Baltrumer Bärlauch. Ulrike Barow
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Читать онлайн книгу Baltrumer Bärlauch - Ulrike Barow страница 3
Neue Gäste kamen kaum, und Heidi lag ihr seit Jahren in den Ohren, Zimmer mit Frühstück seien ›out‹. »Fast jeder auf der Insel hat doch sein Haus in Ferienwohnungen umgebaut! Wer will denn heute noch Zimmer mit Toilette auf dem Flur?«
Aber was sollte Gerdje machen, wenn Hinnerk partout nicht wollte? »Kommst du mit rein, Heidi? Ich setz’ eben Teewasser auf.«
»Nee, lass man, ich hab gleich Sitzung vom Heimatverein. Außerdem hockt dein Grummelkopp von Ehemann bestimmt wieder in der Küche.«
»Wahrscheinlich hast du recht. Ich bin ja nur froh, dass der immer noch seine langen Strandrunden dreht. So ist er wenigstens mal ein paar Stunden vor der Tür und ich habe meine Ruhe. Weißt du eigentlich, dass der Mann schon seit einem Jahr nicht ein einziges Mal ans Festland gefahren ist? Ach, was sage ich, du kennst ihn ja.« Gerdjedine nahm den Korb mit der weißen Leinenbettwäsche hoch. Zwei Stunden langweiligen Mangelns lagen vor ihr. Bei der spätsommerlichen Wärme keine angenehme Arbeit.
»Dem müsste man mal so richtig auf die Füße treten. So, dass er’s merkt«, rief Heidi hinter ihr her.
»Nun is’ aber gut, Heidi, er ist immer noch mein Mann, auch wenn er manchmal wirklich nicht einfach ist.« Gerdje stieß die alte Holztür des Anbaus auf und stellte in der Waschküche den schweren Korb neben die vorsintflutliche Mangel.
Es hatte damals an ein Wunder gegrenzt, dass sie sich diese Mangel hatte kaufen dürfen. Vorher hatte sie die gesamte Bettwäsche mit dem Bügeleisen bearbeiten müssen. Bis ihre Tochter eingeschritten war und ihrem Vater angedroht hatte, dass ihre Mutter nie wieder ein Stück Wäsche in die Hand nehmen würde. »Um die Gäste kannst du dich dann höchstpersönlich kümmern!«, hatte Ingrid ihn angeschrien.
Sie hatte Gerdje gehörig ins Gebet genommen, bevor sie die Insel verlassen hatte, um am Festland mit ihrem Mann und den Kindern ein eigenes Leben zu beginnen. »So geht das nicht weiter, du musst dich endlich durchsetzen!«
Gerdje hatte ihr im Stillen zugestimmt. Aber dann war Ingrid weg und sie war geblieben. Genau wie die Schulden und ihr Mann und die Arbeit.
Ein Laken nach dem anderen schob sie in jahrelang eingeübtem Rhythmus durch die Maschine. Eigentlich war Mangeln doch ganz schön. So fürs Nachdenken. Wenn sie was Schönes zum Nachdenken gehabt hätte.
Ingrid hatte sie zum Weihnachtsfest nach Celle eingeladen. »Bei euch ist dann doch nichts los«, hatte sie bei ihrem letzten Anruf gesagt. »Hier wird ein wunderschöner Weihnachtsmarkt aufgebaut. Überall stehen beleuchtete Buden, und es duftet nach Zimt und Mandeln. Viele vorweihnachtliche Veranstaltungen wird es auch geben. Deine Enkel werden da sein, und wir würden uns wirklich freuen, wenn ihr auch kommt. Na ja, zumindest auf dich. Papa, der große Stimmungstöter, steht bei Lena und Jan auf der Prioritätenliste nicht gerade ganz oben.«
Aus Gewohnheit, nicht aus Überzeugung hatte Gerdjedine widersprochen. Sie wusste genau, dass ihre Enkel es irgendwann aufgegeben hatten, die Liebe ihres Großvaters zu erringen. Inzwischen waren beide erwachsen. Gerdje glaubte nicht mehr, dass sich das Verhältnis der beiden zu ihrem Opa noch ändern würde.
»Keine Ahnung, warum du den Kerl immer noch in Schutz nimmst«, hatte Ingrid gesagt und gleich darauf das Gespräch beendet.
Seitdem kreisten Gerdjedines Gedanken um das Thema Weihnachten. Gut, es war noch genug Zeit zum Überlegen, aber in ihrem Alter … Quatsch, Alter, dachte sie und lächelte fast ein bisschen, weil sie sich wieder mal dabei ertappt hatte, wie sie sich selbst belog. Sicher, sie war gerade über siebzig, aber wer eine ganze Frühstückspension bewirtschaften konnte, war auch in der Lage, nach Celle zu fahren. Zumal Lena versprochen hatte, sie mit dem Auto in Neßmersiel abzuholen.
