Arztroman Sammelband: Drei Romane: Ihre Verzweiflung war groß und andere Romane. A. F. Morland

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Arztroman Sammelband: Drei Romane: Ihre Verzweiflung war groß und andere Romane - A. F. Morland

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ist der Nachteil, wenn man Gast ist“, lachte Berta Dietrich. „Da kann man nicht so, wie man will.“

      Oma Clara verdrückte das Stück Kuchen ohne Probleme. Nach weiteren zwei Tassen Kaffee hielt vor dem Haus ein knallroter Sportwagen, und eine elegant gekleidete Frau Anfang dreißig stieg aus. Der Wind brachte ihr langes blondes Haar in Unordnung. Sie strich es sich mit einer unwilligen Handbewegung aus der Stirn und näherte sich dem Haus.

      „Ihre Tochter kommt“, sagte Oma Clara: „Ich breche auf.“

      „Deshalb brauchen Sie doch nicht zu gehen.“

      „Mein Mann wird bald nach Hause kommen, und ich hab noch ein bisschen was zu tun“, sagte Frau Griesmayer und erhob sich.

      Es läutete.

      „Ich lass Ihre Tochter ein“, sagte Clara Griesmayer und verließ das Wohnzimmer. Sie öffnete die Tür.

      „Tag, Frau Griesmayer“, grüßte Sonja Winter.

      „Tag, Frau Winter. Wie geht’s?“

      „Ganz gut. Und Ihnen?“, fragte Sonja.

      „Ein bisschen Husten, hab mich erkältet, aber das wird schon wieder.“

      Die eine trat ein, die andere ging hinaus.

      „Ich hoffe, Sie gehen nicht meinetwegen“, sagte Sonja Winter lächelnd.

      „Ich möchte vermeiden, dass mein Mann eine Vermisstenanzeige aufgibt – oder noch mal heiratet, wenn ich zu lange wegbleibe“, erwiderte Oma Clara und entfernte sich mit schweren Schritten.

      „Sie mag mich nicht“, sagte Sonja zu ihrer Mutter, die in der Wohnzimmertür stand.

      „Unsinn, das bildest du dir ein.“

      „Ich fühle es.“ Sonja Winter ging zu Berta Dietrich und küsste sie. „Hallo, Mutter. Wieso gehst du mit einem Stock? Bist du gestürzt?“

      Frau Dietrich erzählte ihrer Tochter, was ihr fehlte.

      „Warst du schon beim Arzt?“, fragte Sonja.

      „Ja. Dort habe ich auch Frau Griesmayer getroffen. Sie hat mich nach Hause begleitet.“ Sie drehte sich um und humpelte zum Sofa.

      „Was sagt Dr. Kayser? Kann er dir helfen?“

      Frau Dietrich setzte sich. „Ich muss in die Seeberg-Klinik.“

      Sonja Winter erschrak. „Wozu?“

      „Die Zyste muss operativ entfernt werden.“

      Sonja setzte sich neben ihre Mutter. „Wann?“

      „Übermorgen“, antwortete Berta Dietrich.

      „Oh! Ich dachte, ich könnte dir Iris bringen, aber ... Naja, es wird sich eine andere Lösung finden.“

      „Was hast du denn vor?“, erkundigte sich Frau Dietrich.

      Sonja schürzte die Lippen. „Wir wollen für ein paar Tage nach Kaprun. Ein bisschen mit dem Segelflieger über den Alpen kreisen, ein bisschen Bergluft schnuppern, ein bisschen ausspannen.“

      „Du und Patrick?“

      Sonja senkte etwas verlegen den Blick und schüttelte langsam den Kopf. „Nein, ich fahre nicht mit Patrick. Mit jemandem, den du nicht kennst.“ Jetzt sah sie ihre Mutter an, und in ihren Augen funkelte ein kriegerischer Trotz. „Patrick hat ja – wie immer – keine Zeit, und ich sehe nicht ein, weshalb ich mich daheim vergraben soll. Zu Hause sterben die Leute, sagt man.“

      Berta Dietrich schwieg. Sie betrachtete ihre Tochter nur traurig.

