Des Rates Schreiber - Chemnitzer Annalen. Gerd vom Steinbach
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„Genauso halte ich es, das Wohl der Stadt steht im Vordergrund und deshalb gebe ich dem Antrag der Hüttenbetreiber insofern statt, dass die Gesellschaft einen verminderten Beitrag an die Stadtkasse zu entrichten hat. Schreiber, haltet das fest: auf fünf Jahre zwanzig Prozent verminderte Abgabe!“
Wenig zufrieden schüttelt Ulrich Schütz den Kopf, hatte er sich etwas mehr Entgegenkommen erhofft. Andererseits aber kann er zufrieden sein, eine Vergünstigung erzielt zu haben und so hütet er sich, einen Einwand anzumelden.
Das Kratzen der Feder auf dem Pergament lässt den stillen Protest des Schreibers ahnen.
Ratsherr Tyle lächelt selbstgefällig, hat doch Schütz‘ Bemühen sehr seinem Interesse entsprochen. „Wie wäre es, wenn wir nun zum nächsten Punkt kommen, endlich ein steinernes Rathaus, Herr Bürgermeister?“
DER DREH MIT DER SAIGERHÜTTE
Gemächlichen Schrittes geht Ruprecht durch die Gassen der Stadt und freut sich über jede positive Veränderung, die er entdecken kann. Immer mehr Brachflächen zwischen den Grundstücken finden ihre neuen Besitzer und so schließen sich nach und nach die Lücken in der Bebauung. Wie es beim Neubau so häufig aufzutreten pflegt, strahlt die jungfräuliche Schönheit neuer Farbe und lässt die Mängel der Alterung in der Nachbarschaft verblassen.
In der warmen Abendsonne leuchten die hellen Flächen eher rötlich gelb und der Gesang der Vögel lässt das Herz unbeschwert jubeln. Leise lächelnd beobachtet der Schreiber die Kinder, die da, der strengen Aufsicht elterlicher Fürsorge entflohen, dem städtischen Weideland hinter dem Rathaus mit lautem Geschrei zueilen. Offensichtlich huldigen sie dem alten Spiel vom Büttel und dem Räuber, dem letzten Bierkrawall angepasst.
Der Ausschank auswärtigen Bieres in der Stadt ist unter strenge Strafe gestellt. Dennoch wird immer wieder versucht, fremden Gerstensaft in die Stadt zu bringen. Die hiesigen Brauer wissen sich zu wehren und vertreiben die unliebsame Konkurrenz, wobei so manch deftiger Hieb geführt wird. Nach diesem derben Vorbild jagen die Kinder durch die Gasse, dem ausgewählten Ziel entgegen.
Ruprecht lächelt leise, erinnert er sich nur zu gut, wie er mit seinen Freunden in gleicher Art gerauft hat. Auch damals gab es genug Vorbilder für das alte Spiel. Ob da nun die heimliche Bleiche von Frankenberg herhalten musste oder der Schnelle Markt von Ebersdorf, wo die Fernkaufleute weit vor der Stadt ihre Ware an den Mann brachten, ohne Steuern zu entrichten, immer war da ein Grund zum Schlagen und Hauen.
„Schreiber muss man sein, da hat man Zeit, Maulaffen feilzuhalten!“, tönt es hinter Ruprecht, der erschrocken herumfährt. Drüben an der Brache, wo die Häuser von der Marktgasse und Am Sack durch das Dickicht zu sehen sind, lehnt sein alter Freund Kaspar lachend an einem Baum und dreht spielerisch seine blaue Kappe zwischen den Fingern. „Du musst ja ein schlechtes Gewissen haben, wenn du so erschrickst!“, meint er, „an sich ist es lange an der Zeit, das Tagewerk zu beenden. Möglicherweise ist das bei einem Schreiber anders. Der schläft vielleicht, bis die Sonne hoch am Himmel steht, weil die Herren vom Rat erst am Abend zusammentreten und dafür bis spät in die Nacht hinein beraten.“
Ruprecht stemmt, scheinbar empört, die Arme in die Hüften: „Was traust du dich, den Stadtschreiber deiner Kritik zu unterziehen, Kerl?! Ich prüfe die Umsetzung all der Erlasse, die ich tagsüber zu Papier gebracht habe und sinniere, wie ich die braven Bürger dieser Stadt zu noch braveren Bürgern machen kann.“
Indes sind die beiden jungen Männer beieinander angekommen und boxen sich gegenseitig auf die Oberarme. Es liegt inzwischen Monde zurück, dass sie sich zuletzt begegneten und so ist das Einvernehmen gegenseitig, sich ein wenig zu unterhalten.
