Zeitrausch (3). Spiel der Gegenwart. Kim Kestner

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Zeitrausch (3). Spiel der Gegenwart - Kim Kestner Zeitrausch-Trilogie

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führen. Er ist weder breit noch tief und beinahe ausgetrocknet. Aber wo auch nur ein Rest Wasser ist, sind auch Tiere. Vor allem im Hochsommer.

      Jetzt, da ich es sehe, spüre auch ich meinen Durst. Ich habe schon eine Ewigkeit nichts mehr getrunken und bei meinem Kampf gegen die Ports jede Menge Flüssigkeit verloren. Ich schlucke trocken. In meinem Mund sammelt sich kaum noch Speichel.

      Kurz entschlossen knie ich mich auf das feuchte Moos und schöpfe Wasser aus dem Bach in meinen Mund. Es ist warm und braun und ich weiß, ich sollte es abkochen, aber falls es mich krank macht, werde ich es frühestens in einem Tag merken und dann werde ich entweder frei oder ohnehin tot sein.

      Als ich meine, keinen Tropfen mehr trinken zu können, suche ich mir einen armdicken Ast, schäle mit dem Messer erst die Rinde ab und schnitze danach so lange, bis er fast wie ein Riesenlöffel aussieht. Dann beginne ich zu graben. Ich werde drei Fallen bauen: eine Steinfalle, eine Schlinge und eine Grubenfalle. Vor allem Letztere ist verdammt mühselig und ich fürchte, es wird mich den Rest des Tages kosten. Dann muss ich auch noch Köder finden.

      Also gönne ich mir keine Pause, kratze, scharre und schaufle Erde und Steine aus, bis mein Arm schmerzt. Irgendwann stelle ich fest, dass es kühler geworden ist und die Tannen zunehmend längere Schatten werfen, und als sich das Wasser im Bach rot unter der Abendsonne färbt, bin ich endlich fertig.

      Die Grube ist so lang und tief wie mein Arm, bedeckt mit Schilfgras, ein nützliches Gewächs, aus dessen Fasern ich Seile für die anderen Fallen geflochten habe. Die Arbeit hilft mir, nicht über das Bevorstehende nachzudenken.

      Ich stehe auf, strecke meine Glieder und blicke mich um. Ich weiß, wo ich nach einfachen Ködern suchen muss. Nach kurzer Zeit habe ich unter loser Borke sieben fette Käferlarven gefunden, breche sie auf und spicke zwei meiner Fallen damit. Mit der Schlinge hoffe ich, einen Hasen zu fangen.

      Gut. Jetzt muss ich nur noch warten.

      Damit mein Geruch die Tiere des Waldes nicht verschreckt, entferne ich mich von den Fallen und rolle mich in der Grube eines entwurzelten Baumes zusammen. Schon bald bricht die Dunkelheit herein. Zum Glück ist es trocken und die Erde warm.

      Jetzt, da ich nichts mehr zu tun habe, bin ich unendlich müde. Ich gähne laut. Jeder Zentimeter meines Körpers fühlt sich geschunden an. Egal. Mein Magen knurrt. Gleichgültig. Mein Geist ist so erschöpft, dass ich zu denken kaum noch in der Lage bin. Unwesentlich.

      Von irgendwoher ruft eine Eule in die Finsternis. Ein tröstlicher Laut. Ich schließe die Augen und hoffe auf eine erholsame Nacht.

      Plötzlich schrecke ich hoch, stoße mir den Kopf an der Wurzel. Erde löst sich, rieselt in meinen Nacken. Oh Mann. Ich habe irgendetwas furchtbar Wirres geträumt, es hatte mit Jeremy zu tun. Aber die Bilder verflüchtigen sich noch schneller als das Gefühl, dass er in Gefahr ist.

      Ich krieche unter der Wurzel hervor, schüttle die Erde aus meinen Haaren und blinzle. Noch ist es zu dunkel, um die Fallen zu kontrollieren. Die Vögel jedoch zwitschern schon. Vielleicht eine Stunde noch, dann wird die Sonne aufgehen. Bis dahin bin ich mit meinen Gedanken allein.

      Aber ich will nicht über Jeremy nachdenken, über dieses verdammt blöde Gefühl, das ich eben hatte. Es ist besser, wenn meine Gedanken klar und analytisch bleiben, wie bisher. Emotionen darf ich mir nicht erlauben. Noch nicht.

      Um irgendetwas Sinnvolles zu tun, beginne ich, meine Muskeln zu lockern, strecke mich weit zur Seite, dann nach vorn, bis ich das trockene Moos rieche, dehne alle Glieder, auch wenn ich schreien könnte vor Schmerz. Wahrscheinlich bin ich von blauen Flecken übersät.

