Stolps Reisen: Damals und heute, von den Anfängen bis zum Massentourismus. Jürgen Dittberner
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Beim ersten Besuch hatten sich die Stolps ein Auto gemietet und sind auf die andere Seite der Insel gefahren. Das war der Südwesten: Karstland! Seinerzeit hatten die Urlauber ein trauriges und einsames Fischerdorf entdeckt, das hieß „Los Christianos“. Später stand hier eine Hotelanlage neben der anderen. Massentourismus war angesagt. Fast die ganze Südküste war mittlerweile zugebaut. Das trockene Wetter schien genau richtig für die sonnenhungrigen „Touris“, die nun kamen.
Grünanlagen neben Pools in „Los Christianos“ wurden nun künstlich bewässert. Es kamen jetzt mehr als vier Millionen Besucher pro Jahr – nunmehr ohne Zwischenstopp. Der Flughafen „Teneriffas“ wurde in den Süden verlegt; der im Norden war altmodisch geworden, und eine neue Autobahn zog sich die gesamte Südküste entlang.
Teneriffa liegt etwa 3000 Kilometer von Deutschland entfernt. Sie gilt als die schönste Insel der Kanaren, ist 2.034,84 Quadratkilometer groß und hatte ca. 907.000 Einwohner.
Nach ihrem ersten Besuch „Teneriffas“ waren Silke und Andor noch mehrmals dort: Die Insel wurde voller und voller. Gebaut wurde wie verrückt. Und das gute alte „Taoro“ gab es längst nicht mehr.
Einmal waren sie in „Vilaflor“ hier, ganz untypisch in den Bergen auf etwa 1400 Metern Höhe: Nach einer Operation im Gehirn hatte sich Andor bei Wanderungen dort erholt. Die neuen Badeorte des Südens und die weitläufigen Strände konnte er damals „von oben“ betrachten.
Zum letzten Mal zog es die Stolps in den Südwesten „Teneriffas“. Hier befand sich ein im südspanischen Stil errichtetes Hotel namens „Gran Meliá“. Vom Hotelzimmer aus hatten sie einen direkten Blick aufs Meer, und sie konnten bis zur Insel „La Gomera“ schauen.
Bald wanderten Silke und Andor die Küste „Teneriffas“ entlang Richtung „Los Gigantes“. Anfangs war die dortige Uferpromenade gepflegt. Offenbar unterlag sie der Fürsorge der Urlauberhotels, die man hier wie Perlen an einer Schnur errichtet hatte. Vor jedem Hotel befand sich ein Pool, eingebettet in einen „botanischen“ Garten.
Doch dann mussten die beiden in eine Wüstenei klettern und kamen an Bananenplantagen vorbei, die teilweise aufgegeben waren. Sie vermuteten, dass auch hier Hotels errichtet werden sollten. Die Kanaren stellten ihre Wirtschaft offensichtlich weg von der Landwirtschaft und hin zum Tourismus um. Wo wahrscheinlich weitere Hotels geplant waren, nisteten sich vorläufig zwischen schwarze Felsen „wilde“ Camper ein, auch sie Touristen. Eigentlich war ja hier Campen verboten, aber wen interessierte das?
Schließlich kam das Paar in „Varadero“ an. Waren sie jetzt schon auf Cuba? Nein, „Varadero“ nannte sich ein Vorort von „Puerto de Santiago“. Viele Deutsche – man konnte es an den Namensschildern der Wohnungen sehen – hatten hier ein Feriendomizil. Aber das Schild „Se Vendre“ war ebenfalls oft zu sehen. Ebbte der Boom ab?
Dann trafen sich Silke und Andor mit Freunden, die am entgegengesetzten Ende der Insel wohnten. Als Treffpunkt wurde der Ort „Icod de los Vinos“ vereinbart.
Mit einem Bus der Gesellschaft „titsa“ fuhren Stolps zum vereinbarten Treffpunkt auf die andere Seite der Insel. Dazu mussten sie in „Varadero“ umsteigen, und hinterher ging es in die Berge im Zickzack nach Norden. Die Strecke war landschaftlich sehr schön. Es war Frühling, und die Mandelbäume standen in voller Blüte. Blumenübersäte Hänge, grüne Wiesen, Weiden, Terrassen und unten das blaue Meer erfreuten: Sie erlebten die Kanaren von der schönsten Seite. – An Haarnadelkurven wurde der Bus langsamer; er rollte dann Radfahrern hinterher, die sich in den Berge quälten.