„Lass uns rüber zum Michael in die Schenke gehen und einen Krug leeren. Dabei können wir alte Erinnerungen aufleben lassen“, schlägt Ruprecht vor, „der alte Michael wird sich freuen, uns wieder einmal zu sehen. Es liegt ein paar Jahre zurück, seit wir immer bei ihm einkehrten.“
„Einverstanden“, stimmt Kaspar zu, „außerdem ist die Schenke gleich dort drüben.“ Sich gegenseitig an den Schultern umfassend ziehen sie die Bretgasse hinunter, dem Wirtshaus zu.
Die Gastwirtschaft des alten Michael ist nicht zu vergleichen mit dem Gasthof „Zum Ritter St. Georg“ in der Langgasse, weder hinsichtlich der Größe noch der Anzahl der Gäste. „Zum Ross“ nennt sich das Wirtshaus des Michael und ist eher ein Geheimtipp der Städter, während im „St. Georg“ vorwiegend die Händler einkehren. Hier ist nichts nobel, hier ist es vor allem bequem und praktisch. Auf alte Fässer wurden die Platten genagelt und dies sind nun die Tische. Man sitzt auf Schemeln und lehnt sich an die Wand. Weniger bequem ist es für den Gast, der nicht an der Wand sitzt. Dem bleibt nichts übrig, als das Kinn mit der Hand zu stützen.
In der Gaststube liegt das ebenmäßige Murmeln der Gespräche an den Tischen. Bedächtig schlurft der Wirt mit einem Krug Bier zwischen den Gästen hindurch, wobei er den Neuankömmlingen zunickt, ihnen dabei einen Platz in der Ecke mit dem Kinn zuweisend.
Gerade haben sich die Freunde niedergelassen, da steht der alte Michael auch schon am Tisch und stellt vor jeden einen Krug Bier. „Willkommen in meinem Hause! Ich dachte schon, ich sei Euch nicht mehr gut genug, meine Herren. Ist meine Wirtschaft zu schlicht für so feine Herren oder lassen es die Weiber nicht mehr zu, meine Gäste zu sein?“
Kaspar nickt: „Wie soll es auch anders sein? Kaum hat man ein Weib heimgeführt, schon wird der Gang zum Wirtshaus zum Kampf mit tausend Hindernissen. Das wird dir der Ruprecht sicher bestätigen. Bei mir sieht das noch anders aus, ich war nur eben lange nicht mehr hier in der Stadt. Ich war im Badischen und habe ein wenig von der Welt geschnuppert. Nun will ich meinen Meisterbrief erwerben und dann werde ich hier Schuhe machen, besser als es mein Vater je gekonnt hat.“
Der alte Michael schnieft ein wenig. „Wie willst du deinen Vater übertreffen, er ist der beste Schuhmacher, den wir hier je hatten. Dir fallen doch höchstens Schuhe ein, deren Spitzen noch weiter nach oben gebunden sind, dass man kaum damit laufen kann.“
Der junge Schuhmacher winkt ab. „Die Schnabelschuhe sind nur äußerlich anders. Was ich neu kennengelernt habe, das ist die Machart der Sohlen. Sie müssen dem Fuß angepasst sein und sich anschmiegen, gleichzeitig aber auch Halt geben und da sind uns die Badener voraus.“
Ruprecht lässt den linken Brauen nach oben schnellen: „Was willst du damit sagen, alter Bierpanscher?! Ist der Vater meines Weibes vielleicht ein Stümper und sind seine Schuhe nicht zum Gehen geeignet?“
Erschrocken weicht der alte Wirt zurück, hatte er doch den alten Roseler ganz vergessen und nun fühlt sich dessen Tochters Mann genötigt, für diesen das Wort zu ergreifen! Krampfhaft überlegt er, wie er den Schaden aus der Welt schaffen kann. Sein Kehlkopf springt aufgeregt auf und ab und sein Blick sucht verzweifelt um Hilfe bei Kaspar nach, der seinerseits aber nur spöttisch den Mund verzieht und vor sich hin murmelt:
„Als Ehrenmann und guter Christ
Will ich Jesu Worte wagen
Sonst würd ich wohl ein Stümper sein,
Und müsst groß Armut ertragen!“
„Seht es nicht so ernst, meine Herren!“, fleht der alte Michael. „Des Roselers Schuhwerk steht dem des Meister Schumann in der Chemnitzer Gasse mitnichten nach, ich wollt nur deutlich machen, dass nicht neues Zeug vermag, die alte Handwerkskunst zu vernichten!“