Zeitrausch (3). Spiel der Gegenwart. Kim Kestner

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Zeitrausch (3). Spiel der Gegenwart - Kim Kestner Zeitrausch-Trilogie

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und starre in die Richtung, aus der der Laut kam. Wieder ein lang gezogener, gequälter Schrei! Ich versteife mich, denn ich weiß, wer da schreit, und vor allen Dingen, wieso. Es ist mein 17-jähriges Ich, das die Reichweite meines Störsenders nun überschritten haben muss und jetzt über ihren Marker gefoltert wird.

      Die Schreie brechen ab, branden wieder auf und werden immer leiser, je weiter sie sich von mir entfernt.

      Bedeutet das, die Ports werden jeden Moment hier sein?

      Hinter mir spüre ich die schützende Felswand, vor mir jedoch sehe ich durch das immer dichtere Schneegestöber nichts als undefinierbare dunkle Schatten.

      Noch immer verharre ich reglos, meine Sinne aufs Äußerste geschärft, aber mein Gehirn scheint ausgeschaltet. Keine Bilder, keine rettenden Details, nur von Angst getriebene Wachsamkeit, und doch bin ich unfähig, mein Messer aus der Schlinge zu ziehen.

      Meine Hand umkrampft Kays so stark, dass es wehtut. Doch er reagiert nicht einmal darauf. Egal. Ich darf nicht aufgeben.

      Gerade als ich wieder die Augen schließen will, kommt ohne Vorzeichen heftiger Wind auf. Der Schnee wird zu harschem Graupel, der über mein Gesicht gepeitscht wird.

      Das sind sie! Sie steuern das Wetter. Sie wissen, dass ich hier bin! Bestimmt sind die ersten Ports schon hier, höchstens 100 Meter entfernt, die maximale Reichweite des Störsenders, und das dichte Schneegestöber soll ihre Körper verschleiern, das Pfeifen und Rauschen des Windes ihre Schritte übertönen. Gleich werden sie aus dem Wald stürmen. Selbst durch das Tosen des Windes meine ich, wieder Äste knacken zu hören. Kein Tier verursacht dieses Geräusch, sondern Menschen, die kein Busch, kein tief hängender Ast aufhalten kann.

      Vor lauter Angst, die Ports nicht kommen zu sehen, traue ich mich nicht mehr, die Augen zu schließen. Ein erbärmlicher Hilferuf kriecht aus meiner Kehle. »Hilfe. Hilfe. Hilfe …«

      Noch nie hatte ich solch furchtbare, lähmende Angst. Nicht auf dem Schlachtfeld zwischen den unzähligen Ports, nicht als ich Kay sterben sah, nicht einmal, als sie mich das erste Mal in die Zukunft entführten. Und ich kenne den Grund für diese Angst: Ich bin mir sicher, schon verloren zu haben, weil es kein Glück für Kay und mich geben kann. Weil nichts von dem, was ich bisher getan habe, gut endete.

      Niemals.

      Ich hefte meinen Blick auf Kays regloses Gesicht und kann nur noch daran denken, dass unsere Zukunft nur wenige Minuten gedauert hat, von denen er nicht eine miterlebt hat. Wenn es gleich vorbei ist, wird er noch nicht einmal wissen, dass ich hier war, dass es mir endlich gelungen ist, zu ihm zu kommen.

      Plötzlich spüre ich, wie Kay meinen Händedruck erwidert. Seine Lider zucken. Er wacht auf.

      Er wacht auf! Ein Ruck geht durch meinen Körper.

      Bist du wahnsinnig?, schreie ich mich in Gedanken an. Nach allem, was du durchgemacht hast, kampflos aufzugeben? Alison! Konzentriere dich! Los, such dir ein anderes Bild. Dein Zuhause meinetwegen. Etwas, das stark genug ist, euch beide zu tragen! Hauptsache weg. Gleich werden sie hier sein!

      Mein Bedürfnis nach Sicherheit ist übermächtig und vor meinem geistigen Auge tauchen unwillkürlich Erinnerungen voller Geborgenheit auf: Dad in seinem Schuppen, der Geruch von Sägemehl, das Geräusch eines Hobels, die Wärme des Sommers, zwitschernde Vögel, der Apfelbaum vor meinem Zimmer.

      Ich gebe mich dem Sog hin und umklammere Kays Hand noch fester. Nichts darf uns trennen.

      Nichts!

