Von Get Back zu Let It Be. Friedhelm Rathjen
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Wenn John mit der Gitarre zur Diskussion beitragen kann, dann kann George sich mit der Gitarre aus der Diskussion ausklinken – er vergnügt sich, indem er wieder einige Takte von HEAR ME LORD (0:15) spielt. Er und John dudeln ein paar Improvisationen auf ihren Gitarren, vielleicht haben sie beide die Nase voll von der Diskussion. Da die anderen aber immer noch weiterquatschen, unterbricht George sie schließlich und fragt Paul, ob er denn auch einen bestimmten alten Musichall-Song singen wolle. Als Antwort stimmt Paul das Lied gleich an, und zwar mit Schmackes: LEANING ON A LAMP POST (1:31). George und John unterstützen ihn an den Gitarren; jetzt ist wieder Musik angesagt, und John singt kurz ein eigenes Stück im Musichall-Stil, ANNIE (0:26), nicht ohne zu erwähnen, es sei für Ringo. Da will George nicht zurückstehen und stimmt (unterstützt von John an einer zweiten Gitarre) ein Lied auf eine „Maureen“ (2:08) an, von dem er behauptet, es stamme von Bob Dylan – äußerst unwahrscheinlich, aber Ringo gefällt es, denn seine Frau heißt Maureen. Es folgt Georges Soloversion von Chuck Berrys I’M TALKING ABOUT YOU (0:46), einem Song, den die Beatles 1963 bei einem ihrer BBC-Auftritte spielten. Damit zieht er zugleich den Schlussstrich unter einen von viel talking und wenig Proben gekennzeichneten Vormittag; auf Pauls Betreiben ziehen sie zur (letztlich fruchtlosen) Suche nach geeigneten Räumlichkeiten für das Livekonzert los – Zeit für die Mittagspause.
Nach der Mittagspause geht das Gerede um Ort und Rahmen des geplanten Livekonzerts erst einmal weiter. Hauptkontrahenten in der Diskussion sind Yoko Ono, die für etwas möglichst Ungewöhnliches plädiert, zum Beispiel ein „poetisches“ Konzert ohne Publikum, und Michael Lindsay-Hogg, der auf ein möglichst „normales“ Konzert dringt (alles andere würde dem geplanten Film zuwider laufen), auch wenn er dafür gern einen spektakulären Schauplatz hätte. Paul versucht, zwischen den beiden Standpunkten zu vermitteln und dabei seine Gedanken zu sortieren: „Was ist der Nutzen eines Publikums? Der Nutzen eines Publikums kann sein: die pure Großzügigkeit, für die Leute zu spielen, weil man sie liebt. Oder Eintrittsgelder zu kassieren. Oder eine Reaktion zu bekommen, was der Show nützt. Aber das hieße doch, dass die Show allein nicht genug ist, dass wir vier nicht genug sind.“ Paul versucht, sich Yokos Standpunkt anzunähern, indem er einen ungewöhnliches Rahmen zumindest in Betracht zieht. George meint, ein Publikum könne Vor- und Nachteile haben – mit den Nachteilen meint er sehr wahrscheinlich das, was Yoko anspricht, nämlich das Klischee der jugendlichen Fans, die kreischen und sich die Kleider vom Leibe reißen. Paul: „Wir wollen doch zwei Konzerte geben. Wir könnten den einen Abend vor leerer Stille spielen und den anderen vor besetzten Reihen.“ Lindsay-Hogg bringt die Idee auf, irgendwo in idyllischer Umgebung am Meer zu spielen. Paul: „Aber das muss in England sein, weil – äh – wir beschlossen haben, nicht ins Ausland zu gehen.“ Und weiter: „Was Yoko sagte, ist richtig: Man kann nicht wieder das altbekannte Publikum haben – oder die altbekannte Szenerie. Wenn’s das altbekannte Publikum wäre, und wir wären alle nackt, dann hätten wir eine neue Szenerie.“ Also nicht das Publikum, sondern die Beatles verändern? George hätte allerdings lieber ein nacktes Publikum, als selbst nackt spielen zu müssen, findet dann aber: „Wichtig wäre, dass wir uns ein ganz neues Image schaffen. Wir könnten uns einfach ein Image überlegen, wie wir sein wollen. Wir könnten einfach eine Nachtclubcombo sein oder – irgendwas halt. Gedämpftes Licht und nur zehn Leute da.“ Paul hat eine ähnliche Idee: „Ein Ballsaal – wenn wir’s einfach wie eine Tanzveranstaltung aufziehen würden. Wir spielen alle unsere Nummern und spielen wie zum Tanz, ohne irgendwelche Ansagen, erst eine schnelle Nummer, dann eine langsame, und alle tanzen einfach. Kann schon sein, dass es eine Prügelei gibt, kann schon sein, dass die Dinge eben passieren, die bei Tanzveranstaltungen passieren.“ Das Problem dabei ist, muss er zugeben, dass sie halt die Beatles sind und keine beliebige Tanzcombo.
