Shana, das Wolfsmädchen. Federica de Cesco
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Читать онлайн книгу Shana, das Wolfsmädchen - Federica de Cesco страница 5
Meine Wangen glühten.
»Ich weiß nicht, ob ich gut genug tanze.«
Er legte mir den Arm um die Schulter.
»Das schaffst du schon.«
»Vielleicht«, sagte ich schließlich.
»Bloß vielleicht?«, erwiderte er zärtlich.
Ich antwortete nicht. Alecs Hand wanderte zu meinem Nacken, unter mein Haar. Seine Finger tasteten über meine Kopfhaut, dann über meine Wangen. Langsam näherte er sein Gesicht, streichelte mich mit seinem Atem. Wir küssten uns, zuerst verhalten, dann lange und heftig, bis unsere Lippen taub wurden und pochten. Ich hatte schon ein paar Jungen geküsst, aber zu mehr war es nicht gekommen. Die Bäume standen dicht, der Nadelteppich auf dem Boden war weich und trocken. Ich sah über mir das Flirren der Sterne, ein Sprühfeuer aus Gold und Nacht. Trommelwirbel gingen durch unsere Herzen und jeder fühlte die Wärme des anderen. Als wir uns trennten, hatte ich ein merkwürdiges Gefühl; auf der einen Seite war es gut und richtig gewesen, was wir getan hatten, auf der anderen Seite wusste ich nicht einmal, ob ich in Alec verliebt war. Aber das Gefühl, das ich für ihn empfand, war aufrichtig und schön. Die Temperatur war gesunken, wir zogen uns hastig an. Meine Finger waren steif vor Kälte. Alec drückte die Druckknöpfe meiner Jeansjacke zu.
»War es das erste Mal für dich?«
Ich nickte wortlos.
»Hat es weh getan?«
»Nein, eigentlich nicht. Und für dich? War es auch das erste Mal?«
Er blinzelte mir zu.
»Nein, eigentlich nicht!«
Dass ich weinte, merkte ich erst, als mir eine Träne auf die Hand fiel. Ich fuhr mit dem Handrücken über mein nasses Gesicht. Alec sah betroffen aus.
»Tut mir Leid, ich wollte dich nicht kränken!«
Ich wollte etwas erwidern, als Alec heftig meine Hand drückte … »Da – was ist das?«
Aus der Ferne erscholl ein merkwürdiger Laut, eine Art lang gezogenes Schluchzen, einsam und wild. Das Heulen sank und stieg, sank tiefer,stieg höher. Es klang geisterhaft und traurig wie der Nordwind, wenn er durch Bergschluchten und vereiste Wälder streift.
»Könnte ein Hund sein«, meinte Alec. »Hat sich verlaufen, scheint mir …«
Doch ich hatte feinere Ohren.
»Nein, so heult kein Hund. Das ist ein anderes Tier. Ein Wolf, vielleicht …«
»Ein Wolf?«, sagte Alec. »Die wagen sich nicht in die Nähe der Dörfer.«
Das seltsame Klagen brach ab; wir lauschten mit angehaltenem Atem. Doch alles blieb still, als ob wir das Geräusch nur erfunden hatten.
»War doch ein Hund«, sagte Alec.
Er küsste mich und ich küsste ihn wieder. Es war schon fast Morgen, der Himmel war dunkel mit einem bleichen Mond, tief hinter den Bäumen. Alec fasste mich an der Hand.
»Komm, ich bringe dich nach Hause. Sonst kannst du morgen nicht tanzen.«
Ich hielt mich an seiner Schulter fest. Mein ganzer Körper schmerzte, besonders die Beine und der Bauch. Auch meine Augen waren trocken und brannten. Ich war so müde, dass ich kaum den Kopf hoch halten konnte.
»Fall nicht!«, warnte er und führte mich durch die Dunkelheit.
Überall zirpten jetzt Grillen. Das Zirpen verstummte, wenn wir vorübergingen, und begann wieder, sobald wir vorbei waren.
»Morgen tanzt du mit mir, ja?«, sagte Alec. »Womöglich gewinnen wir einen Preis!«
Ich machte ein zustimmendes Zeichen. Der Gedanke, mit Alec zu tanzen, gefiel mir. Melanie war tot, daran konnte ich nichts ändern. Aber ich konnte ihr Kleid tragen und für sie tanzen. Vielleicht machte ich ihr wirklich eine Freude damit.
