Zeitrausch (3). Spiel der Gegenwart. Kim Kestner

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Zeitrausch (3). Spiel der Gegenwart - Kim Kestner страница 8

Zeitrausch (3). Spiel der Gegenwart - Kim Kestner Zeitrausch-Trilogie

Скачать книгу

statt seins, in Kauf genommen, dass ich meine Familie und Kay im Stich lasse, und das nur, damit mich nichts mehr hält, ich bereit bin, jedes Risiko einzugehen, um seinen Kampf zu führen. Und ich Idiotin habe mich von ihm manipulieren lassen!

      Voller Zorn balle ich die Hände zu Fäusten und schlage gegen den Baum. Wenn ich eben noch angespannt vor Angst und gleichsam erwartungsvoller Hoffnung war, habe ich jetzt eine Scheißwut in mir und, wie ich mir eingestehe, Rachlust. Was auch immer geschieht, diese Rechnung werde ich begleichen!

      Jetzt jedoch gibt es nur ein Ziel. Ich werfe noch einen Blick auf den Abdruck im Schnee. Er muss von Kay stammen. Voller Entschlossenheit schreite ich aus. Der Wasserfall wird schnell lauter. Meiner Erinnerung nach muss ich mich links halten und richtig, kurz darauf rieche ich Rauch. Ich kneife die Augen zusammen, entdecke plötzlich einen rot glimmenden Fremdkörper zwischen den tristen Winterfarben: den schwachen Schein eines Feuers. Kay!

      Mein Gehirn setzt aus. Ich renne nur noch, denke nicht. Meine Füße berühren kaum noch den Boden, ich jage zwischen den Tannen hindurch, sehe Flammen, den Lagerfeuerplatz.

      Hoffentlich! Gott! Bitte lass ihn da sein! Ein dunkler starrer Fleck. Ist es …?

      Es ist der Bär! Mein Herz rast, mein Atem geht stoßweise. Ich breche durch irgendein Gestrüpp, meine Hand knallt gegen den Felsüberhang, unter dem der Bär bewegungslos liegt, und dahinter liegt … Kay!

      Es kommt mir wie ein Traum vor. Ich kann es kaum fassen. Tränen schießen mir in die Augen. Mein Glück scheint nicht real und doch ist es das. Vollkommen überwältigt sinke ich auf die Knie und strecke die Hand so vorsichtig nach Kay aus, als könnte er sich unter meiner Berührung auflösen.

      Sein Gesicht ist weiß und kalt wie Marmor. Oh Gott! Ist er …?

      Meine Finger tasten schon nach seinem Puls. Dummdumm. Dumm-dumm. Kays Herz schlägt vollkommen regelmäßig. Es geht ihm gut. Er ist hier. Bei mir! Ein Zittern durchfährt meinen Leib. Ich heule und bebe und schluchze, ohne dass ich es aufhalten kann, kralle mich dabei an Kays bewegungslosem Körper fest und bedecke sein Gesicht, das bald nass von meinen Tränen ist, mit Küssen.

      Kay reagiert nicht. Doch das ist egal. Er wird aufwachen und ich werde da sein.

      »Ich bin hier. Ich bin hier. Ich bin doch hier«, presse ich hervor, immer wieder, weil ich es selbst nicht fassen kann. Nichts könnte mich mehr wärmen, keine Decke, kein Sonnenschein, als Kays kalter Körper, dem ich nicht nah genug sein kann.

      Gleich darauf löse ich mich doch von ihm. Auch wenn ich eben noch davon überzeugt war, Sam Oscar habe mich angelogen und die Ports würden entgegen seiner Vorhersage nicht kommen, um mich zu ermorden, drängt sich mir das ungute Gefühl auf, doch nicht in Sicherheit zu sein. Einfach weil es zu schön ist, um wahr zu sein. Ich sollte von hier verschwinden. Aber nicht ohne Kay!

      Kurz entschlossen greife ich nach seiner Markerhand, so wie Oscar es bei mir getan hat, um mich mit sich durch die Zeit zu ziehen. Ich schließe die Augen und denke an den Strand, meinen Zufluchtsort.

      Nichts geschieht.

      Ich rufe mir den Geruch der Kiefern in Erinnerung, ein Sandförmchen, die Wärme der Sonne, mich selbst als spielendes Kleinkind. Die Bilder sind ganz klar und trotzdem tut sich nichts. Rein gar nichts.

      Panik beginnt, in mir aufzusteigen, plötzlich fühle ich mich vollkommen hilflos wie in einem Traum, in dem man rennt und rennt und doch nicht von der Stelle kommt. Kays bewegungsloser Körper wirkt wie ein verfluchter Anker.

      Kurz bin ich versucht, es ohne ihn im Schlepptau zu probieren. Nur um zu überprüfen, ob es noch funktioniert, aber ich kann mich nicht überwinden, ihn alleinzulassen.

