Nur reich, reicht nicht. Harald J. Krueger
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»Das ist eine optische Täuschung, die nur im Gehirn des Betrachters stattfindet. Wir sind gewohnt, Zweidimensionales in Dreidimensionales zu übertragen. Das passiert bei perfekter Malerei oft.«
»Wieso strahlen diese alten Porträts nur abgedeckt traurig?«
»Weil sie sich nicht mehr sahen.«
»Sie hatten mir eben erklärt, dass sich die gemalten Augen nicht bewegen.«
»Das heißt aber nicht, dass sie blind sind.«
»Ah ha! Nun wird es aber spökig.«
»Vor circa zweihundert Jahren gab es überaus begabte Porträtisten, die versprachen ihren meist adligen Auftraggebern ewige Liebe über den Tod hinaus. Damals wurden Männer oft in Kriegen getötet. Ihre Frauen bangten um sie. Umgekehrt starben Frauen oft bei der Geburt. Diese Porträts trösteten die Hinterbliebenen.«
»Was machen wir nun mit ihnen?«
»Weil sie sich jetzt wieder sehen, lassen wir sie so hängen. Ich will sie noch eine Weile belauschen.«
Wilma spöttelte: »Die beiden können zwar nicht sprechen, aber Sie können sie hören. Na, da will ich nicht stören.«
Nach einer Stunde verabschiedete sich Rathge bei Wilma: »Ich habe das Dielenlicht angelassen. Ohne wäre es den beiden zu dunkel.«
»Was haben sie denn gehört?«
Rathge strahlte: »Sie sind überglücklich, dass die dunkle Epoche überstanden ist. Ich bin ihr erster lebender Lippenleser seit 200 Jahren. Der Herr sagte: ›Wenn ich noch könnte, würde ich vor Glück heulen. Als uns diese Unsterblichkeit angeboten wurde, konnten wir unser Glück kaum fassen. Tischbein hat uns ausgenommen. Ob er mit unserem Vermögen glücklich geworden ist, wissen wir nicht. Ist uns auch egal. Seit wir nur noch unsere Lippen lesen können, ist uns fast alles egal.‹ ›Vergiss das Licht nicht!‹, unterbrach ihn seine Frau.«
Rathge schnaufte: »Sie überlegen, wie sie sich bedanken können. Es scheint, um etwas Wertvolles zu gehen. Deshalb möchte ich in einer Woche wiederkommen, um zu erfahren, wie sie sich entschieden haben, und auch um die Auraveränderung im Haus zu prüfen.«
»Dann sehen wir uns nächsten Montag wieder.«
10
Um wieder glücklich zu werden, befolgte Baldur zunächst Rathges Empfehlungen, ein Dank-Tagebuch zu führen. Für das erste Wochenende schrieb er nichts in den altmodischen Terminkalender, den er als Tagebuch verwendete. Für Montag notierte er, dass er zum Glück zu Fuß trotz angekündigten Regens trocken in die Firma und nach Hause gekommen war. Am Dienstag war er dankbar, dass die Pizza üppig mit Salamischeiben belegt war. Ab Mittwoch verzichtete er auf Wiederholungen derartiger Nichtigkeiten. Da er keinen Erfolg feststellte, rief er am Freitag Herrn Rathge an.
Am Samstag besuchte Herr Rathge Baldur in seiner Wohnung. Das Tagebuch wollte er nicht lesen. Er empfahl: »Schreiben Sie zusätzlich auf, was Sie glücklich gemacht hat.«
»Also ein Dank- und Glücklich-Tagebuch.«
»Das wird Ihnen helfen, glücklicher zu werden. Wenn nicht, rufen Sie mich an, damit ich nächsten Samstag vorbeikomme.«
11
Am Montag brachte Wilma Herrn Rathge wieder in den 3. Stock. Er schaltete sofort die Deckenlampe im Flur ein. Die Farben der Porträts erstrahlten. Rathge setzte sich auf den Stuhl neben dem Spiegel. Wilma zog sich zurück.