Nein, es ging nicht um ihr Alter, sondern wieder einmal um Hinnerk. Ihr war völlig klar, wie seine Reaktion ausfallen würde. ›Wenn die was wollen, sollen sie herkommen. Und du bleibst auch hier. Kostet alles bloß Geld. Die Preise auf dem Weihnachtsmarkt sind sowieso Wucher. Was hat dieser ganze Heckmeck überhaupt mit Jesus zu tun? Glühwein und Bratwurst, dass ich nicht lache. Können wir auch zu Hause haben.‹
Natürlich könnte sie trotzdem fahren. Aber sie wusste genau, dass sie tief in ihrem Inneren keine ruhige Minute hätte. Das ständige Nachgeben und Stillhalten war in den vielen Jahren ein Teil ihrer selbst geworden. Das schüttelte man nicht mal eben so ab.
Der letzte Kopfkissenbezug wanderte durch die Hitze und kam frisch geplättet wieder heraus.
Immerhin, dachte sie, habe ich noch die Erinnerung an bessere Zeiten, meinen heiß geliebten Garten, und … Sie nahm den Korb mit der gelegten Wäsche und ging ins Haus.
Gerdje schaute auf die Uhr. Gleich würden die Zwillinge Benni und Eva an der Küchentür stehen. Das war so sicher, wie sie den Vanillepudding bereits aus dem Kühlschrank genommen hatte. Immer mittwochs, wenn Brigitte, die Mutter der Kinder, im Frischemarkt aushalf, kamen die beiden zu ihr zum Essen. Und ihr Lieblingsnachtisch war Vanillepudding. Mit Schokosoße. Viel Schokosoße! Aber zuerst gab es ein weiteres Lieblingsgericht der Kinder. Und das hieß nicht etwa Nudeln mit Tomatensoße, sondern Insett-Bohnen-Eintopf.
In einem tiefer gelegenen Teil von Gerdjes Garten wuchsen Erbsen, Spinat, Grünkohl, Kräuter und eben grüne Bohnen, die Gerdje nach traditioneller Art als Wintervorrat geschnippelt, in einen Püllpott geschichtet und eingesalzen hatte. Aber seit die Kinder im letzten Herbst ihre Vorliebe für den Eintopf aus Schnippelbohnen und Kartoffeln, gekocht mit Mettwürstchen und Speck, entdeckt hatten, war es mit der langen Einlagerung schnell vorbei. Allerdings konnte sie gut damit leben, denn auch Hinrich war ein überzeugter Anhänger der ostfriesischen Küche. Das Mittagessen würde vermutlich der einzige Teil des Tages sein, an dem ihr Mann ihr ohne mürrischen Gesichtsausdruck gegenüber saß.
Die Kinder kannten ohnehin keinerlei Respekt vor seiner Missgelauntheit. Es ging ständig ›Onkel Hinnerk‹ hier, ›Onkel Hinnerk‹ da … ›Kannst du uns mal was erklären?‹ Er spielte mit, vergaß für kurze Zeit, dass er sich im Laufe der Jahre zu einem übel gelaunten Miesepeter entwickelt hatte, und wirkte fast entspannt. Gerdje konnte sich dieses Verhalten nicht erklären, so oft sie auch darüber nachdachte.
Das Telefon klingelte auf dem alten schwarzen Eckschrank im Wohnzimmer. Ihre Enkelin Lena war dran. Sie hielt sich nicht lange mit den üblichen Begrüßungsfloskeln auf. »Oma, ich weiß ja, es ist noch fast vier Monate hin, aber kommt ihr nun zu Weihnachten?«
Gerdje zögerte. »Mädel, du weißt, wie es ist. Lass man eben.«
»Weißt du was, Oma? Ich habe jetzt vierzehn Tage Urlaub. Die werde ich auf einer wunderschönen kleinen Insel verbringen. Ich will stark hoffen, dass ihr für eure Lieblingsenkelin ein Bett frei habt. Und dann schau’n wir mal, ob wir das Ding nicht in trockene Tücher kriegen. Na, was hältst du davon?«
Gerdje schluckte. Ihre Lena. Vierzehn Tage bei ihr. Das wäre wunderschön. Andererseits erinnerte sie sich an Lenas letzten Besuch. Die konnte genau so ein Sturkopp sein wie ihr Großvater. Oft genug waren die beiden aneinander gerasselt, und Gerdje stand jedes Mal dazwischen mit ihren Vermittlungsversuchen.
»Oma, bist du noch dran? Hier spricht deine Verbindung zur Außenwelt!«
»Ja, Lena, wann kommst du denn?«
»Morgen mit der ersten Fähre. Mittags. Holst du