Dann waren sie in „Icod de los Vinos“. Die Freunde stellten beruhigt fest, dass alle sich warm angezogen hatten, denn sie waren ja nun auf der Nordseite der Insel. Aber die Stolps waren im Bilde: Einmal bei einem früheren Besuch hatte ein offensichtlicher „Ossi“ gefragt:
„Entschuldigung, ist es hier immer so kalt?“
Zuerst gingen alle in ein geographisches Museum, in dem Karten gezeigt wurden, die Vorfahren vor etwa 500 Jahren von den Kanaren gezeichnet hatten. Dann besuchten sie ein kleines Restaurant, wo sie eine kanarische Gemüsesuppe und etwas Schinken aßen. Dazu gab es Bier, kanarischen Wein (rot und weiß) sowie Kaffee.
Hinterher wanderten alle durch den Ort und kamen schließlich zum angeblich 1000-jährigen Drachenbaum („El Drago“), der das Wahrzeichen der Stadt war. Der Baum wog 140 Tonnen, seine Krone war 20 Meter breit, der Stammumfang betrug sechs Meter, und hoch war die Pflanze siebzehn Meter! Das war schon ein kleines Weltwunder, auch wenn Experten das Alter glatt auf die Hälfte der 1000 Jahre reduzierten. Aber 1000 Jahre klingt für die Touristen eben viel schöner.
Weiter schlenderten Stolps mit ihren Freunden durch den Ort und waren bald wieder am Busbahnhof. Silke wurde auf der Rückreise schlecht von der kurvenreichen Strecke. Die Fahrt selber war dennoch interessant: Immer wieder stiegen Einheimische für kurze Strecken ein. Einer redete laut und unverständlich mit dem Fahrer. Der antwortete höflich und etwas leiser. Dann kam ein alter Mann, der einen gefüllten Beutel unter seinen Sitz stellte. Als es in die Kurve ging, kullerte ein Teil des Beutelinhalts in den Busgang. Der Alte tat, als habe er nichts gemerkt, hielt seinen Beutel aber fortan gut geschlossen. Silke und Andor sahen, dass nun Maiskörner im Gang des Busses lagen. Ging es bergauf, kullerten die alle nach unten, bergab kullerten sie nach vorne; bei einer Linkskurve versammelten sich alle links, bei rechts rechts. Dann stieg der Mann aus, immer noch den ganzen Vorgang ignorierend, aber seine Maiskörner wechselten weiterhin wie eine kleine Völkerschar ‘mal nach vorne, ‘mal nach hinten, ‘mal nach rechts, ‘mal nach links. Das war lustig. Und sicher kein für die Touristen inszeniertes Schauspiel.
Beim Aussteigen entdeckten sie ein Thermometer: neun Grad! Stürmisch war es obendrein. Auch am Hotel stürmte es, Sandwolken kamen auf. Von den Freunden erfuhren die Stolps per Handy, dass es im Norden der Insel ebenfalls ungemütlich war. Auch im modernen Tourismus kam es eben manchmal zu ungeplanten Ereignissen: Nachts, tags darauf – immer weiter stürmte es. Die Balkonmöbel purzelten umher, und Silke bekam Angst, dass die Palmen draußen abbrechen könnten. Das taten sie aber nicht. Bei diesem wilden Wetter konnte man auch keine Ausflüge machen. Andor beobachtete die hohen und wilden Wellen des Atlantiks, die gegen die schwarzen Felsen preschten. Das immerhin war schon imposant: Werden Touristen eines Tages irgendwo auf der Erde hinfahren, um Sturm zu bestaunen?
Als der Sturm nachließ, wanderten die Stolps nach Norden. Dann zog es die Stolps nach Süden. Sie entdecken wieder ehemalige Bananenplantagen – „Bauerwartungsland“ gewissermaßen. Die Wolken lieferten sich mit der Sonne über dem Atlantik ein dramatisches Schauspiel. Schließlich wurde es dunkel und kühl. Sie fuhren mit einem Bus nach „Los Gingantes“, wo wieder riesige Hotelanlagen, aber auch unzählige Bungalows, standen. Sie alle waren so ummauert, dass man eventuelle Gärten gar nicht sehen konnte. Auch mehrstöckige, leere Gebäude älteren Stils standen an der Straße. Sie wirkten nicht gerade reizvoll.
Wieder hatte die Natur die Augen geöffnet über die „Tourismus-Zivilisation“, und es war, als würde sie fragen: „Na, findest Du das schön?“
Schließlich machten die Urlauber einen Ausflug in den alten Süden der Insel. Sie hatten einen Stadtplan von der „Costa Adeje“ und der „Playa de las Américas“. Da war eine Promenade immer an der Küste entlang eingezeichnet. Sie fuhren mit dem Bus hin. Das dauerte, denn der Bus wechselte mehrmals über die Autobahn und hielt an vielen Stationen landeinwärts.
Endlich waren sie da, und Horror tat sich auf. Menschenmassen ohne Ende promenierten. Restaurant reihte sich an Restaurant. Alle waren voll. Silke und Andor dachten, es wäre schön, mit dem Schiff nach „Los Gigantes“ zu fahren. Aber das ging nicht: Man