Mörder kennen keine Grenzen. Horst Bosetzky
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Mörder kennen keine Grenzen - Horst Bosetzky страница 27
„Ach so, ja, ich hab dir ja noch gar nicht zu deinem Lehrstuhl gratuliert. Freut mich mächtig für dich. Herr Professor Dr. Rüdiger Kolczyk, nicht schlecht! Und in Bochum lässt sich’s bestimmt auch leben.“ Er schüttelte mir die Hand. „Meinen herzlichen Glückwunsch! Wann zieht ihr denn um?“
„Erst Ende des Jahres ... Dann beginnt auch bald der Wahlkampf. Du weißt ja, dass sie mir einen ziemlich sicheren Wahlkreis in der Nähe von Dortmund gegeben haben – pass auf, im nächsten Jahr sitze ich im Bundestag und mache Schlagzeilen.“
„Davon bin ich überzeugt, du wirst es schon schaffen! Wie wär’s denn, wenn wir deinen unaufhaltsamen Aufstieg mit einer Flasche Sekt begießen, ein paar Minuten Zeit hab ich schon noch ...?“
„Okay!“
Wir fuhren zu einem alten Restaurant am U-Bahnhof Dahlem und ließen uns eine Flasche Champagner bringen. Cloward wurde von Sekunde zu Sekunde fröhlicher und erzählte pausenlos von Muttchen Braatz und Ziegenhals.
„... Muttchen Braatz ist gestern zu ihrer jüngsten Tochter nach München geflogen ... Na, und ich hin auch nicht zu Hause, da hat ja Ziegenhals wieder ’ne sturmfreie Bude. Entschuldige, wenn ich deine Gefühle verletze, aber deine Tochter ... Ich krieg’s ja immer aus nächster Nähe mit, die Wände sind nicht besonders dick. Und ich Idiot hab Ginny für ein Kind gehalten! Na, vielleicht krachen sich die beiden mal, oder er landet in ’ner Klapsmühle. Wundern tät’s mich nicht.“
Heute oder nie, dachte ich, als ich mein Glas leerte; eine ähnlich günstige Konstellation war in den nächsten Monaten sicher nicht mehr zu erwarten. Mit Muttchen Braatz und Cloward außer Haus gefährdete ich auch keinen anderen. Und dass Ginny – wie Cloward annahm – den Abend mit Ziegenhals verbringen würde, damit war nicht zu rechnen, denn erst einmal arbeitete sie recht verbissen an einem Referat über das latente Lernen, und zum anderen hatte sie, wie ich aus einer angebrochenen o.b. Packung im Badezimmer schließen konnte, gerade ihre Tage.
Als wir gegen siebzehn Uhr das Lokal verließen, wusste ich, dass ich es an diesem Abend tun würde.
Es kam sogar noch günstiger. Beim Abendessen stellte sich heraus, dass Ginny und Ziegenhals sich ernsthaft gezankt hatten. Meine Tochter machte ein finsteres Gesicht und zog sich gleich nach der Tagesschau in ihr Zimmer zurück. Damit gab es nun ein weiteres Motiv für Ziegenhals’ Selbstmord, nämlich Liebeskummer.
Ich war nicht im Mindesten nervös, ich maß dem Ganzen weniger Bedeutung bei als der Extraktion eines Backenzahnes. Der Knopfdruck war erfolgt, und nun lief alles nach einem genau kalkulierten Programm ab, ich hatte nur noch einer Reihe von Sachzwängen zu gehorchen. Ziegenhals war kein Mensch mehr für mich, sondern ein Objekt, das es zu zerstören galt.
Nach einem Film im Zweiten Programm, an dessen Inhalt ich mich nicht mehr erinnern kann, verabschiedete ich mich mit einem flüchtigen Kuss von meiner Frau.
„Ich habe noch zu arbeiten, sei nicht böse ...“
Das war nichts Ungewöhnliches, denn ich galt als Nachtarbeiter. Ich ging in mein Arbeitszimmer hinüber, schloss mich ein und knipste die Lampe über dem Schreibtisch an. Ein ausländischer Sender brachte Jazz, ich drehte den Radioapparat ein wenig auf. Ich hörte noch, wie Reinhild zum Schlafzimmer hinaufstieg und etwas zu Ginny sagte, aber keine Antwort erhielt; dann war es still. Ich holte mir einen Kriminalroman hervor. Ich musste eine Stunde totschlagen, und an Arbeiten war natürlich nicht zu denken.
