Evolution Bundle. Thomas Thiemeyer
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»Bei einem Kometen handelt es sich – im Gegensatz zu einem Meteoriten oder Asteroiden – nicht um einen homogenen Felsbrocken, sondern um das, was Wissenschaftler gemeinhin als schmutzigen Schneeball bezeichnen«, erklärte er und fuhr ohne Unterbrechung fort: »Eine Mischung aus felshartem Eis mit einem hohen mineralischen Anteil, die fast durchweg mit Schotter und lockerem organischem Material bedeckt ist. Die ersten wirklich gesicherten Daten über die Zusammensetzung und den Aufbau von Kometen erlangte die Wissenschaft im Jahre 2014, also vor nunmehr einundzwanzig Jahren, durch die Raumsonde Rosetta und ihren Vorbeiflug am Kometen Tschurjumow-Gerassimenko. Das Landefahrzeug Philae wurde auf die Oberfläche geschickt, mit dem Auftrag, Gesteinsproben zu sammeln und Messungen vorzunehmen. Die damals gewonnenen Erkenntnisse gaben der Kometenforschung einen beträchtlichen Auftrieb. So wurden sechzehn organische Moleküle nachgewiesen, von denen vier noch nie auf einem solchen Himmelskörper gefunden worden waren.«
»Habt ihr das gewusst?«, flüsterte Katta.
»Natürlich«, entgegnete Olivia mit hochgezogener Braue. »Du etwa nicht? Das war doch das große Thema damals im Fernsehen.«
»Nicht bei Germanys Next Topmodel«, entgegnete Katta schnippisch.
»Seid doch mal still«, zischte Marek. »Wenn es euch nichts ausmacht, würde ich das gerne sehen.«
Roderick war inzwischen beim Inneren des Kometen angelangt. »Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass es sich bei Kometen um wahre Baukästen organischer Verbindungen handelt. Viele dienen als Ausgangspunkt für wichtige biochemische Reaktionen. Thor bildet da keine Ausnahme. Die These, dass das Leben einst von Kometen auf die Erde gebracht wurde, galt nach der Erforschung von Tschurjumow-Gerassimenko als gesichert. Doch was bedeutet der Absturz des Kometen nun für unsere Erde?«
Jem hing gespannt an den Lippen des kleinen Mannes. Es kam ihm vor, als würde Roderick den Auftritt sichtlich genießen.
»Um dieser Frage nachzugehen, schalte ich nun ins Hauptstadt-studio Washington, zu unserem Experten Dr. Willard Ash.« Roderick tippte in die Luft und sofort erschien das Bild eines angegrauten Mannes mit schütterem Haar, hinter dessen dicken Brillengläsern tiefe Tränensäcke lagen. Seine Schultern hingen leicht herab und er machte den Eindruck, als hätte er nächtelang nicht geschlafen.
»Dr. Ash, Sie gehören einer Gruppe von Klimaforschern an, die sich seit Jahren mit den Auswirkungen eines möglichen Kometenniedergangs auf das Weltklima beschäftigen. Nun ist es also passiert. Was wissen wir über diesen Kometen und was können Sie uns zu diesem frühen Zeitpunkt an Erkenntnissen liefern?«
»Ich grüße Sie«, sagte der Mann mit gepresster Stimme. »Nun, genaue Vorhersagen lassen sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht treffen. Unsere Datenauswertung läuft selbstverständlich auf Hochtouren. Ganz allgemein müssen wir aber wohl davon ausgehen, dass sich das Weltklima in naher Zukunft ändern wird. Und zwar beträchtlich.«
»Weltklima, habt ihr das gehört?« Jem sah seine Freunde der Reihe nach an. Ihnen allen stand die Verblüffung ins Gesicht geschrieben. »Das könnte die Erklärung sein. Deswegen ist es so warm. Die vielen Sümpfe, die Gewitter, die hohe Luftfeuchtigkeit.
»Du hast recht«, flüsterte Olivia. »Aber jetzt lass ihn ausreden.«
Dr. Ash fuhr mit seinen Ausführungen fort: »Die Astronomen haben errechnet, dass Thor eine Masse von schätzungsweise zehn Milliarden Tonnen aufgewiesen hat. Zehn Milliarden, von denen der Großteil aus gefrorenem Kohlendioxid besteht. Beim Verdampfen hat der Komet eine ungeheure Menge an Treibhausgas in die Atmosphäre geblasen. Etwa halb so viel, wie in einem Jahr weltweit durch das Verbrennen fossiler Energien entsteht.«
»Das klingt ja zunächst nicht allzu schlimm …«, sagte Roderick.