      Die Zeit bis zum Sonnenaufgang zieht sich quälend langsam dahin, und je entschlossener ich versuche, nicht über Jeremy nachzudenken, desto mulmiger wird mir, und als die ersten Sonnenstrahlen durch die Blätter brechen, kommt mir mein Plan vollkommen idiotisch vor.

      Die Ports werden mir meinen Selbstmord nicht einfach so abnehmen. Sie werden nach einer Bestätigung suchen, vielleicht eine DNA-Probe von dem Blut vor Ort nehmen. Oder sie werden nach einem Leichnam suchen. Meinem Leichnam. Erst dann wird meine Familie in Sicherheit sein und auch Kay.

      Während ich zurück zu den Fallen gehe, bin ich beinahe überzeugt zu scheitern. Wenn die Ports mich bisher noch nicht getötet haben, weil ihnen die reine Mannkraft fehlt, um alle Realitäten zu jeder Zeit zu überwachen, wie Sam Oscar meinte – würde mein plötzlicher Selbstmord sie nicht erst recht misstrauisch machen? Sie auf meine Fährte lenken? Oder gehen sie methodisch vor? Töten nach und nach alle Alisons aller Realitäten, die einen Marker tragen?

      Allein bei dem Gedanken daran ziehen sich meine Eingeweide zusammen.

      Ich bücke mich unter einem tief hängenden Tannenast hindurch und verlangsame meine Schritte. Gleich müsste ich am Bach sein.

      Ich schließe alle Zweifel tief in meinem Herzen weg und schleiche auf Zehenspitzen zu der ersten Falle: der Grube. Gestern habe ich sie genau dort ausgehoben, wo abgeknickte Äste und kahler Waldboden auf eine Wildbahn hinweisen. Aber kurz darauf erkenne ich, die Gräser liegen nach wie vor ordentlich geschichtet über dem Loch. Ich muss nicht nachsehen. Kein Tier wird darin sein, außer ein paar Ameisen vielleicht.

      Knapp 100 Schritte weiter zeigt die Steinfalle am Bach das gleiche Resultat. Ich stöhne. Wenn auch in der Schlinge nichts ist, werde ich in die Zivilisation müssen, in ein Zoogeschäft oder besser gleich zu einem Schlachter, ihn notfalls mit dem Messer bedrohen, damit er mir gibt, was ich brauche: sehniges Fleisch und Blut.

      Aber als ich der Schlinge näher komme, sehe ich bereits, dass sie ausgelöst hat. Ein Tier hängt bewegungslos in der Luft und mein Herz schlägt schneller mit jedem Schritt. Es darf nicht tot sein. Ich brauche frisches Blut.

      Mit wenigen Sprüngen bin ich bei dem Baum, an dem die Schlinge mit einem Hasen hängt.

      Perfekt! Das Seil hat sich fest um seinen Bauch gezogen. Ich packe den Hasen an den Hinterläufen und schneide das Seil durch. Im gleichen Moment zuckt er wild, versucht mit aller Macht, meinem Griff zu entkommen. Vielleicht ahnt er, dass er sterben wird. Doch als ich mein Messer an das weiche graue Fell ansetze, fällt er plötzlich in eine Art Starre.

      »Es tut mir leid«, flüstere ich, was die Wahrheit ist. Das Tier wird leiden, denn ich brauche zunächst seine Blase. Erst dann werde ich den erlösenden Schnitt die Kehle entlang führen, um sein Blut in das Organ laufen zu lassen, bevor es stockt.

      Ich beiße meine Kiefer fest zusammen und versenke mein Messer in seinem Unterleib. Der Hase quiekt und schreit schrecklich, zuckt, strampelt, während seine Gedärme aus der Bauchhöhle platzen. Ich beiße mir in die Wange. Jede Sekunde, die ich ihn quälen muss, leide ich mit.

      Keine Ahnung, wann er seinen letzten Klagelaut ausgestoßen hat, aber seine Schreie klingen in meinen Ohren immer noch nach. Heißer Schweiß rinnt mir den Nacken runter und meine Hände sind blutverschmiert, als ich fertig bin. Auf dem Waldboden liegen Fell, Eingeweide und Knochen verstreut. Ich würge. Meine Speiseröhre brennt von der Galle, und als ich zum Bach gehe, um meine Hände zu waschen, verabscheue ich mich selbst. Nie habe ich etwas Schlimmeres getan.

      Das Wasser des Bachs ist auch am Morgen noch warm. Ich wünschte, es wäre kalt. Eiskalt. So kalt, dass ich nichts mehr spüren muss. Ich weiß, die Zeit drängt. Doch ich kratze das Blut unter meinen Fingernägeln hervor, schrubbe meine Hände mit Moos, bis sie weiß glänzen, aber trotzdem fühle ich mich immer noch schmutzig.

      Ich kann mir jetzt aber keine weitere Verzögerung mehr leisten. Wenn ich noch länger warte, ist der Hase umsonst so qualvoll gestorben.

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