Es wurde schon hell, als Alec mich vor dem Gartentor ablud. Ich nahm den Helm ab und gab ihn Alec zurück. Wir hielten uns noch eine Weile umschlungen. Alec drückte sein Gesicht an meines.
»War schön mit dir. Bis nachher, also? Ich freue mich.«
»Ich freue mich auch«, sagte ich.
Ein leichter Wind kam auf. Bald würden die Wolken rot werden und die Mücken im Morgenlicht tanzen. Wir küssten uns ein letztes Mal. Dann stand ich da und sah zu, wie Alec den Starter betätigte und den Anlasser kickte. Das Motorrad setzte sich knatternd in Bewegung. Ich dachte, der Lärm scheucht die ganze Nachbarschaft auf, aber wenn Powwow war, hatten die Leute Verständnis. Alec fuhr an der Tankstelle vorbei, der Scheinwerfer hüpfte über den Asphalt und war einige Sekunden später verschwunden. Ich ging auf das verrostete Gartentor zu und schob mit steifen Fingern den Riegel zurück. Das Tor sprang quietschend auf. Ich stapfte die Treppenstufen hinauf, stolperte und fiel der Länge nach auf die morsche Veranda. Es gab einen dumpfen Knall. Ich rappelte mich auf, rieb mir das schmerzende Knie. Scheiße!, dachte ich. Jetzt meinen die Leute, ich wäre betrunken nach Hause gekommen. Ich schloss die Tür auf, hinkte durch die Diele. Im Haus war es still, nicht einmal die Wanduhr, die auf halb elf zeigte, obwohl es längst vier Uhr sein musste, tickte. Die Tür des Zimmers, wo Elliot schlief, war nur angelehnt. Ich stieß sie leise auf. Der Raum war stickig heiß. Trotz der Dunkelheit konnte ich sehen, dass das ungemachte Bett leer war. Ich fühlte eine tiefe, todesähnliche Traurigkeit in mir aufsteigen, eine Traurigkeit, für die ich keine Erklärung wusste. Ich schleppte mich die Treppe hinauf, zog das verschwitzte Zeug aus, duschte mich lange. Mein Knie war geschwollen und blau; ich bewegte es vorsichtig. Nicht schlimm. Ich schlurfte in mein Zimmer, warf mich im Pyjama aufs Bett. Ich wollte schlafen, aber ich brachte die Augen nicht zu. Das ganze Zimmer schien sich wie ein Karussell zu drehen. Draußen zwitscherten Vögel. Der Spalt Licht aus der Ritze zwischen Mauer und Fensterladen wurde immer heller. Ich dachte an das Kleid meiner Mutter und auf einmal hatte ich das Bedürfnis, es anzuprobieren, zu sehen, ob es mir passte, egal, wie müde und benommen ich jetzt war. Ich setzte mich hoch, stellte vorsichtig die Füße auf den Boden und ging in den kleinen Raum, wo wir die Sachen meiner Mutter aufhoben. Weder Elliot noch ich hatten jemals den Mut gefunden, die Dinge auszurangieren. Das Kleid lag in der untersten Schublade der Kommode. Leder verträgt keine eingeschlossene Luft. Ich entsann mich, dass Melanie das Kleid ein paar Mal im Jahr ausschüttelte und nach draußen hing. Dann bewegte sich das Kleid im Wind, flirrte wie eine tanzende Figur im Sonnenlicht. Jetzt, im roten Schein des anbrechenden Tages, kauerte ich mich unbeholfen nieder, zog die Schublade auf. Mein Atem setzte aus. Das Kleid war verschwunden.
Ich kniete vor der Schublade – wie lange, wusste ich nicht. Ich dachte an gar nichts, lauschte nur auf das vertraute Knarren des alten Holzhauses, auf meinen eigenen Herzschlag.
Nach einer Weile dachte ich, vielleicht hat Elliot das Kleid in eine andere Schublade gelegt oder in einen Schrank oder in einen alten Koffer. Aber ich machte mir nicht