Mörder kennen keine Grenzen. Horst Bosetzky
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Die Furcht vor Prötzel verdrängte meine Gedanken an den Amerikaner, und wahrscheinlich hätte ich meinen Groll hinuntergeschluckt, wenn Cloward nicht auf die unglückselige Idee gekommen wäre, bei mir auf Zigarettensuche zu gehen.
Als ich meine Zimmertür aufstieß, sah ich ihn nicht nur in meinem Nachttisch herumkramen, ich sah auch rot.
„Los, hau ab, du blödes Schwein!“
Cloward starrte mich entgeistert an.
„Na, wird’s bald!“ Ich packte seinen rechten Arm und riss ihn herum. „Raus hier und lass dich nicht wieder blicken!“
„Was ist denn ...? Yeah! Ich ... ich ...“
„Halts Maul, ich brauch keine Erklärungen mehr! Los, raus!“ Ich stieß ihn zur Tür.
„Damned!“ Cloward stolperte über den Teppichrand und schlug der Länge nach hin. Doch er rappelte sich blitzschnell wieder hoch und baute sich vor mir auf, als sei er Cassius Clay persönlich. „Come on! Jetzt hast du Angst, was? Du traust dich wohl nicht.“
„Das wollen wir doch mal sehen!“ Schon stürmte ich vor und schlug auf ihn ein. Mein rechter Haken saß genau in seiner Magengrube, und er gab einen Schmerzenslaut von sich. Doch er gab nicht auf, sondern keilte wild um sich. Ein rechter Schwinger traf mich an der Schulter und warf mich aufs Bett. Schon war er über mir und bearbeitete mein Gesicht.
Jetzt bekam ich’s tatsächlich mit der Angst zu tun, und es war wohl mehr Notwehr, als ich ihn mit einer Art Karateschlag an der Halsschlagader traf. Er brach auf der Stelle zusammen und klatschte geradezu auf den Boden.
Er ist tot!, schoss es mir durch den Kopf. Weg von hier, schnell weg!
Ich stürzte die Treppe hinunter, riss die Haustür auf und sprang in meinen Mercedes. Muttchen Braatz, die gerade vom Einkaufen kam, schaute mir ganz verdattert hinterdrein. Auch das noch!
Ich fuhr ziellos durch die Stadt und brütete die tollsten Pläne aus. Auf alle Fälle wollte ich an diesem Abend nicht in die Grunewaldstraße zurückkehren, sondern erst einmal abwarten, was die Morgenzeitungen brachten.
Mord in Steglitz! Amerikanischer Journalist erschlagen aufgefunden! Alte Dame sah den Mörder!
Und darunter mein Steckbrief.
Sollte das das Ende sein? Mein einziger Trost war, dass dann auch Kolczyk sein Spiel verloren hatte. Wenn ich vor dem Schwurgericht stand, würde ich auspacken und auch sein Leben zerstören. Geteilter Schmerz – halber Schmerz!
14. Kapitel
Tagebuchaufzeichnungen von Prof. Dr. Rüdiger Kolczyk.
Anhand aufgefundener Fragmente vom Autor rekonstruiert.
Es war ein bitterer Frühling für mich, denn während ich die Tage grübelnd und die Nächte schlaflos verbrachte, genoss Ziegenhals die Stunden, die er mir verdankte, in Bars und Betten. Manche Konstellationen gibt es im Leben eines Menschen nur einmal – und ich hatte meine Sternstunde ungenutzt verstreichen lassen. Was sollte er nun befürchten, wo sich meine Schwächen so eklatant gezeigt hatten? Meine Feigheit war eine immer währende Garantie für seinen Wohlstand und sein Glück. Der Letzte der Kolczyks war nur noch eine lächerliche Karikatur seiner ruhmreichen Väter, er hatte zu viel Ehrfurcht vor dem Leben internalisiert, er hatte nicht töten können.
