Nur reich, reicht nicht. Harald J. Krueger

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Nur reich, reicht nicht - Harald J. Krueger

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Sie doch einfach bei ihr, wenn Sie fertig sind. Ich warne Oma vor. Sie mag keine Überraschungen. Ich komme dann dazu, so brauchen Sie Ihren Befund nicht zweimal vortragen.«

      Eine knappe Stunde später brachte Oma in ihrem alltäglich, blauen Wollkleid Herrn Rathge in Wilmas Büro.

      »Na, haben Sie die Quelle des Übels gefunden?«, fragte Wilma.

      »Ich habe sie jedenfalls eindeutig eingekreist. Die Traurigkeit strahlt nur aus dem dritten Stock.«

      »Komisch, das ist seit Monaten unbewohnt.«

      »Genau das habe ich Herrn Rathge auch schon gesagt.«

      Rathge flüsterte: »Das spielt offenbar keine Rolle oder ist der eigentliche Grund.«

      »Was machen wir denn nun?«, fragte Oma.

      »Was passiert, wenn wir gar nichts machen?«

      »Die Strahlung blockiert das Glück im Haus. Deshalb friere ich hier. Wirksame Maßnahmen kann ich nur vorschlagen, wenn ich die exakte Quelle gefunden habe. Ich müsste das Stockwerk detailliert untersuchen.«

      Oma rief: »Dafür brauchen wir die Zustimmung deiner Eltern.«

      »Die werden gewiss nichts dagegen haben. Ich rufe Mama kurz an.« Wilma stand auf, strich über das Handydisplay, drückte es ans Ohr und verließ den Raum.

      »Hallo Mama, darf Herr Rathge eure Wohnung im dritten Stock untersuchen?«

      »Was sucht der alte Spökenkieker denn?«

      »Die Quelle der Bad Vibration, die er sogar unten bei mir im Büro gespürt hat, lokalisierte er im 3. Stock.«

      »Na, dann lass ihn mal rein. Er soll aber nichts durchwühlen.«

      Mit nach oben gestrecktem Daumen kehrte Wilma zurück.

      »Mir würde es nächsten Montag am besten passen. Das kann Stunden dauern. Heute schaffe ich das nicht mehr. Ich bin auch schon zu erschöpft von der Hausinspektion.«

       7

      Am Mittwochvormittag, den 1. Mai, empfing Baldur Herrn Rathge in seiner Wohnung. Sie setzten sich am Sofatisch gegenüber. Verlegen rührte Baldur in seinem ungesüßten Kaffeebecher: »Ich weiß nicht, was Sie über mich bereits erfahren haben. Über Sie weiß ich gar nichts, außer dass Wilma mir empfahl, Sie zu konsultieren, um wieder glücklich zu werden. Was wird das kosten?«

      »Glück ist kostenlos, aber dennoch unbezahlbar. Nur wenn Sie zufrieden sind, geben Sie mir bitte soviel Bargeld, wie Sie für angemessen halten und sich leisten können. Das hat Zeit. Zunächst beschreiben Sie mir Ihr Problem.« Herr Rathge sprach so leise, dass sich Baldur konzentrierte, ihn zu verstehen.

      »Ich fühle mich übergangen. Ein Kollege, den ich für weniger qualifiziert halte, bekam den Abteilungsleiterposten, auf den ich gehofft hatte. Wir sind beide Kunsthändler beim Auktionator Jetterer, spezialisiert auf Gemälde, haben beide Kunstgeschichte studiert und mit Master abgeschlossen.«

      »Warum halten Sie sich für qualifizierter?«

      »Ich habe vor dem Studium zwei Jahre Gemälderestauration gelernt. Der Kollege robbte stattdessen bei der Bundeswehr fürs Vaterland durch den Schlamm. In meiner Wut habe ich meine Freundin vergrault. Nun suche ich den Pfad zurück ins Glück. Dafür empfahl Wilma Ihren Rat.«

      »Es gibt viele Wege zum Glück, einer davon ist, aufhören zu jammern.«

      »Normalerweise jammer ich nicht. Ich sollte Ihnen mein Problem beschreiben.«

      »Sie unterstellen, dass der Kollege, der das Glück hatte, den erhofften Job zu ergattern, glücklich ist. Aber Glück haben bedeutet nicht, glücklich zu sein.«