Nach einer Stunde trieb Neugier sie zum Spökenkieker. Lautlos schlich sie die Treppe nach oben. Sie hörte ihn im Flüsterton noch langsamer sprechen, als sie ihn kannte. Durch die geschlossene Wohnungstür verstand sie kein Wort. Ihr schien, dass er nur einzelne Wörter aussprach. Antworten vernahm sie gar keine. Enttäuscht, dass sie nichts herausgefunden hatte, aber erleichtert, dass es keine Spukgeräusche gab, kehrte sie in ihr Büro zurück.
Einige Zeit später verabschiedete sich Herr Rathge bei ihr.
»Na, was haben Sie den Porträtierten entlockt?«
»Sie sind noch zu glückselig, sich wieder zu sehen, und befürchten erneut getrennt zu werden. Obendrein sind sie geschockt, von einem Lebenden angesprochen zu werden. Allein die heutige Sprache ist ihnen fremd. Vor zweihundert Jahren sprach man anders. Das wird noch eine Weile dauern, bis ich mit ihnen normal kommuniziere. Deshalb möchte ich die Sitzung am nächsten Montag fortsetzen.«
»Einverstanden. Hat sich das Karma in Haus verbessert?«
»Ja, erheblich, aber es ist noch belastet.«
12
Am Dienstagabend schrieb Baldur in das Dankund glücklich Tagebuch, dass ein Kunde eine E-Mail an Herrn Zander, den Geschäftsführer, geschickt hatte, in der Baldurs kompetente fachliche Beratung gelobt wurde. Am Mittwoch notierte er, dass ein auswärtiger Kunde ausdrücklich ihn bat, seine private Sammlung zu begutachten, um festzulegen, welche Gemälde verkauft werden sollten. Baldur freute sich auf die Dienstreise nach Berlin. Für den Rest der Woche hielt er nichts schriftlich fest. Er hatte nicht den Eindruck, glücklicher zu sein. Am Freitag bat er deshalb Herrn Rathge zu kommen.
Am Samstag saßen sich Baldur und Rathge wieder gegenüber. Rathge bedauerte: »Schade, dass Sie nicht mehr in das Tagebuch eingetragen haben. Ab sofort sollten Sie das Thema um ›gute Tat‹ erweitern.«
»Dann schreibe ich also ein Dank-, glücklichund gute Tat-Tagebuch.«
»Das wird Ihnen gewiss helfen, glücklich zu werden.«
»Ich wünsche mir, dass Sie recht haben.«
13
Am Montag verbrachte Rathge wieder lange Zeit allein mit den Porträts im 3. Stock. Dann berichtete er Wilma: »Heute war das Ehepaar von Untiedt mitteilsamer als letzte Woche.«
»Ach, haben sie sich vorgestellt. Wie verständigen Sie sich mit den Ölgemälden?«
Rathge lächelte: »Durch Lippenablesen. Das lernte ich von meinem Großvater. So kommunizieren die beiden.«
Wilma verkniff sich zu lachen: »Müsste die Ölfarbe nicht längst getrocknet sein? Bröseln die Lippen bei jedem Vokal von der Leinwand?«
»Sie sprechen extrem langsam. Sie haben ja alle Zeit der Welt. Das erleichtert mir, sie zu verstehen. Das Geheimnis dieser Porträtisten ist nie gelüftet worden. Sie malten nicht nur mehr als lebensechte Kopien ihrer Auftraggeber, sondern hauchten ihnen auch unsterbliches Leben ein. Eine wissenschaftliche Erforschung scheiterte an den wenigen Exponaten. Die Eigentümer lehnten Analysen ab, um die Werke unzerstört zu erhalten und den Ruf der Familie zu schützen. Für die Kirchen galt das damals als schwarze Magie, die dem Teufel zugeschrieben wurde.«
Wilma grinste: »Und was sagten sie so?«
»Sie sind so glücklich, wiedervereint zu sein, und schlagen einen Deal vor, wie wir das heute nennen.«
Wilma