Aber sind sie überhaupt noch die Beatles? Die Beatles sind immerhin vier; an der Diskussion jedoch beteiligen sich nur zwei von ihnen; von Ringo nämlich ist nichts zu hören und, schlimmer noch, von John auch nicht. Yoko spricht für ihn, woraus sich für Paul das Problem ergibt, dass er diplomatisch reagieren muss, denn jeder Versuch, Yoko offen zu widersprechen, würde John, für den Yokos Wort inzwischen offensichtlich Gesetz geworden ist, den Beatles weiter entfremden. Was also tun?
Am besten, sie gehen wieder an die Arbeit, nehmen ihre Instrumente und spielen. Paul nimmt allerdings nicht sein eigenes Instrument, sondern setzt sich an Ringos Schlagzeug und entwickelt einen schleppenden Rhythmus, auf dem John und George, nachdem sie ihre Gitarren gestimmt haben, eine nicht übertrieben einfallsreiche Improvisation (5:16) aufbauen. Nach kurzer Pause wird relativ zusammenhanglos weitergejammt; zwischenzeitlich gehen die Improvisationen auf Georges Initiative hin in eine von ihm gesungene Interpretation des Smokey-Robinson-Songs TRACKS OF MY TEARS (2:22) über, dann wird weiter improvisiert, bis George seine Kollegen mitreißen kann zu einem Rock ’n’ Roll-Medley, bestehend aus recht beherzt gespielten Versionen von Larry Williams’ DIZZY MISS LIZZY (3:00), Barrett Strongs MONEY (THAT’S WHAT YOU WANT) (2:44), Jerry Lee Lewis’ FOOLS LIKE ME (3:38) sowie zwei Nummern von Carl Perkins, SURE TO FALL (2:45) und RIGHT STRING, WRONG YO-YO (3:32) – alles Stücke, die die Beatles in ihren frühen Jahren im Repertoire hatten, was allerdings nicht heißt, dass sie die Songs (oder gar deren Texte) noch gut beherrschen.
Inzwischen ist es nach drei; der Spaß beim Spielen alter Lieblinge scheint heute geringer als an den Tagen zuvor, und probentechnisch hat der Tag noch überhaupt nichts gebracht, abgesehen vielleicht von der Erkenntnis, dass bei den Proben am Vormittag auch Johns am meisten versprechender neuer Song nicht mehr richtig laufen wollte. Folgerichtig wird jetzt anderthalb Stunden lang intensiv und ausschließlich an DON’T LET ME DOWN gearbeitet. Da die Grundstruktur des Stücks steht, werden einzelne Passagen gezielt durchgenommen und Varianten probiert. Zunächst steht die Middle Eight im Zentrum der Aufmerksamkeit, da John befürchtet, sie könne eine Schwachstelle sein. Paul verfeinert seinen Basspart und probiert diverse Falsettharmoniegesänge aus, teilweise auch mit neuen Textpassagen, da er (wie übrigens auch John selbst) findet, der bisherige Text sei ein bisschen kitschig; außerdem möchte er, dass George mitsingt. George hingegen möchte lieber einen anderen Rhythmus ausprobieren.
Statt des Rhythmus wird aber nur das Tempo verändert, allerdings bloß zur Entspannung: John verlangsamt das Stück und kaspert mit einem gesprochenen und ins Alberne übersteigerten Textfragment herum („And don’t you know it’s pretty scary on the floor / I get my hard-on every morning about nine o’clock when I get my toast and my tea“), singt und spielt dann kurz in beschleunigtem Tempo, bevor er zu ernsthaftem Tun zurückkehrt. Ein kompletter Durchlauf von DON’T LET ME DOWN (3:33) klingt recht homogen, wenn man davon absieht, dass John seinen Gesangspart überzogen schroff interpretiert, was nicht so recht zu Pauls schmachtend-schnulzigem Harmoniegesang passt. Außerdem fehlt weiterhin ein überzeugender Abschluss des Stücks. Ein zweiter Durchlauf von DON’T LET ME DOWN (3:22), der am Ende erneut ausfranst, weist ein verändertes Klangbild auf, weil Ringo einen schnelleren Rhythmus trommelt und George eine markante Wah-Wah-Gitarre spielt. John möchte aber keine Experimente von George und schmettert auch dessen Vorschlag ab, die Middle Eight etwas „heavier“ zu spielen. Auffällig ist, dass John bei der ganzen Detailarbeit auf jeden Vorschlag von Paul sofort eingeht, aber alles ignoriert, was von George kommt. Als George erneut einen veränderten, „funky“ klingenden Rhythmus vorschlägt, macht Paul den Versuch zwar kurz mit, aber ernsthaft geht niemand darauf ein.
So geht die Detailarbeit – fast ausschließlich an