Diese Erkenntnis meiner fortgeschrittenen sittlichen Reife erfreute mich nicht im Mindesten, im Gegenteil, ich empfand den Sieg über mich selbst als Schande. Möglicherweise wäre es anders gewesen, wenn ich Freunde gehabt hätte und ihre Bewunderung. Aber innere Größe wird wohl immer dann zum Fluch, wenn sie von der Umwelt unbestätigt bleibt. Möglicherweise wäre alles anders gekommen, wenn Ziegenhals in diesem Mai mit mir gesprochen hätte, offen und unter vier Augen, denn in dieser Zeit war ich durchaus zur Aussöhnung bereit. Vielleicht wartete ich nur auf diesen Augenblick. Ich wollte keine Unterwerfung, nein, ich brauchte ihn nur als Spiegel, um mich selbst zu erkennen und mit mir zufrieden zu sein. Doch er kam nicht, und wenn wir uns sahen, dann wuchsen stets gläserne Wände zwischen uns auf.
Vielleicht ist es mir nie ganz gelungen, zu den tiefsten Schichten meines Wesens vorzudringen, aber so ratlos wie nach dem gescheiterten Mordversuch war ich nie zuvor gewesen. Warum nur war ich, kurz nachdem ich die Gashähne in der kleinen Küche geöffnet hatte, zur nächsten Telefonzelle gehetzt, um Ziegenhals zu wecken und zu retten? Gegen meinen Willen hatte ich das getan, gegen meinen Verstand. Was hatte mich dazu getrieben, das war und ist für mich die Frage. Angst vor der Entdeckung, Angst vor dem Gerichtsurteil und lebenslangem Zuchthaus – sie konnten es nicht gewesen sein, denn an jenem Tag war ich hundertprozentig überzeugt gewesen, den perfekten Mord begehen zu können. Auch an die Wirksamkeit christlicher Maximen wollte ich nicht so recht glauben, hatte ich doch seit etwa dreißig Jahren keine Kirche mehr betreten. Was natürlich nicht ausschloss, dass Werte, die man mir als Kind vermittelt hatte, noch immer wirksam waren. Dann durften es also verschwommene moralphilosophische Faktoren gewesen sein, die mein Handeln bestimmt hatten, und Ziegenhals konnte sich bei der Gesellschaft schlechthin bedanken, dass sie dem Bürger Kolczyk den Sinn fürs Gute vermittelt hatte. Aber er bedankte sich ja nicht bei ihr, im Gegenteil, er warf den eifrigsten Verfechtern bürgerlicher Sittlichkeit die Scheiben ein und beschimpfte sie. Aber Ironie beiseite, vielleicht liebte ich Ziegenhals insgeheim, vielleicht hatte ich mir immer einen Sohn gewünscht, der so skrupellos wie er ein hoch gestecktes Ziel verfolgen konnte, vielleicht gewann mein Leben erst durch ihn den letzten Sinn.
Doch das ist Spekulation, nichts als Spekulation. Die Wirklichkeit sah anders aus, und ich hatte mich mit seiner Existenz und der lebenslangen Erpressung ebenso abzufinden wie ein Soldat – dem man einen Arm amputiert hatte – mit seinem Schicksal. Vielleicht gelang es mir, meine Aggressionen an einem Ersatzobjekt abzureagieren, möglicherweise an Reinhild, die ihn ja vergötterte, und den Rest der aufgestauten Energie zu sublimieren, indem ich neue Bücher schrieb.
Höchstwahrscheinlich hätte ich mich zu diesem Zeitpunkt mit meiner Machtlosigkeit abgefunden, wenn ich nicht eines Nachmittags durch eine kurze Bemerkung von Seiten Reinhilds wieder wachgerüttelt worden wäre.
„Du, heute Morgen hat jemand angerufen und nach der Adresse von Bernd ... von Ziegenhals gefragt ...“
„Und ...?“ Ich las gerade im neuen Spiegel und ließ mich nicht weiter stören. „Hast du ihm gesagt, wo er wohnt?“
„Ja – aber der Kerl hatte so eine unangenehme Stimme. Wie ein Ganove aus dem Film.“ Sie schüttelte sich.
Ich zuckte zusammen, verbarg aber mein Erschrecken und entgegnete ironisch: „Woher sollte ein so guter Mensch wie