      Kays Hand fest in meiner, öffne ich meine Augen wieder. Der Wald scheint noch düsterer geworden zu sein und es hat zu schneien begonnen. Bauschige Flocken fallen vom Himmel, bedecken den Boden, zerschmelzen über der Feuerstelle, noch bevor sie die Flammen erreicht haben. Ein Blick in den Himmel: Er ist grau und verhangen. Unmöglich zu sagen, wann die Nacht hereinbrechen wird, meiner Erinnerung nach müsste es jedoch später Nachmittag sein.

      Das Gefühl, mein Glück sei nicht von Dauer, wird mit jedem Millimeter stärker, den die Erde unter der weißen Decke verschwindet. Der Anblick bringt eine vage Erinnerung zurück. Es ist mehr ein Gefühl. Das Gefühl, nicht zu Ende gedacht zu haben. Ich beiße auf meinem Fingerknöchel herum, während ich zu ergründen versuche, was zum Teufel ich übersehen habe.

      Gut, also: Schneeflocken, Schneedecke, Waldboden … Es begann zu schneien, als ich Kay vor 2 Jahren verließ. Kurz darauf fiel mein Marker plötzlich aus. Richtig, damals konnte ich mir nicht erklären, warum. Jetzt weiß ich, der Reif an meinem Oberarm war schuld daran. Denn in dem Moment, da ich mich hierherportierte, um den Bären zu töten, setzte der Störsender den Marker meines jüngeren Ichs außer Kraft. Zumindest solange ich in ihrer Nähe war.

      Ich blicke zu dem toten Tier. Die Schneeflocken färben sich rot, wo sie auf Blut treffen. Es kann also nicht lange her sein, dass die jüngste Version meines Selbst gegangen ist. Das Blut am Bärenschädel ist noch frisch.

      Mein Gott! Sie muss sich noch im Umkreis von etwa 100 Metern befinden! Deswegen stand auf meinem Marker damals nach wie vor Technischer Ausfall.

      Nicht weil die Wirkung des Störsenders eine Zeit lang anhielt, nachdem ich den Tomahawk nach dem Bären geschleudert hatte und wieder zurück zu Kay in die Hütte gesprungen war, sondern weil ich kurz darauf erneut hier aufgetaucht bin. Nämlich genau jetzt.

      Linear gesehen müsste meine 17-jährige Version in wenigen Sekunden die Reichweite des Störsenders erreicht haben und dann wird man ihr Schmerzen zufügen. Rasende Schmerzen, die sich anfühlen, als würde ihr Kopf in Flammen aufgehen.

      Damit wollten diese Mistkerle aus der Zukunft mich zwingen, ihnen zu verraten, wieso mein Marker ausgefallen war. Richtig! Jetzt erinnere ich mich an die Worte, die damals über den Marker meiner linken Hand liefen: Welche Kenntnis haben Sie über die technische Manipulation?

      Sie wussten, ahnten zumindest, dass es sich nicht um einen Ausfall, sondern um eine Manipulation handelte, besser handelt, denn es geschieht jetzt. Wahrscheinlich in diesem Moment! Die Gedanken rasen förmlich durch meinen Kopf, versuchen, die Zusammenhänge logisch zu erfassen, spinnen alle möglichen Szenarien, stoßen auf Paradoxe, kehren zurück, schlagen neue Wege ein, überkreuzen sich, stoßen auf Mögliches, Unmögliches, Wahrscheinliches, getrieben von der Angst, jede Sekunde fliehen zu müssen und Kay nicht mit mir ziehen zu können. Werden die Ports doch plötzlich hier einfallen? Falls sie das vorhaben, wieso sind sie dann nicht schon hier? Oder waren sie bereits hier? Der Stiefelabdruck! Mein Kopf schnellt zu Kays Füßen. Er trägt feste Schuhe. Hatte er die schon immer? Ich erinnere mich nicht.

      Plötzlich meine ich, brechende Äste zu hören. Ich lausche angespannt, aber das Blut pumpt so wild durch meine Adern, dass das Dröhnen jeden anderen Laut übertönt. Vielleicht bin ich inzwischen paranoid oder nur übervorsichtig oder total übergeschnappt, aber ich werde nicht hierbleiben, um es herauszufinden. Es muss mir gelingen, Kay mit mir zu ziehen. Es muss!

      Noch immer umfasst meine Hand seine. Ich prüfe, ob unsere Marker genau aufeinanderliegen, womöglich spielt das eine Rolle. Dann schließe ich die Augen. In diesem Augenblick knackt es irgendwo und ein eiskalter Schauer überzieht meinen Rücken. Verworrene Bilder rasen durch meinen Kopf. Mein Elternhaus, Jeremy, der Strand, die Stylistin Ivana Jass, die Apfelplantage, mein erster Schultag … Kein Detail ist intensiv genug, um uns zu tragen. Verdammt!

      Von irgendwo dringt ein markerschütternder Schrei zu mir,

Скачать книгу