Hundsvieh. Daniel Badraun
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Konzentriert bereite ich eine Kanne Tee zu, lasse die Blätter genau drei Minuten und zwanzig Sekunden ziehen, finde eine passende Tasse und den Honig in Retos Küche. Langsam trinke ich ein paar Tassen am Fenster. Es ist ruhig draußen, keine verdächtigen Personen, die, den Hut tief ins Gesicht gezogen und die Hände in den Taschen eines zerknitterten Trenchcoats vergraben, in Hauseingängen oder an Laternen lehnen, keine übernächtigten Beamten, die in parkierten Fahrzeugen rauchend die Zeit totschlagen. Kurz: Im Moment werde ich da unten nicht erwartet. Doch das kann sich jederzeit ändern.
»Ich habe es mir überlegt!« Müller erscheint in einem seidenen Morgenmantel mit chinesischen Schriftzeichen auf der Brust, seine Haare sind schon frisch eingeölt und das kleine Schwänzchen sitzt perfekt an seinem Hinterkopf. »Du musst weg hier und zwar möglichst schnell!«
»Warum? Hier sucht mich doch niemand!«
»Glaub mir, die Stadt ist gefährlich für dich. Vielleicht hat uns gestern jemand zusammen gesehen, vielleicht wurdest du beobachtet, wie du das Haus betreten hast, dann kann ich nichts mehr für dich tun!« Müller zeichnet mit seinen Fingern imaginäre Gitterstäbe in die Luft.
»Aber ich bin unschuldig!«, rufe ich viel zu laut.
»Das sagen alle!«, gibt er zurück, lächelt dann verlegen. »Das habe ich aus dem Fernsehen, entschuldige.«
»Ich muss meine Unschuld beweisen!«
»Pssst! Nur nicht nervös werden, Claudio. Was wir brauchen ist Zeit. Wenn du ein paar Tage aus dem Blickfeld verschwunden bist, wird die Polizei auch andere Spuren verfolgen.« Müller stellt die Kaffeemaschine an. »Und wenn die wahren Schuldigen erst einmal gefasst sind, dann tauchst du wieder auf und bist rehabilitiert, verstehst du?«
6.
Um halb neun bin ich auf der Straße. Meine Reisetasche liegt bei Reto im Keller unter alten Kartoffelsäcken versteckt. Über der Schulter trage ich einen leichten Rucksack mit dem Nötigsten, in meiner Tasche steckt der Schlüssel für ein Maiensäss bei Bergün. Reto hat mir eine große Sonnenbrille und eine gelbe Mütze gegeben, die mich unkenntlich machen sollen, nun sehe ich aus wie der Depp vom Land, der zum ersten Mal in der Stadt ist. Jederzeit fluchtbereit bewege ich mich zwischen den Passanten in Richtung Bahnhof.
Plötzlich sehe ich ihn: Kubashi. Der Japaner, der mir Giacomettis Hund abkaufen wollte. Mit einem eleganten Rollkoffer ist auch er in Richtung Bahnhof unterwegs. Sicher will er heute weiterreisen, irgendwo in meiner Jacke steckt noch sein Reiseprogramm mit den verschiedenen Aufenthaltsorten. Er ist es, der mich reingelegt hat, wegen diesem Japaner ist mir die Polizei auf den Fersen. Das denke ich jedenfalls im ersten Moment, wütend wie ein Stier, der den Torero vor den Hörnern hat. Dann, nach einigen beruhigenden Atemzügen, komme ich zum Schluss, dass Kubashi mit meiner jetzigen Situation eher am Rande zu tun hat. Ich bin schließlich nicht auf sein Angebot eingegangen und habe die Skulptur für läppische 8.000 Franken geklaut. Es kann aber durchaus sein, dass Kubashi sein verrücktes Angebot auch anderen Leuten gegenüber geäußert hat, dass da möglicherweise weitaus höhere Summen im Spiel sind. Morandi kommt mir in den Sinn. Sagte er nicht, dass er einen Hundefreund sucht?
So widerstehe ich meinem ersten Reflex, Kubashi anzufallen und auf offener Straße zu verprügeln. Das würde mich nur noch weiter in eine Einbahnstraße voller Minen und Fallen führen, an deren Ende mich ein Richter und die kantonale Strafanstalt in Realta erwarten würde.