Gegen dreiundzwanzig Uhr nahm ich mir dann meinen dunkelblauen Regenmantel aus dem Schrank und stieg vorsichtig aus dem Fenster. Sekunden später stand ich auf der Eppinger Straße und war sicher, dass mich niemand bemerkt hatte. Ich fasste noch kurz in meine Jacketttasche und vergewisserte mich, dass der Abschiedsbrief auch in seinem Umschlag steckte, dann ging ich zur Thielallee hinüber. Nach etwa vier, fünf Minuten winkte ich eine leere Taxe heran. Sicherheitshalber sprach ich mit stark amerikanischem Akzent und nannte als Fahrtziel den Breitenbachplatz, der zehn Minuten vom Tatort entfernt liegt.
Ohne Vorkommnisse erreichte ich gegen 23 Uhr 30 die Grunewaldstraße und sah das Braatz'sche Haus im matten Schimmer zweier Laternen auf der anderen Straßenseite liegen. Nirgends brannte mehr Licht; auch kein Fenster stand auf, wohl wegen der nebligen Luft. Soweit ich sehen konnte, war die Straße menschenleer, und aus den wenigen vorüberfahrenden Wagen mit ihren gelben Scheinwerfern würde bestimmt niemand auf mich achten. Diese Umstände, die mein Vorhaben außerordentlich begünstigten, gaben mir eine Sicherheit, die mir heute unfassbar erscheint.
Ich überquerte schnell die Straße, schloss mit dem zurückbehaltenen Zweitschlüssel erst die Gartenpforte und dann die Haustür auf. Wenige Atemzüge später stand ich in der geräumigen Diele. Im Schein meiner Taschenlampe erkannte ich die ausgestopften Bussarde und Habichte wieder, die ich von meinem ersten und einzigen Besuch im Haus noch im Gedächtnis hatte. Irgendwo tickte eine Standuhr, sonst konnte ich keinen Laut vernehmen.
Behutsam stieg ich die Treppe hinauf, und für einen Augenblick überfiel mich der Gedanke, Oberkommissar Rannow könnte dort oben sitzen und mein Tun verfolgen. Schließlich war Miezis Mörder noch immer nicht gefunden und ich noch nicht von der Liste der Tatverdächtigen gestrichen. Doch dann hatte ich mich wieder in der Hand.
Nach etwa zwei Minuten hatte ich die obere Etage erreicht. Die Tür rechter Hand musste in Clowards Zimmer führen, geradeaus lagen Bad und Küche. Von Clowards Beschreibungen her wusste ich, dass von der Küche eine so genannte Durchreiche in das Zimmer hinüberging, in dem Ziegenhals schlief.
Schon hatte ich die Küchentür aufgeklinkt und war in den schmalen Raum getreten, in dem es nach verschüttetem Bier und nach Curry roch. Links neben dem Fenster stand der Gasherd.
Die Durchreiche war geöffnet, und ich hörte, wie Ziegenhals schnarchte. Vorsichtig ließ ich den Strahl meiner Taschenlampe ins Nebenzimmer fallen. Ziegenhals lag halb zusammengerollt auf einer niedrigen Liege; auf dem Couchtisch davor stand eine leere Weinflasche, offenbar ein roter Wermut. Neben der Flasche konnte ich einen übervollen Aschenbecher und ein blau-weißes Röhrchen erkennen, das allem Anschein nach Schlaftabletten enthielt.
Ich handelte jetzt völlig unreflektiert. Ein Satz aus Iphigenie schoss mir durch den Kopf: Man tadelt den, der seine Taten wägt. Wenn dem so war, gab es nichts mehr an mir zu tadeln. Ich zog den Abschiedsbrief heraus, den ich nie anders als mit Handschuhen angefasst hatte, und legte ihn auf den Küchentisch.
In diesem Augenblick hustete Ziegenhals und murmelte etwas, das wie „Hilfe!“ klang. Mein Herz setzte beinahe aus. Wenn er jetzt aufwachte und mich erkannte! Er konnte die Polizei rufen, er konnte mich erschießen, er konnte ... Aber er schlief weiter, er schnarchte sogar schon wieder.
Jetzt hatte ich es eilig. Schon hatte ich den Bratofen geöffnet und die vier Hähne oben aufgedreht. Zischend strömte das Gas raus ...
12. Kapitel