      Und endlich … Ein Kribbeln durchläuft meinen Körper, von meiner Markerhand in den Nacken, über den Rücken bis zu den Zehenspitzen. Ich meine, Rufe durch den Sturm hindurch zu hören, wage aber nicht, die Augen zu öffnen, damit die Bilder nicht zerfallen. Und als mich der Sog endlich davonträgt, fühlt es sich unendlich kräftezehrend an. Meine Muskeln brennen und Schweiß bricht aus meinen Poren. Ich kann nur beten, dass diese Anstrengung bedeutet, ich habe Kays Körper mit mir gezogen.

       4.

      Irgendwann im Sommer, zu Hause

      Der Sog scheint mich endlos in die Tiefe zu ziehen. Als drücke mich ein Strudel immer weiter nach unten. Ich spüre meinen Körper nicht mehr. Auch Kays Hand nicht! Nie zuvor hat es so lange gedauert, die Zeit zu wechseln, und das erste Mal nehme ich bewusst wahr, wie ich körperlos zu sein scheine und trotzdem eine enorme physische Anstrengung verspüre.

      Doch dann lässt der Druck nach, der Wirbelstrom wird langsamer und ich spüre meine Glieder wieder und … Kays Hand.

      Er ist bei mir!

      Ich reiße die Augen auf. Warmes Licht umfängt mich, verschwommene Brauntöne, und dann ganz klar: Kay.

      Mein Gott. Er ist wirklich da. Es hat geklappt, ich habe ihn mit mir reißen können! Ein übergeschnapptes Lachen steckt in meiner Kehle und gleichzeitig ein rasendes Herz in meiner Brust, angetrieben von Panik.

      Zögerlich löse ich meine Hand von Kays, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Zu groß ist meine Angst, ihn wieder zu verlieren. Aber er löst sich nicht in Luft auf. Nein. Ein Sonnenstrahl fällt auf sein Gesicht und jetzt wirkt er nicht mehr so furchtbar blass, sondern nur, als schlafe er. Was er auch tut.

      Ich folge dem Lichtstrahl, in dem winzige Staubpartikel schweben, zu einer Bretterwand. Durch ein Astloch fällt die Sonne. Es riecht nach Leim und … Sägemehl. Ich bin zurück. Ich bin in Dads Tischlerwerkstatt.

      Irgendwie komme ich hoch und sehe mich mit offenem Mund um. Bretter stapeln sich an einer Längsseite, gegenüber stehen Regale mit Kisten voller Werkzeug, ein halb fertiger Stuhl auf der Werkbank hinter mir, daneben ein Hobel, Holzspäne auf der Erde und eine staubige Matratze, die zusammengerollt und verschnürt zwischen einer Kreissäge und einem Hauklotz klemmt. Es ist genau, wie ich es in Erinnerung hatte. Ich bin zu Hause!

      Die Erkenntnis wird gleich darauf von einem Wirrwarr an heftigen Gefühlen erschlagen: unendliche Dankbarkeit, Sehnsucht, Geborgenheit, Glück. Vor allen Dingen Glück und die Angst, dieses Glück gleich wieder zu verlieren.

      Wieder sehe ich zu Kay. Er zuckt unruhig. Bald wird er endgültig aufwachen. Und dann?

      Mein Verstand sagt mir, wir sollten nicht hier sein, aber alles andere in mir weiß: Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr. Ich bin unendlich erschöpft. Geistig wie körperlich. Beinahe habe ich das Gefühl, eine leere Hülle zu sein, substanzlos, kaum mehr da. Über 2 Jahre Flucht, Entbehrung und Kampf haben mich ausgelaugt. Nein, ich kann nicht mehr. Sollten Ports kommen, müssen wir wieder fliehen, das ist mir bewusst. Aber bis dahin will ich einfach nur sein. Hier sein. Bei meiner Familie sein. Bei Kay sein.

      Ich gehe zur Tür, drücke die Klinke und spähe hinaus. Gegenüber steht mein Elternhaus. Ein gepflasterter Weg führt über den kurz gemähten Rasen zu der weißen Veranda, die einmal um unser Haus herumläuft. Vom Schuppen aus kann ich durch eines der Fenster in unser Wohnzimmer blicken und erahne den Kamin. Er brennt nicht. Kein Rauch steigt aus dem Schornstein. Wieso auch? Es ist offensichtlich Sommer und auf Höhe des Dachfirsts sehe ich die Äste des Apfelbaums.

      Um mich ist nichts als Frieden, keine Ports, kein plötzlicher Wetterumschwung und das einzige laute Geräusch stammt von einer gurrenden Taube, die in der Krone des Apfelbaums sitzt. Du meine Güte! Dass der Baum so groß ist, muss bedeuten, ich bin zurück in meiner Gegenwart! In etwa zumindest.

      Wo sind Mum, Dad, Jeremy?

      Ich

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