Des Rates Schreiber - Chemnitzer Annalen. Gerd vom Steinbach
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Des Rates Schreiber - Chemnitzer Annalen - Gerd vom Steinbach страница 7
Das Haus des Tischlers Prescher steht ziemlich allein auf seiner Straßenseite. Vorn an der Ecke ist das Anwesen vom Töpfermeister Stange und hinter dem Tischler und dem Gassenende mit dem Schuster Roseler wohnt nur noch der Hans Karte, der Weber. Im Gegensatz dazu ist die andere Seite der Gasse dicht bebaut, ein Haus reiht sich an das andere.
Hans steht in der Haustür und lässt seinen Blick durch die regenverschleierte Gasse schweifen. Ihn stört das Wetter nicht, bislang konnte er noch immer jeder Witterung das Schöne abgewinnen. Die Lücken zwischen den Häusern sind von sattgrünen Sträuchern und Wiesen besetzt, die in den nächsten Jahren neuen Häusern weichen sollen.
Irgendwo hinter der jenseitigen Häuserzeile kräht ein Hahn heiser in den wolkenverhangenen Morgen und erinnert daran, dass auch an solch trüben Tagen die Arbeit getan werden muss. Sachte Schritte in der Gasse lassen den Tischlermeister aufmerken. Wiewohl er eben den Entschluss gefasst hatte, die morgendliche Hafergrütze zu sich zu nehmen und sich dann der Arbeit in der Werkstatt zuzuwenden, interessiert ihn nun außerordentlich, wer durch den strömenden Regen naht. Dabei ist ihm gar nicht recht, dass der im Wildwuchs weit ausgelegte Holunderstrauch in der Brache neben seinem Haus mit dem tropfnassen Blätterwerk den Blick die Gasse hinab versperrt. Als endlich eine Gestalt in seinem Blickfeld erscheint, verhindert der Kapuzenmantel das Erkennen seines Trägers. Der weite Schnitt gestattet nicht einmal den Rückschluss, ob es sich um einen Mann oder ein Weib handelt.
Während Hans noch grübelt, wer durch den Regen stapft, wird er gewahr, dass die Gestalt genau auf ihn zuhält. Kurz bevor sie ihn erreicht, erkennt er unter der Kapuze das Gesicht der Tochter vom Schuhmacher Roseler.
„Nanu, Martha, wer hat dich bei diesem Wetter aus dem Haus getrieben und zu so früher Stunde? Haben wir bei deinem Vater noch Schuhwerk in Arbeit oder steht noch Bezahlung aus? Ein leichtes Lächeln funkelt um die Augenwinkel des Tischlers, hat ihm doch seine Lena gestern Abend von Marthas Seelenleben berichtet. Ihm wäre das Mädchen als Schwiegertochter schon recht, aber so ein Schritt will gut durchdacht sein. Nun aber, da sie hierherkommt, wird er etwas schneller überlegen müssen.
Das Mädchen sieht ihn mit seinen großen Augen ganz und gar unschuldig an und doch zieht ein zartes Rot verräterisch über seine Wangen. „Guten Morgen, Meister Prescher. Die Elisabeth sagte mir gestern, dass sich der Ruprecht verletzt hat und nun wollte ich nachfragen, ob es ihm besser geht.“ Marthas Stimme hört sich etwas heiser an und die atemlose Sprechweise lässt keinesfalls auf Unbefangenheit schließen.
„Geh nur hinein und sieh selbst. Er wird dir eigenständig sagen können, wie es heute um ihn steht.“ Bereitwillig gibt Hans die Tür frei und grient in seinen Bart, als das Mädchen ihm den Rücken zukehrt.
Überrascht blickt Ruprecht auf, als die kalte Zugluft mit dem Mädchen in die Stube kommt. Sein von Stolz diktierter Versuch, sich vom Lager zu erheben, findet jähes Ende in schmerzgebotener Bewegungsarmut. So heldenhaft sein Bestreben war, es ist nur das hämische Kichern seiner Schwestern als Resultat zu verzeichnen.
