Des Rates Schreiber - Chemnitzer Annalen. Gerd vom Steinbach
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Die Alte winkt müde ab. „Den Vater suche ich nicht und die Mutter interessiert mich nicht zuvorderst. Deinetwegen bin ich hierhergezogen, so du der Ruprecht bist. Ich erkenne dich kaum wieder, denn ein paar Jahre sind seit unserem letzten Zusammentreffen ins Land gegangen. Nun, da du hier vor der Tür sitzt, kann ich annehmen, dass es dir besser geht, oder?“
Ruprecht stimmt ihr zu: „Tanzen kann ich zwar noch nicht wieder, jedoch, wenn ich schön langsam mache, schaffe ich es auch bis vor die Tür.“
„Schön vorausgesetzt, dass ich dich stütze!“, wirft Paul ein. „Aber immerhin, ohne deine Kräuter wäre er schließlich nicht von seinem Lager hochgekommen.“
Ein zaghaftes Lächeln lässt Mutter Mechthilds Gesicht leuchten. „Versuchst du etwa, mich zu bezirzen, Paulchen? Halte dich lieber an die Jungfern in der Gasse. Aber wenn du etwas Gutes für mich tun willst, einen Becher Wein würde ich gewiss nicht ablehnen.“
Paul lacht ihr offen ins Gesicht. „Bezirzen wollte ich dich nicht, Mutter Mechthild, nur ehrlich wollte ich sein. Es wird dich gewiss freuen, dass deine Kräuter helfen? Komm in die Stube herein. Hier draußen wird es zu kühl, um den Wein zu genießen.“ Übertrieben eifrig reißt er die Tür auf und gewährt ihr den Vortritt, bevor er, den Bruder stützend, ins Haus folgt.
Sowie das Kräuterweib die Schwelle überschreitet, strafft sich Mechthilds Figur. Als werfe sie die Last arbeitsreicher Jahre von sich, streckt sie sich und ist auf einmal fast so groß wie die beiden jungen Männer. Die Runzeln verlieren ihre scharfen Konturen und es steht da ein Weib unbestimmten, aber gewiss nicht hohen Alters.
Überrascht blicken die Brüder auf Mechthilde. „Also, ich hätte schwören mögen, dass du eben noch viel älter warst“, bemerkt Ruprecht, worauf das Weib freundlich nickt. „So soll es auch sein. Als Kräuterweib muss man alt sein, sonst zweifeln die Leute an der Wirksamkeit der Mittelchen. Außerdem fallen dann die Vorwürfe der Pfaffen nicht gar so hart aus.“
„Darauf würde ich mich nicht verlassen“, widerspricht Ruprecht, „man hat es immer eiliger, Leute als Ketzer zu verurteilen und dem Feuer zu überantworten, wobei es sich gut von einer alten Hexe spricht. Es scheint manchmal sicherer, die Gaben zu verbergen, Mutter Mechthild.“
Die Alte blickt scharfen Auges in das Gesicht des jungen Mannes. „Es ist gut, dass du dir Sorgen um mich machst, Ruprecht, aber wir haben schon ganz andere Sachen miteinander erlebt. Erinnerst du dich nicht, Rudolf?“
Missmutig schüttelt Ruprecht den Kopf. „Ruprecht werde ich genannt, Mutter Mechthild. Und an gemeinsame Erlebnisse von größerer Bedeutung vermag ich mich auch nicht zu erinnern. Da muss ich sehr klein gewesen sein.“
„Wie es auch gewesen sein mag, Ruprecht hat sicher recht mit seiner Warnung. Mit der heiligen Inquisition ist nicht zu spaßen. Vor Kurzem erst haben wieder Scheiterhaufen zu Zwickau und zu Freiberg gebrannt“, mischt sich Paul ins Gespräch und drängt den Bruder wie auch die Alte auf die Bank am Herd, jedem einen Becher mit Wein übergebend.
„Ihr möget recht haben mit eurer Sorge“, stimmt Mechthild zu. „Aber es sind zu viele, die von meiner Kunst des Heilens wissen. Wie sollte ich diese auch verbergen, solange ich zu den Kranken gerufen werde? Heilerin ist man, um zu heilen. Und so lange mich der Herr Pfarrer selbst zu den Kranken holt, sollte ich sicher sein, oder?“
„Trotzdem musst du schlau und vorsichtig sein“, drängt Ruprecht. „Du solltest deine Hütte wie einen Fuchsbau versehen, mit mehreren Ausgängen und immer ein Versteck bereit haben. Wie wäre es mit den Höhlen im Katzberg?“
Die Alte nickt zu seinen Worten sehr verständnisvoll. „Oh ja, die Höhlen haben uns schon sehr geholfen. Du kennst dich darin bestens aus.“
„Nicht besser als Paule und all die anderen Leute der Stadt, soweit sie hier aufgewachsen sind.“
Gern hätte Mutter Mechthild noch ein wenig mit Ruprecht gesprochen. Sie ist sich ganz sicher, dass dieser mit ihr in einem früheren Leben bereits zusammen war. Irgendetwas muss ihm in Erinnerung sein, verborgen unter dem Alltagswissen der Gegenwart und zweifelsohne wird sie diese Erinnerung freilegen können.
