Des Rates Schreiber - Chemnitzer Annalen. Gerd vom Steinbach
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Das Mädchen dankt und will das Geld im Gegenzug überreichen, da wehrt die Alte energisch ab: „Nichts da, der Rudolf hat bei mir noch etwas gut!“ Sie schiebt die Schwestern aus der Tür und legt hinter ihnen den Riegel vor.
Sprachlos blickt Johanna Elisabeth an. Was hat denn das wieder zu bedeuten? Was hat die ganze Sache mit einem Rudolf zu tun? Gewiss kann sich die Alte einfach keine Namen merken. Ohne noch ein Wort zu sagen, eilen sie der Stadt zu, Mutter und Ruprecht werden warten.
Am Johannistor hat sich inzwischen ein schierer Stau gebildet. Die recht massiven Wagen aus Hilbertsdorf bringen ausgehauene Blöcke von den Steinbrüchen am Goldborn. Seit geraumer Zeit werden die Holzgebäude durch massive Steinhäuser ersetzt, soweit es der Geldbeutel neuer Grundstückseigentümer nur zulässt. Das Bestreben der Wohlhabenden, ihren Reichtum mit fest gemauerten Häusern, von allerlei Zierrat verschönt, herauszuschreien, ist keinesfalls nur ein Modedünkel. Die Stadtbrände der Vergangenheit sprechen eine zu deutliche Sprache.
Die zwei Mädchen drücken sich an einem Wagen vorbei durch das weit geöffnete Tor und betreten, erneut unbemerkt vom Scharfblick der Wachen, die Stadt.
Die Knaben um Reichenheins Claus haben offensichtlich noch immer ihr Vergnügen vor der Mauer. Kein Hinterhalt verwehrt den beiden Schwestern den Heimweg und so huschen sie, an Roselers Schuhmacherei vorbei, die Gasse hinüber zum elterlichen Haus.
An der Haustür wartet bereits die Prescherin, ohne jedoch auch nur einen Hauch von Ungeduld zu zeigen. „Na, das ging ja schneller als ich vermutete. Seid ihr geflogen oder gab es diesmal gar nichts zu untersuchen?“ In wohldosierter mütterlicher Liebe streicht sie den beiden Mädchen über die Köpfe. „Wir haben nun Zeit. Ruprecht ist eingeschlafen und scheint auf dem Weg der Genesung. Wir lassen ihn jetzt ruhen. Schlaf ist der beste Medikus.“ Sie zieht ihre Töchter in den Garten, wo sie auf der Bank an der Hecke Platz nehmen.
Nachdem Elisabeth die Handhabung der Arznei erläutert hat, kann Johanna ihren Mitteilungstrieb nicht mehr bezähmen und ohne auch nur annähernd genug Luft zu holen, platzt sie die Neuigkeiten heraus. Mehr in schwachen Ahnungen als in notwendigem Verstehen dringt das kindliche Kauderwelsch der Jüngsten in das Bewusstsein der Mutter. „Moment, Moment!“ Die Frau des Tischlers lacht verhalten. „Wie soll ich aus diesem Geschnatter schlau werden?“ Johanna, die ob des Einwurfes verstummt ist, will gerade wieder losplatzen, da hebt Magdalena, Aufmerksamkeit heischend, den rechten Zeigefinger. „Also zum Ersten: Martha von Roselers ist in Ruprecht verliebt.“ Eifrig und mit glühenden Wangen wird durch das Nicken der Mädchen die These zum Fakt erhoben. „Zweitens“, setzt die Mutter fort, „hat die Mechthild komische Sachen von sich gegeben und wollte das Geld nicht annehmen, richtig?“ Wieder nicken die Mädchen eifrig. „Nun, so will ich euch eine Geschichte erzählen, die weit in die Finsternis der entschwundenen Jahre zurückreicht. Vorher sehe ich nach Ruprecht und ob nicht euer Vater endlich zurückfindet.“ Konsequent drückt sie ihre Töchter auf die Bank und geht dann schnell ins Haus.
Wenige Augenblicke später kehrt sie zurück und setzt sich zwischen die zwei Mädchen. „Der Große schläft tief und fest, dass es eine Freude ist. Euer Vater sucht zwar immer noch den Bader oder den Medikus, aber den werden wir wohl nicht mehr brauchen.“ Sie drückt die Töchter an ihre Brust und beginnt, leise zu deklamieren:
„Die Wagen zogen mächtig schwer
durch Täler und über die Berge
vom Saalefluss im alten Land
zum Pleißenland in gewaltiger Stärke.
Der Hildebrand, den Riesen gleich,
führt er die Siedler ohne Zagen,
doch die Hildburga, die weise Fee,
sie wusste stets zu sagen
wie der Götter ihr Begehr
hilft unser Los zu tragen.
Das Volk war niemandes Untertan,
einziger Herr war der König,
der sie in dieses Land geholt,
das kränkte die Fürsten nicht wenig.
Doch war der neue Bauersmann
gekommen zu des Reiches Schutze
Seit an Seite mit des Königs Heer
der Ungarn Mächtigkeit trutzet.
Der Hildebrand ein Bauer war,
das Schwert war ihm nicht geläufig,
da rettet ihn die weise Frau
wie damals nur allzu häufig.
Sie gab ihm den Rudolf mit,
den Recken, den sie gefunden.
Der führt die Bauern in Sturmgebraus,
hat die Ungarn letztendlich geschunden.
Doch als der große Kampf vorbei,
jagt man Rudolf von hinnen.
Den Streit um den ersten Platz im Dorf,
Hildebrand wollt‘ ihn gewinnen.
So verdarb Hildburga, die weise Frau.
Es blieb nicht Rudolf der Hauptmann der Bauern.
Doch alle hundert Jahre sie wiederkehren,
erfahren wir mit Schauern.
Doch wenn dereinst die Gerechtigkeit gesiegt
und nicht das Gold in der Truhe
ist der Menschheit höchstes Begehr,
dann finden die zwei ihre Ruhe.“
Elisabeth kuschelt sich an den Arm ihrer Mutter. „Das war schön, schade, dass es schon zu Ende ist.“ Magdalena erwidert den Druck des Mädchens ganz zart. „Ach, weißt du Lisa, diese Ballade ist noch viel länger. Sie erzählt die Geschichte von unseren Vorfahren seit uralten Zeiten und reicht fast bis in die Gegenwart. Immer wenn etwas Entscheidendes passiert ist, wird ein neuer Teil dazu gedichtet, so dass unsere Geschichte nicht vergessen wird. Leider sind es nur wenige Familien, die dieses Lied weitergeben und so vor dem Vergessen bewahren.“ Elisabeth überlegt kurz und bemerkt dann: „Die Geschichte muss eben aufgeschrieben werden. Du kannst doch schreiben, Mutter, warum bringst du dieses Lied nicht zu Papier?“
Fast mädchenhaft hört sich Magdalenas Lachen an. „Ach Lisa, erstens reicht meine Schreibkunst nicht so weit, dass ich hunderte Strophen niederschreiben könnte und zweitens habe ich gar nicht so viel Zeit, denn Mutter von vier Rangen zu sein, einen Haushalt zu führen und als Meisterin dem Meister zur Seite zu stehen, dass lässt mir die Zeit wie im Fluge vergehen.“
Johanna war bis hierher still, doch nun will sie auf den Punkt kommen. „Die Ballade war ja ganz schön, Mutter. Aber was hat das Ganze mit unserem Kräuterweib zu tun? Und wieso verwechselt diese unseren Ruprecht mit jenem Rudolf?“
„Ach