt in diesem Schrank ein Ballkleid, das man schnüren kann. Damit sollte es möglich sein, ihre mittelmäßigen Maße zu kaschieren. Die Schuhe meiner Angestellten scheinen mir hoch genug zu sein, um den Saum davon abzuhalten, auf dem Boden zu schleifen. „Werden auch Königsfamilien da sein?”, fragt sie aufgeregt. „Das wäre so romantisch!“ Scheiche werden mit Sicherheit auf sie warten. Aber die Monarchen aus Europa? Die haben lange nicht mehr die Bedeutung, um an einem derart fulminanten Fest teilnehmen zu dürfen.

      Eine Veranstaltung, die dazu dienen wird, neue Geschäftsbeziehungen einzugehen. Mir zu Ehren. „Deinen Prinzen wirst du heute nicht finden.“ Ich werfe ihr nun doch einen abfälligen Blick zu. Monarchen haben selten Interesse an klitschnassen Zimmermädchen, die dem Star des Abends Schleppe und Schirm halten. Der rote Teppich quietscht leise unter meinen Absätzen, als das Wasser blubbernd hinaustritt. Ein Blitz zuckt über den Himmel und erhellt die ohnehin taghell beleuchtete Stadt. Endlich fängt das gläserne Vordach den Regen ab und der Chauffeur nimmt meiner Angestellten den Schirm aus der Hand, um ihn weit von mir entfernt zu schließen. Ein Topfen berührt dennoch meinen Unterarm und perlt kitzelnd hinab. „Darf ich Eure Schleppe hinter Euch drapieren?“, fragt mich das Mädchen mit leuchtenden Augen. „Sollte es hier trocken sein”, erwidere ich, „gern.“ Sie zögert für einen kleinen Moment, dann hockt sie sich hin und berührt den Teppich. Zufrieden legt sie den Stoff darauf ab, breitet ihn aus. Das beinahe weiße Rosa meines Kleides schimmert wie ein Meer aus perfekten Perlen. Makellos. „Darf ich die Schleppe noch festhalten?“ Es ist höchstens ein Meter Stoff, den ich hinter mir herziehe. Diese Mühe könnte nicht nutzloser sein. Ich zucke die Achseln und gehe festen Schrittes voran.

      Die junge Dame, vor der sich der Türsteher mit angemessenem Respekt verneigt, ist weit mehr als eine einfache Prinzessin. Sie ist eine strahlende Göttin, getaucht in das bunte Licht der größten und pompösesten Stadt der Welt, die Hände locker an den Seiten hängend, über und über geschmückt mit den wertvollsten Stoffen und Metallen, die diese Welt bereithält. Ich bin der Mittelpunkt einer jeden Welt, ihre Königin, ihr Ideal – und wer sollte es den Menschen verübeln? Schönheit fesselt mehr als das skurrilste Kunstwerk, bewegt bestimmter als jeder Befehl. Es wäre eine Beleidigung, würde nicht jedes noch so winzige Kind bewundernd zu mir aufsehen. Der Fahrstuhl ist geräumig genug, damit mein Zimmermädchen und ich gemeinsam hineinpassen, ohne dass sie meine Robe ruiniert. „Es steht dir frei, in das oberste Stockwerk zu fahren”, sage ich. Konzentriert beuge ich mich nah zu meinem Spiegelbild. Meine Haut? Feinster Alabaster. „Links gibt es ein Zimmer, in dem meine alten Kleider aufbewahrt werden. Du darfst einen der Angestellten darum bitten, dich in das Violette einzuschnüren. Die anderen werden dir vermutlich zu eng sein.“

      Mein Kindermädchen öffnet leicht den Mund, völlig fassungslos. Zumindest ist sie sich der unendlichen Ehre bewusst, die ihr hier zu Teil wird. Ihre Lippen öffnen sich. „Ich darf eines Eurer Kleider tragen?“

      Ich zupfe das Collier zurecht und stecke eine der Locken zurück in die aufwendige Frisur, für die ich stundenlang vor dem Spiegel saß, fremde Hände an meine Haare gelassen habe, und zusah wie aus einem bewundernswert schönen Mädchen ein atemberaubendes wurde. Eine schlanke, durchaus ansehnliche Lady hat sich um mein Gesicht gekümmert, die Lippen noch etwas voller gezaubert, meine Augen unglaublich groß und glänzend grün. Kein Detail dieser Mühe ist verschwunden. Wenn überhaupt haben die Stunden, die niemand mich angerührt hat, mich weiter erstrahlen lassen. Ich bin das Kunstwerk dieser Lady. Hätte sie mich auf eine Leinwand gebannt, wäre ich viele Hundertmillionen Dollar wert. Und genau so behandelt mich die wartende Gesellschaft. Meine Eltern stehen mit einem Glas voll Champagner in der Hand vor dem sich öffnenden Fahrstuhl und nehmen mich mit einem angemessenen Lächeln in Empfang. Es spricht weder Freude noch Stolz daraus. Keine der Empfindungen habe ich tatsächlich erwartet. Am heutigen Abend tat ich noch nichts, das Überschwang rechtfertigen würde. Ich bin lediglich erschienen.

      Der Beginn eines erfolgreichen Festes. „Chrona.“ Das erste Mal in meinem Leben knickst meine Mutter leicht vor mir und bietet mir ihren Champagner an. Es ist ein unglaubliches Gefühl, ihr das Glas aus der Hand zu nehmen und leicht daran zu nippen, ehe ich der wartenden Gesellschaft zuproste. Als hätte sie das Zepter an mich übergeben. Diese winzige Geste hat mich von der Prinzessin der Börse zu ihrer neuen Königin erhoben. Die wenigsten Namen der Umstehenden sind mir geläufig. Mein Vater hat mir eine digitale Gästeliste zur Verfügung gestellt, ergänzt um Bilder der einzelnen Personen. Nach den ersten zwei Seiten habe ich sie fortgelegt. Meine Geburtstagsfeier. Es gibt nur einen einzigen Namen, der tatsächlich zählt, und das ist mein eigener. „Es ist mir eine Freude.“ Ich ahme Mutters feine Geste nach und stelle mich den versammelten Anwesenden. Ich muss nicht auf sie zugehen, sie umschmeicheln mich wie die Motten das Licht. Weil Schönheit gepaart mit Macht anziehender ist als alles andere auf dieser Welt.

      Nach hundertfachem Händeschütteln, einigen Gläsern voll Champagner und Namen, die ich mir nur partiell merke, ist es ein durchaus attraktiver junger Mann offensichtlich mit italienischen Wurzeln, der mir ein Glas Wasser anbietet. „Alkohol bekommen Sie vermutlich von jedem.“ Sein Lächeln ist ebenso eingeübt wie mein Augenaufschlag. Mit einem verbindlichen Kopfnicken nehme ich es entgegen. Er ist mir nicht bekannt. Warum lässt er sich mir nicht vorstellen? Der Alkohol stimmt mich milde. „Darf ich erfahren, mit wem ich spreche?“ Eine pikierte Frage. Er zieht die Augenbrauen nach oben. „Sollten Sie das nicht wissen?“ Eine lächerliche Frage, die nur ein unerfahrener Tölpel stellen kann. Ich deute in den überfüllten Raum hinein. „Mir zu Ehren haben sich zweihundert Menschen versammelt. Sie sind nicht gekommen, damit ich ihren Namen ausspreche.“ „Vielleicht doch. Es gibt keine größere Ehre.” Befremdet

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