Du bist ok, so wie du bist. Katharina Saalfrank

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Du bist ok, so wie du bist - Katharina Saalfrank

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Wege für sich und die eigene Familie zu gehen.

      Eine gesellschaftliche Aufgabe

      Eventuell wird mancher Leser an der einen oder anderen Stelle den Eindruck haben, dass einseitig Partei für das Kind genommen wird. Die Haltung zum Kind gesellschaftlich aufzubrechen stellt jedoch keine Parteinahme für das Kind dar und soll auch nicht als Akt der Gerechtigkeit verstanden werden. Wenn sich im Wandel der Zeit die wissenschaftlichen Erkenntnisse über ein gesundes Aufwachsen von Kindern verändern, ist es schlichtweg notwendig, diese Veränderung nach unserem kulturellen Selbstverständnis als gesellschaftliche Aufgabe zu begreifen.

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      1. WO WIR HEUTE STEHEN

      »Zu einem Ende kommen heißt, einen Anfang machen.«

      T. S. ELIOT

      JEDE MENGE MISSVERSTÄNDNISSE

      Die Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden für die Bildung sind in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Im Jahr 2010 waren es 174,8 Milliarden, 2015 194,9 und 2016 waren es bereits 201,6 Milliarden Euro. Ein weiterer Anstieg wird erwartet, nämlich 206,8 Milliarden Euro für 2017 (Bundesfinanzbericht 2019). Auch Familien werden hoch subventioniert. Neben dem Kindergeld können junge Familien seit 2007 auch das Elterngeld in Anspruch nehmen. Die Förderung der Familie vermittels vielfältiger Transferleistungen ist politischer Konsens in Deutschland. Und nicht nur die Familie, sondern auch das Kind selbst soll gefördert werden. Zum BETREUUNGSAUFTRAG ist der BILDUNGSAUFTRAG hinzugekommen. Infolgedessen sind zahlreiche Bildungsinstitutionen mit ebenso zahlreichen pädagogischen Konzepten wie Pilze aus dem Boden geschossen.

      »Kinder werden immer früher mit staatlich organisierter Bildung, mit immer noch mehr Wissen und dessen gezielter Vermittlung konfrontiert.«

      Besonders die frühkindliche Förderung wurde im Lauf der Jahre optimiert. Gute Bildung soll schon in frühen Jahren möglich sein. Unsere Kinder sollen alle Chancen haben, sich gut, nein: optimal zu entwickeln. Kinderkrippen, Kindertagesstätten und Ganztagsbetreuung für Kinder werden ausgebaut, gefördert – ein attraktives Angebot, das Familien kaum ausschlagen können. Oder nur auf eigene Verantwortung. Die KINDER ALS RESSOURCE DES WOHLSTANDS von morgen sind fest im Blick, ihr Wert allerdings wird ausschließlich in ihrer Fähigkeit beurteilt, Deutschland im internationalen Wettbewerb zu stärken. Was auf den ersten Blick nach einer begrüßenswerten Entwicklung aussehen mag, hat jedoch auch Schattenseiten. Denn die Ansprüche, die durch die umfassenden Förder- und Betreuungsangebote an die Familien herangetragen werden oder die sie an sich selbst stellen, sind enorm gestiegen und werfen viele Fragen auf. Wie kann ich meinem Erziehungsauftrag gerecht werden? Wie finde ich die richtige Betreuung? Welche Bildung soll mein Kind wann und in welcher »Dosierung« erhalten? Sind wir gute Eltern? Was wird aus meinem Kind, wenn es versagt, wenn ich versage als Mutter oder Vater? Kurz gesagt: Wie erziehe ich mein Kind richtig?

      Verunsicherung durch Angst

      Eltern wollen alles gut, alles richtig machen. Die Anforderungen, allem gerecht zu werden, steigen, und durch äußere oder auch eigene Ansprüche geraten Eltern schnell unter Druck, was zu Verunsicherung führt. Und Eltern sind leicht zu verunsichern. Das wird immer wieder in Familienberatungen deutlich. Eltern sind angreifbar und verletzlich in ihrer emotionalen Rolle als Mutter oder Vater, und sie fühlen sich sofort schuldig, wenn etwas (vermeintlich) nicht gelingt. Eltern erleben den Widerspruch zwischen dem Wunsch, das Beste für ihre Kinder zu ermöglichen und so deren gesellschaftliche Chancen zu steigern, und dem Bedürfnis nach familiärer Geborgenheit. Deshalb stellt sich ihnen die Frage, wie sie ihr Kind besser verstehen und gut mit ihm umgehen können, heute dringlicher denn je.