»Täuschen Sie sich nicht.« Ash nahm seine Brille von der Nase und putzte sie umständlich. »Vergessen Sie nicht, welche Probleme wir bis vor wenigen Jahren mit den Treibhausgasen und der daraus resultierenden Erderwärmung hatten. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis sich die Nationen der Welt auf einheitliche Emissionswerte geeinigt haben. Und nun kommt dieser Komet daher und wirft all unsere Bemühungen über den Haufen. Darüber hinaus ist dies kein langsamer Ausstoß, sondern eine spontane und heftige Verpuffung. Ein räumlich begrenztes Ereignis, welches die feinen Abläufe im Weltklima gehörig durcheinanderbringt. Stürme, Unwetter und ein massiver Anstieg der Luftfeuchtigkeit werden die Folge sein. Zuerst betreffen sie nur ein vergleichsweise kleines Gebiet, doch im Laufe der Monate werden sie sich ausbreiten und weltweit auftreten. Meeresströmungen könnten sich erwärmen und es könnte zu einer Art Super-El-Niño führen, der das Weltklima über Jahrzehnte verändern wird.«
»Das ist es, das ist die Erklärung«, rief Jem und lauschte dann weiter den Ausführungen des Klimaforschers.
»Ich will hier nicht zu sehr schwarzmalen«, sagte Dr. Ash, »aber ich prognostiziere einen weltweiten Anstieg der Temperaturen um durchschnittlich vier Grad oder mehr. Was das bedeutet, können wir heute noch gar nicht abschätzen.«
Roderick nickte. »Vielen Dank nach Washington.«
Er wandte sich wieder dem Zuschauer zu. »Düstere Worte von unserem Kollegen. Aber das Klima ist nur einer der Bereiche, der Fragen aufwirft. Der andere betrifft die organischen Verbindungen, die mit dem Kometen zur Erde gelangt sind. Um diese Frage näher zu beleuchten, wende ich mich an Professor Dr. Helen Hurst vom mikrobiologischen Forschungsinstitut an der Harvard University. Hallo, Dr. Hurst.«
Eine gut aussehende Mittvierzigerin erschien als plastisches Hologramm mitten im Studio. Wie sie so dastand, hätte man glauben können, sie wäre wirklich anwesend.
»Bitte nennen Sie mich Helen.«
»Sehr gerne.« Roderick lächelte. »Wie ich den Zuschauern bereits erklärte, führen Kometen eine ungeheure Menge organisches Material mit sich. Material, wie es bei der Entstehung des Lebens auf unserer Erde eine Rolle gespielt haben könnte. Meine Frage an Sie: Waren Sie schon in der Lage, Proben des Kometen auszuwerten? Und ist es durch den Absturz vielleicht zu einer Vergiftung der Meere gekommen?«
Die Professorin lächelte. »Also zumindest in dieser Hinsicht kann ich Entwarnung geben. Von Vergiftung kann keine Rede sein. Wir konnten einige Proben auswerten und dabei keine unmittelbare Bedrohung feststellen. Zugegeben, Thor hat eine Menge biologischer Materie ins Wasser befördert, aber die Bausteine sind so primitiv, dass sie bestenfalls als Protomaterie bezeichnet werden können.«
»Was bedeutet das?«
»Protomaterie ist die Art von Materie, die zu Beginn der Evolution von entscheidender Wichtigkeit war, die aber heute, in unserem hoch entwickelten Ökosystem, völlig harmlos ist. Diese Bausteine bewegen sich auf atomarer Ebene. Sie sind so winzig, dass sie bei der Verdunstung aufgenommen werden und so in den Wetterkreislauf gelangen. Damit verteilen sie sich gleichmäßig und stark verdünnt über die ganze Erde. Die Verdünnung ist so groß, dass meine Kollegen und ich davon ausgehen, dass diese Bausteine keinen unmittelbaren Schaden anricht…«
Jem hob den Kopf. Der Rest des Gesprächs trat auf einmal in den Hintergrund. Er hatte etwas gehört. Ein Geräusch, das ihm einen Schauer über den Rücken jagte.
Er spitzte die Ohren. Kein Zweifel, da war es wieder.
»Seid mal still«, sagte er.
»Was