„Du sollst liegenbleiben!“, tadelt ihn die Mutter vom Herd her. Eben füllt sie die irdenen Schüsseln mit dem Frühstücksbrei und an Martha gewandt setzt sie fort: „Schön, dass du vorbeischaust. Willst du auch einen Schlag Grütze?“
„Nein danke, Mutter Prescherin, ich habe schon gegessen, bevor ich aus dem Haus gegangen bin. Eigentlich wollte ich nur sehen, wie es Ruprecht so geht. Dann muss ich schon wieder los, denn Vater meint, ich könnte am besten das Leder zuschneiden. Glücklicherweise muss ich heute keine Schuhe austragen.“
„Nun hast du gesehen, wie es Ruprecht geht, da kannst du auch wieder heimkehren!“, kommt kess der Einwurf von Johanna, dem prompt ein Schlag von der flachen Hand der Mutter auf das lose Mundwerk folgt. „Johanna!“ Wenn Mutter den Namen schon so ausspricht, dann steht es schlimm um den Seelenfrieden der jüngsten Tochter. „Johanna, sofort entschuldigst du dich für die Frechheit! Sei froh, dass sich jemand um deinen Bruder sorgt!“
„Soll sie doch sagen, dass sie in ihn verliebt ist!“, setzt Johanna nach und entwischt vor dem nächsten Klaps eilig durch die Tür in die Werkstatt.
Marthas Gesicht hingegen nimmt die dunkelste Farbe an und Ruprecht ergeht es nicht anders. Der stottert verlegen: „Also, wie sie darauf kommt. Wenn ich erst wieder auf den Beinen bin, werde ich ihr ordentlich das Fell gerben.“
„Besser wäre es, du würdest dich der Martha erklären!“, mischt sich der Vater ein, der soeben die Stube betreten hat. „Dann wüsste ich nämlich, ob ich mich mit dem alten Michel zusammensetze und die Einzelheiten bespreche.“
Ruprecht fühlt sich von den Geschehnissen überrumpelt. Natürlich findet er die Martha toll und er hat mit ihr auf dem Tanzboden schon so manchen Reigen getanzt, aber so direkt haben sie sich noch nie über Gefühle ausgetauscht. Freilich, vom Alter her passen sie recht gut zusammen. Sie zählt siebzehn Lenze und er ist einundzwanzig Jahre alt. Aber dass das alles jetzt so offen auf dem Brett serviert wird, wo er sich selbst noch nicht richtig im Klaren ist!
Ruprechts Eltern schmunzeln in trauter Einigkeit über ihren Sohn und das Mädchen, die beide nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen.
„Nun bring mal nichts durcheinander, Hans“, versucht Magdalena die Situation zu entspannen. „Vielleicht sollten die zwei erst allein miteinander reden? Aber dazu wäre besser, sie würden miteinander ausgehen und nicht von uns beobachtet werden.“
Mit dunklen Augen sieht Martha zum Fenster hin. Wie peinlich ist das denn? Da hat sie sich über Wochen um Ruprechts Aufmerksamkeit bemüht und der zeigt sich von Blindheit geschlagen. Dann läuft sie ihm nach bis ans Krankenlager und muss diese Situation erleben. Wenn wenigstens die freche Johanna ihren vorlauten Mund gehalten hätte!
„Schön, dass ihr euch solche Gedanken macht“, lässt sich Ruprecht hören. „Vielleicht ist es dienlicher, ihr kümmert euch gar nicht erst darum? So vornehmen Standes sind wir beide nicht, dass wir heiraten müssen, um die Macht unserer Familien zu stärken, Reichtum zu vermehren oder was auch immer. Und zur allgemeinen Kenntnisnahme: Ich mag Martha sehr gern und habe bemerkt, dass sie mich auch mag. Nur bin ich eben kein Weiberheld.“
Wie in Stein gemeißelt stehen die Worte im Raum und weil sie so eindeutig sind, bemerkt der Vater nur: „Na, dann ist alles in Ordnung.“ Und geht in die Werkstatt.
Magdalena umfasst Marthas Schultern: „Komm so oft du kannst!“, und bringt sie vor das Haus. „Du musst dich nicht über die Situation wundern. In dieser Familie wird nicht viel über die Liebe gesprochen und so wirken die Herren alle ein wenig hölzern, wenn es um Herzensangelegenheiten geht.“
Elisabeth, die die ganze Zeit unbemerkt in der Ecke saß, hockt sich neben ihren Bruder. „Es wird Zeit, dass das passiert ist. Ich hatte nämlich schon Angst, dass du so ein alter, verknöcherter Einsiedler wirst, der unausstehlich ist.“
Irritiert blickt Ruprecht seiner Schwester ins Gesicht. „Na, du scheinst dich gut auszukennen. Wie kommst du auf solche Gedanken?“
Sie hebt die Schultern und legt die Hand auf ihre Brust. „Wie sollte ich nicht auf so etwas kommen? Sieh mal unseren Paul an. Der ist vier Jahre jünger als du, genauso alt wie die Martha. Er ist oft mit den Mädchen vor der Stadt und ich habe sogar schon gesehen, wie er die Frida vom Töpfer Nuremberg geküsst hat. Du hingegen schaust einfach weg, wenn dir eine ein Auge zuwirft. Sonst hättest du längst merken müssen, dass Martha in dich verliebt ist.“
Puterrot