Ist es wirklich das Beste, mich einfach nur zu verstecken? Oder sollte ich nicht selbst herauszufinden versuchen, wer den Hund geklaut hat? Kubashi wird mich zu den wahren Tätern führen, davon bin ich überzeugt. Statt also brav hinunter zum Bahnhof zu gehen, wie mir Reto aufgetragen hat, biege ich in eine Seitenstraße ein und folge dem Japaner durch den Hintereingang ins Warenhaus Manor. Dies ist eine reichlich verwegene Aktion, denn das Gebäude liegt gleich gegenüber dem Kunsthaus am oberen Ende der Bahnhofstrasse. Andererseits wird man mich hier kaum vermuten. Die Polizei wird annehmen, dass ich mit der Skulptur bereits gestern Abend das Weite gesucht habe.
Zufrieden mit meiner neuen aktiven Rolle als verdeckter Fahnder fahre ich hinter Kubashi die Rolltreppe hinauf, er steuert die Sportabteilung an, ich folge ihm und verstecke mich hinter einem Ständer mit Trainingsanzügen. Der Japaner schaut sich um, dann begutachtet er sorgfältig einen Micro-Scooter, einer dieser Mini-Tretroller, mit dem Verrückte neuerdings die Fußgängerzonen und die Bahnhofsunterführungen unsicher machen.
»Hallo, Mister Kubashi«, zische ich, »ich muss mit Ihnen reden.«
Er stellt das Gefährt auf den Boden, steigt auf und rollt zu mir hinüber.
»Mister Mettler! Schön Sie hier zu sehen!«
»Nicht so laut«, ich halte meinen Finger vor die Lippen und ziehe ihn in mein Versteck.
»Kennen Sie sich aus mit diesen Scootern? Sind Sie schon damit gefahren? Ist der hier gut für einen Erwachsenen?«
»Was wollen Sie damit?«
»Ich habe gehört, dass Ihre Straßen nicht so stark befahren sind wie bei uns in Japan.«
»Das kann schon sein, mit einem solchen Ding würde ich trotzdem vorsichtig sein.«
»Ich würde gerne mal einen Pass hinunterfahren, das muss herrlich sein!« Wieder dieses unergründliche Lächeln.
Die Situation ist völlig irrational. Da stehen wir zwei erwachsenen Personen versteckt hinter Trainingsanzügen und Jogginghosen. Ich ein polizeilich gesuchter Dieb, er Drahtzieher in einem raffinierten Kunstraub, und was tun wir beide? Wir unterhalten uns über die Qualitäten eines besseren Kinderspielzeugs.
»Was ist mit dem Hund?«, frage ich ziemlich unfreundlich.
»Der Hund?« Seine Augen beginnen zu leuchten.
»Ja, der Hund von Giacometti, ich stecke bis über die Ohren im Schlamassel deswegen!«
Er packt meinen Arm. »Das tut mir leid, Mister Mettler. Aber mein Angebot gilt immer noch. 8.000 auf die Hand, wenn Sie mir den Hund bringen!« Er lächelt mich freundlich an.
Am liebsten hätte ich Kubashi eine runtergehauen, um zu sehen, was dann von seinem Lächeln noch übrig bleibt, doch da werde ich unsanft an beiden Armen gepackt und von zwei kräftigen Verkäufern hinter den Sportkleidern hervorgezerrt.
Sie lassen mich los und grinsen verlegen. »Sind Sie der Neue? Sprechen Sie Deutsch? German?«
Unsicher zucke ich mit den Schultern. Was wollen die von mir?
»Gute Verkleidung!« Sie deuten auf meine Mütze und die Brille. »But we know you, wir haben Sie erkannt, cool, nicht wahr?«
Ich finde es gar nicht cool, trotzdem ziehe ich die Mütze und die Brille aus.
»Come on, dort, please, wollen Sie etwas trinken, Coke?« Sie schieben mich durch die Sportabteilung auf eine Gruppe Jugendlicher zu.
»Gryzko, Gryzko, Gryzko!« Von allen Seiten wird mir auf die Schultern geklopft. »Du musst Tore schießen, verstehst du?«
»Viele Tore für Chur!«
»Dann werden wir endlich wieder aufsteigen!«