      Das Märchen von »Monstern« und »Tyrannen«

      Wir sind auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, miteinander zu leben. Wir sind in einer Phase der Ungewissheit und des Umbruchs. Dieser Zustand erklärt, warum so viele Debatten geführt werden über die angebliche »Disziplinlosigkeit« der Kinder und Jugendlichen von heute. Auch ist es in solch einer gesellschaftlichen Stimmung nur nachvollziehbar, dass Bücher, die aus medizinisch-psychiatrischer Sicht einen angeblichen »Erziehungsnotstand« ausrufen und Kindern neben der inflationären Diagnose ADHS zugleich noch eine psychische Reifeverzögerung attestieren, auf breites Interesse stoßen. Und nachvollziehbar ist ebenfalls, dass die autoritären Traktate, in denen von »kleinen Monstern« die Rede ist, die uns den »letzten Nerv rauben«, die uns »auf der Nase herumtanzen«, die »irrsinnig anstrengend« sind, offene Ohren finden. Diese Diskussionen über Kinder, die nicht »erzogen« sind, und über Eltern, deren Erziehung »aus dem Ruder gelaufen« ist und die sich »kleine Tyrannen herangezüchtet« haben, tragen ihren Teil dazu bei, dass bei vielen Eltern die Unsicherheit verstärkt wird. Zusätzlich angeheizt wird die Stimmung durch Schriften, die ein Loblied auf die »Disziplin« singen und in denen gefordert wird, dass Eltern mehr »durchgreifen« sollten. Wie viel zusätzliche Verantwortung lastet da auf den Schultern der Eltern!

      Auffällig – und ALARMIEREND – ist, dass gerade in derartigen Büchern kindliches Verhalten als »normal« oder »anormal« eingeordnet und gewertet wird, ohne dass die Verfasser sich mit der jeweiligen Situation, in der ein Kind agiert, oder mit den Gründen für ein bestimmtes Verhalten auseinandersetzen. Heute scheinen Kinder sofort mit Diagnosen belegt und bei jeder kleinsten Abweichung als »verhaltensauffällig« eingestuft zu werden. Ganz so, als ob keinerlei Zweifel daran bestünden, was als »normal«, »nicht normal«, als abweichendes Verhalten oder gar als krankhaft zu gelten habe. PAUSCHALIERUNGEN und VEREINFACHUNGEN von komplexen Fragen sind jedoch weder für Kinder noch für Eltern hilfreich und werden der diffizilen Materie nicht gerecht. Sie tragen vielmehr zur Unsicherheit von Eltern bei und lösen Angst und Sorge auf ihrer Seite aus.

      Vieles ist normal!

      »Normales«, also typisches Verhalten von Kindern ist erst mal ein rein statistischer Wert, und es bedarf einer differenzierten, umfassenden Beobachtung des Kindes unter Einbeziehung seiner Lebensumwelt, um fachlich einordnen zu können, ob es sich im konkreten Fall um ein Normverhalten handelt oder ob eine Abweichung vorliegt. Denn die Vielfalt dessen, was innerhalb einer gesunden kindgerechten Entwicklung geschehen kann, ist ungemein groß – und lässt viel Platz für Interpretation.

      Stigmatisierung der Kinder, Schuldgefühle der Eltern

      Eltern werden heute beständig mit Untergangsszenarien konfrontiert, die durch vermeintlich logische, tatsächlich aber haarsträubende Kausalketten hergeleitet werden. Von einem Kind, das sich protestierend auf den Boden wirft, weil es nicht einsehen will, dass seine Mutter ihm den Mund abwischt, ist es – glaubt man diesen Experten – nicht weit bis zu einem jugendlichen Arbeitslosen, der nicht fähig ist, eine Ausbildung anzufangen und zu beenden.

      Nicht selten landen dann verunsicherte Eltern bei Kinderärzten, Psychiatern und Psychologen; die Kinder müssen sich Tests unterziehen, man stellt ihnen Diagnosen, sie werden therapiert und häufig medikamentiert. Ihre »Symptome« werden behandelt. Sie werden als auffällige, schwierige Kinder eingeordnet, ausschließlich mit ihren DEFIZITEN gesehen, aber nicht mit ihren Nöten verstanden.

      »Glaubt man den Experten, so scheint eine ganze Generation unaufhaltsam auf die große Katastrophe zuzusteuern und eine gute Entwicklung von Kindern kaum noch möglich zu sein.«

      So werden sie von einer Institution zur anderen herumgeschoben, ihr Gefühl, dass sie »anders« und »nicht richtig« sind, verstärkt sich, während ihre Eltern neue, klinische Vokabeln lernen wie »Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom«,

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