      »Was raten Sie mir? Was kann ich konkret tun?«

      Herr Rathge atmete mit geschlossenen Augen mehrmals tief durch und flüsterte: »Seien Sie dankbar für die vielen kleinen, täglichen Freuden. Sie werden sehen, das hilft, glücklich zu werden. Wenn nicht, rufen Sie mich an, um einen neuen Termin zu vereinbaren.« Er stand auf und ging zur Tür. Zum Abschied wiederholte er: »Seien Sie dankbar.«

       8

      Zwei Tage suchte Baldur vergeblich Gründe fürs Dankbarsein. Am Freitag gab er es auf und rief Herrn Rathge an. Sie vereinbarten, Samstagvormittag für seinen nächsten Besuch.

      Am Samstag beklagte sich Baldur bei Rathge: »Es gab einfach nichts, wofür ich dankbar bin. Wofür waren Sie in den letzten Tagen dankbar?«

      Rathge grübelte nur kurz: »Es geht zwar nicht um mich, aber wenn es Ihnen hilft. Heute freute ich mich, dass der Bus fahrplanmäßig ankam, er ohne Stau durchkam, und ich pünktlich hier eintraf. Gestern schmeckte mir das Mittagessen besonders gut….«

      Baldur unterbrach ihn: »Ach so, Sie meinen solche alltäglichen Kleinigkeiten.«

      Rathge nickte: »Weltbewegendes erlebt man selten. Ich rate Ihnen, immer wenn Sie sich über etwas gefreut haben, es in ein Dank-Tagebuch zu schreiben. Das wird Ihnen helfen, wieder glücklich zu werden. Wenn nicht, rufen Sie mich an. Dann komme ich nächsten Samstag. Seien Sie dankbar!«

       9

      Am Montag fuhren Wilma und Rathge im Fahrstuhl in den 3. Stock. Wilma schloss die Wohnungstür ihrer Eltern, die meistens in der Schweiz lebten, auf. Gemeinsam schritten sie durch die dunkle Wohnung. Die Möbel und Bilder waren mit Bettlaken abgedeckt. Rathge hielt Wilma davon ab, das Licht einzuschalten, die Rollos hochzufahren oder die Vorhänge zu öffnen: »Lassen Sie bitte zunächst alles so, wie es ist. Nur so finde ich die genaue Quelle. Ich melde mich bei Ihnen, wenn ich Sie brauche, oder fertig bin.«

      »Ich warte im Kellerbüro auf Sie.« Wilma schien, dass er vorzog, alleine zu suchen.

      ›Was eigentlich?‹

      Eine Stunde später wusste sie es. Rathge bat sie, ihm beim Abdecken von zwei Bildern in der Diele zu helfen: »Dafür brauchen wir eine Trittleiter.«

      »Ich habe eine in meiner Wohnung. Die nehmen wir gleich mit.«

      Im Flur des 3. Stocks stieg er auf die Leiter und löste die Verhüllungen der beiden hohen Ölgemälde. Es waren goldgerahmte Porträts in Lebensgröße. Die blasse Frau im edelsten, weißen Seidenkleid mit verklärtem Blick vor unscharfem, düsterem Landschaftshintergrund. Der stattliche Mann mit konzentriertem Blick in die Ferne im dunklen Gehrock vor Bücherregalen einer Bibliothek. Die präzisen Details der Bildnisse überraschte Wilma auch heute wieder. Diese Schärfe wäre ihrer Meinung nach heutzutage auch mit modernster Fototechnik unmöglich. Der Faltenwurf des Kleides erschien dreidimensional. Jedes kleinste Augenfältchen war verewigt. Selbst grobe Webfäden der Kleidung waren einzeln erkennbar. Wilma schaute Rathge fragend an: »Was ist mit diesen alten Schinken?«

      »Nur sie strahlten tiefe Traurigkeit aus. Ich spüre jetzt schon eine entspanntere Aura. Es wird noch Tage dauern, bis das Haus befreit ist.«

      »Heißt das, die beiden Herrschaften sollen unverhüllt bleiben und verstauben?«

      Rathge

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