Leider zeigen die beiden Brüder recht wenig Interesse an der Fortsetzung des Gesprächs, zumindest in der angedachten Richtung. So nimmt sie sich fest vor, ein andermal die Unterhaltung mit Ruprecht allein zu führen, wenn niemand dabei ist. Die zu erwartende langwierige Heilung der Wunde wird ihr gewiss manche Gelegenheit dazu bieten und dann würde die Anwesenheit Pauls den Gedankenfluss nicht stören.
„Mir scheint, es dauert eine Weile, bis eure Mutter nach Hause findet. Was hat sie so Wichtiges mit der Roselerin zu bereden, dass sie bis in die Nacht wegbleibt?“
Diese Frage mag Ruprecht ein wenig unlieb sein. Errötend schluckend, erwidert er: „Es geht um mich, ich will um die Hand der Martha anhalten. Deswegen sitzt der Vater mit dem Schuhmacher im Wirtshaus und die Mutter leistet der Roselerin in deren Hütte Gesellschaft.“
Die Mutter Mechthild freut sich sichtlich und tätschelt Ruprechts Arm. „Na, das ist eine gute Nachricht. Offensichtlich hältst du dich recht streng an den Zeitplan. Pass nur auf, dass du sie nicht aus Versehen Ariela nennst, sie könnte es dir übelnehmen.“
Ruprecht ist sich nicht so recht im Klaren, ob die Alte nicht wirr redet. Wieso sollte er sich an irgendeinen Zeitplan halten und warum sollte er seine Martha plötzlich Ariela nennen? Grübelnd nickt er dem Kräuterweib zu, als es sich verabschiedet und nimmt dessen Verschwinden in der nächtlichen Gasse gar nicht wahr. Selbst den Bruder und dessen misstrauisches Gesicht ignorierend, erhebt er sich ächzend vom Schemel und begibt sich in schiefer Haltung in seine Ecke, wo er sich stöhnend auf seinem Lager niederlässt. Nur wenige Augenblicke später verrät kaum hörbares Schnarchen, dass sein aufgewühlter Geist im Traumland auf Wanderschaft geht.
Schattenhaft und unsagbar langsam poltert das schwere Gespann zu Tale. Die Zugrinder rutschen wiederkäuend auf den Knien vor dem Wagen her. Der krächzende Gesang der alten Hildburga lässt den Habicht eilig davonfliegen, wohingegen klug dreinblickende Raben die zerfahrene Straße säumen. Am Fuße des Berges biegt sich die endlose Tafel unter einem Festmahl, wie er es nie zuvor gesehen hat. Ein weiß gekleideter Alter führt eine feengleiche Schönheit mit hüftlangem, pechschwarzem Haar heran und nimmt an derer statt die singende Hildburga mit sich. Ariela schmiegt sich an ihn und hat plötzlich Marthas Züge. „Wenn du mir Treue gelobst, dann wird unser Weg ein Weg des Glücks sein“, raunt sie vielversprechend in sein Ohr.
Ein Strohhalm hat sich durch das Laken gebohrt und sticht Ruprecht schmerzhaft in die Wange, wovon er jäh aus dem Schlaf gerissen wird. Von drüben dringt das Schnarchduett der Eltern herüber, die also offensichtlich inzwischen auch nach Hause gefunden haben. Pauls gleichmäßiges Atmen kündet von ruhigem Schlaf. Johanna schmatzt wie gewohnt zu ihren Träumen, einzig von Elisabeth ist nichts zu hören. Lauschend richtet er sich auf, um die Schlafgeräusche der Älteren seiner Schwestern zu orten, da hört er dicht bei seinem Lager das Rascheln von Stoff. „Ruprecht, bist du aufgewacht? Ich bin es, die Lisa!“ Ihre kalte Hand schiebt sich unter seine Decke und legt sich auf seinen Arm. „Bestimmt hast du schlecht geträumt, so wie du gestöhnt hast. Dabei riefst du nach einer Hildburga, einer Ariela und dann nach