      „Ich bin nicht geschaffen für ein Leben im goldenen Käfig“, meinte Sonja sich verteidigen zu müssen. „Ich bin jung, erst vierunddreißig. Ich möchte noch etwas erleben. Wenn Patrick lieber arbeitet, als mit mir und Iris zusammen zu sein, ist das seine Sache. Ich spiel’ da jedenfalls nicht mit.“

      Sonja war Sportfliegerin. Sie gehörte einem Club an, in dem es vorwiegend Männer gab. Das Angebot an Verehrern war dementsprechend groß, und Berta Dietrich hatte auf Umwegen vernommen, dass ihre Töchter davon reichlich Gebrauch machte. Angeblich wechselte Sonja ihre Liebhaber sehr häufig. Frau Dietrich glaubte nicht, dass das nur hässliches Gerede war, und sie schämte sich für den unverantwortlich lockeren Lebenswandel ihrer Tochter.

      Wer mochte es diesmal sein? Mit wem wollte Sonja ein paar Tage in Kaprun verbringen? Mit jemandem, den ich nicht kenne, dachte Frau Dietrich bitter. Das muss mir als Antwort genügen. Mehr würde sie mir auch nicht verraten, wenn ich sie mit neugierigen Fragen löchern würde.

      „Ich bringe Iris zu den Kaspareks“, überlegte Sonja laut. „Ja, das ist eine gute Idee. Sie liegen mir seit Wochen mit der Bitte in den Ohren, ich solle Iris bei ihrer Tochter schlafen lassen. Okay, nun schickt es sich mal.“

      Auf die Idee, die Reise nach Österreich abzublasen, kam Sonja nicht. Der neue Mann musste ihr sehr wichtig sein. Aber diesmal war Iris wenigstens nicht die Leidtragende.

      Sie würde mit Jasmin Kasparek ihren Spaß haben. Sie hatte ihrer Omi schon oft von diesem Mädchen vorgeschwärmt. Jasmin war ihre beste Freundin.

      „Wie geht es Iris?“, erkundigte sich Berta Dietrich.

      Sonja wiegte den Kopf. „Sie ist in letzter Zeit ein bisschen dünn geworden.“

      „Ist sie krank?“, fragte Frau Dietrich sofort besorgt.

      „Nein. Sie hat bloß keinen Appetit“, antwortete Sonja Winter.

      „Vielleicht solltest du mit ihr mal zu Dr. Kayser gehen.“

      Sonja schüttelte den Kopf. „Ach was, das wird schon wieder. Man darf so etwas nicht überbewerten.“

      „Man sollte es aber auch nicht ignorieren. Iris’ Appetitlosigkeit muss eine Ursache haben!“

      „Jedes Kind isst mal mehr, mal weniger“, sagte Sonja unbekümmert. „Das ist kein Grund, sich gleich Sorgen zu machen und den Arzt aufzusuchen.“ Sie schaute auf ihre Armbanduhr aus Platin. Ein Geschenk von Patrick. Er war sehr großzügig, und immer waren sie ja nicht wie Hund und Katze zueinander. Aber leider immer öfter. „Ich muss gehen, Mama.“

      „Ich hab’ dir noch nicht mal etwas angeboten“, sagte Frau Dietrich schuldbewusst.

      „Das macht nichts“, erwiderte Sonja lächelnd. „Ich bin weder hungrig noch durstig.“ Sie legte ihrer Mutter die Hand auf den Arm. „Leider bin ich nicht in München, wenn du operiert wirst. Wir sehen uns hinterher. Ich wünsch’ dir alles Gute, obwohl es beinahe überflüssig ist, dehn die Seeberg-Klinik genießt den allerbesten Ruf.“

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