Mitternachts-Thriller Sammelband 4001 - Vier Romane um Liebe und Geheimnis Juli 2019. Jan Gardemann
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650 Jahre später ...
"Du weißt nicht mehr, wer Robert Clayton ist?", stieß ich erstaunt hervor und sah Tante Lizzy dabei mit großen Augen an.
Sie zuckte die Achseln.
"Ich kann mich nicht erinnern."
"Nicht an die Poster, die ich mit fünfzehn im Zimmer hängen hatte?"
Sie sah mich an und dann schien es ihr zu dämmern. "Oh mein Gott!", stieß sie hervor. "Dieser langhaarige Rocksänger!"
"Na ja, die Mode hat sich inzwischen geändert. Seine Haare sind kürzer geworden!"
Tante Lizzy atmete tief durch. "So, und über den sollst du eine Home Story für die Express News machen?"
"Ja. In den letzten Jahren hat Clayton keine neuen Platten mehr aufgenommen und ist auch nicht mehr aufgetreten. Er lebt zurückgezogen auf einem Schloss in der Grafschaft Kent, das er sich von seinen Plattenmillionen erworben hat. Gilford Castle heißt es." Ich seufzte und ein versonnenes Lächeln spielte um meine Lippen. "Weißt du, die Aussicht, einem Idol meiner Jugend in Kürze zu begegnen, ist schon etwas merkwürdig!"
"Du redest wie eine alte Frau, Patti!"
Ich zuckte die Achseln. "Fünfzehn oder sechsundzwanzig – das ist doch schon ein kleiner Unterschied, oder?"
"Sicher ..."
"Hättest du mir damals gestattet, auf Claytons Konzert zu gehen, wäre ich sicher auch kreischend in Ohnmacht gefallen!"
"Ich fand, dass du damals zu jung dafür warst!"
Ich machte eine wegwerfende Handbewegung und erwiderte: "Die Mädchen, die heute in Konzerten von Caught in the Act vor lauter Hyperventilation beim Kreischen in Ohnmacht fallen, sind nicht mal dreizehn ..."
"... und ihre armen Eltern müssen sie wahrscheinlich begleiten und sich das Gedudel auch anhören. Vorausgesetzt, von dem Gesang ist vor lauter kreischenden Fans überhaupt noch etwas zu hören."
Wir lachten beide.
Meine Eltern waren früh verstorben und meine Großtante Elizabeth Vanhelsing – Tante Lizzy, wie ich sie nannte – hatte mich bei sich aufgenommen wie eine eigene Tochter. Ich lebte auch jetzt noch in ihrer verwinkelten viktorianischen Villa, in der ich das Obergeschoss für mich hatte. Der untere (und größere) Teil der Villa gehörte Tante Lizzy und sie hatte daraus im Laufe der Jahre eine Art Privatarchiv für Okkultismus und übersinnliche Phänomene gemacht, in dem sie alle möglichen Schriften, Presseartikel und Gegenstände aus diesem Bereich gesammelt hatte. Zusammen mit der Sammlung archäologischer Fundstücke, die ihr verschollener Mann Frederik ihr hinterlassen hatte, der von einer Forschungsreise nach Südamerika nicht zurückgekehrt war, ergab das ein ganz besonderes Panoptikum.
Aber wir teilten nicht nur diese Villa und eine Reihe ganz entscheidender Jahre meines Lebens miteinander, sondern auch das Interesse am Übersinnlichen. Oft genug hatte ich als Reporterin der London Express News über Ereignisse berichtet, die mit solchen Phänomenen in Zusammenhang standen.
Und häufig hatte Tante Lizzy mir dann bei Recherchen beigestanden. In ihrem Archiv schlummerte so manches Geheimnis.
Mein Name ist Patricia Vanhelsing und – ja, ich bin tatsächlich mit dem berühmten Vampirjäger gleichen Namens verwandt. Weshalb unser Zweig der Familie seine Schreibweise von „van Helsing“ in „Vanhelsing“ änderte, kann ich Ihnen allerdings auch nicht genau sagen. Es existieren da innerhalb meiner Verwandtschaft die unterschiedlichsten Theorien. Um ehrlich zu sein, besonders einleuchtend erscheint mir keine davon. Aber muss es nicht auch Geheimnisse geben, die sich letztlich nicht erklären lassen?
Eins können Sie mir jedenfalls glauben: Das Übernatürliche spielte bei uns schon immer eine besondere Rolle. In meinem Fall war es Fluch und Gabe zugleich.
"Wann brichst du denn nach Gilford Castle auf?", fragte Tante Lizzy mich.
"Heute Abend. Jim und ich sind zu einer Art Party eingeladen. Ich bin schon richtig gespannt."
"Kann ich verstehen."
"Weißt du, es ist beinahe ein wenig so, als wäre die Zeit zurückgedreht worden ..."
"Ich weiß, was du meinst ..." Sie nahm meine Hand und auf ihrem Gesicht stand ein mildes Lächeln. "Ich hoffe nur ..."
Sie zögerte aus irgendeinem Grund.
Ich erwiderte ihren Blick.
"Was?"
"Dass du nicht zu enttäuscht zurückkehrst. Manchmal ist das so. Man hat etwas in der Erinnerung mit einer Art Heiligenschein ausgestattet und wenn man man dann der Wahrheit begegnet ..."
"Ich weiß", murmelte ich. "Aber ich verspreche dir zumindest, dass ich nicht kreischen werde ... Wenigstens nicht so doll, dass ich in Ohnmacht falle!"
Wir lachten beide.
Dann glitt mein Blick zur Uhr.
Tante Lizzy erriet meinen Gedanken – und das hatte wohl nichts mit übersinnlicher Wahrnehmung zu tun, sondern einfach nur damit, dass wir uns sehr gut kannten.
"Du musst los, nicht wahr?"
Ich nickte. "Ja."
"Kommst du hier noch vorbei, bevor du nach Kent fährst?"
"Auf jeden Fall!"
3
Das Verlagsgebäude, in dem die Redaktion der London Express News untergebracht war, lag in der Londoner Lupus Street.
Ich stellte den roten, etwas altertümlichen 190er Mercedes, den Tante Lizzy mir geschenkt hatte, auf dem großen Parkplatz ab und lief dann mit ziemlich schnellen Schritten in Richtung des Haupteingangs.
Es war ein feuchter, diesiger Tag und die Kühle drang durch meine etwas zu dünne Kleidung.
Ich war froh, als ich endlich drinnen war.