Des Rates Schreiber - Chemnitzer Annalen. Gerd vom Steinbach
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Resolut wischt die neun Jahre jüngere sein Argument zur Seite: „Natürlich passieren dir die unmöglichsten Dinge. Das ist aber nur deswegen so, weil du stets Angst hast, es könnte etwas geschehen. Würdest du stattdessen den Blick auf die jungen Weiber richten, dann würde ich längst deine Kinder hüten.“
Erleichtert zieht Ruprecht Elisabeth an seine Brust. „Du bist mir doch die Liebste von meinen Geschwistern. Hoffentlich magst du mich noch, wenn das mit der Martha und mir etwas wird.“
Es ist gegen Mittag, als endlich der monoton rauschende Dauerregen allmählich nachlässt und schließlich in einen stotternden Nieselregen übergeht. Ein diffuses Leuchten im wattierten Grau des wolkenverhangenen Himmels lässt erahnen, wo sich die Sonne am Firmament befinden muss.
Der kleine Claus von gegenüber hat längst seinen Erkundigungszug angetreten, weil einer seiner Getreuen von gewaltigem Hochwasser des nahen Flüsschens zu berichten wusste. Eben schlägt die Glocke von Sankt Jakobi die zwölfte Stunde, als der erste Sonnenstrahl den Weg durch eine winzig schmale Wolkenlücke findet und suchend nach dem Fenster der Prescherchen Tischlerei tastet.
Gerade will der Meister die Werkstatt verlassen, als er das Leuchten auf dem matten Grund gewahr wird. Gierig nach frischer Luft öffnet er weit die Fensterflügel und freut sich des erkennbaren Wetterumschwungs. „Lena!“, dröhnt seine Stimme durch das Haus. „Öffne die Fenster und Türen, lass die Luft ins Haus, bevor der Rinnstein wieder stinkt!“
Das Leben in der Stadt mag viele Vorteile mit sich bringen, aber der Geruch der Abfälle in den Gassen in Komposition mit dem der Latrinen kann schnell unerträglich werden, zumal wenn die Wetterlage keinen Luftaustausch zulässt. Deshalb gefällt den Städtern ein laues Windchen und Regentage sind nicht unbedingt immer unwillkommen. Heute ist solch ein Tag, wo die Nasen der Bürger verwöhnt werden und so sieht man, Gasse auf und Gasse ab, überall offene Fenster und Türen. Obwohl es an sich eher die beste Zeit für das Mittagsmahl ist, stehen allenthalben die Nachbarn schwatzend beieinander und tauschen sich über den Dauerregen aus, der offensichtlich sein Ende fand.
Die Prescherin sieht diese Gespräche nicht ohne Neid. Aufgrund der leer stehenden Grundstücke fehlen ihr für den Schwatz die direkten Nachbarn und die Minna Zigerin von gegenüber hat ihr eine zu spitze Zunge, vor allem da diese bereits ziemlich eindringlich auf Nurmbergs Emma einspricht. „Hans, ob ich kurz auf einen Sprung bei der Roselerin vorbeigehe?“, ruft sie fragend über die Schulter. „Das Essen muss ohnehin noch ein paar Augenblicke ziehen.“ Doch die so sicher geglaubte Zustimmung von Hans wird ihr verwehrt. „Lass das lieber bleiben! Erstens habe ich jetzt Hunger und nicht erst in zwei Stunden – und so lange pflegt Roselers Hedwig am Stück zu reden. Außerdem wird dir der Alte den Leisten an den Kopf werfen, wenn er nicht rechtzeitig den Löffel in die Schüssel tauchen kann. Bleibe also besser hier. Heute Abend kannst du dich mit der Roselerin zusammensetzen. Da will ich den Michael in den „Heiligen Georg“ entführen“.
Erstaunt wendet sich Magdalena der Stube zu. „Nanu, Hans, woher kommt dieses überraschende Vorhaben? Du gehst doch sonst nicht mit diesem alten Knurrhahn in die Wirtschaft. Es wird hoffentlich nicht wegen der Martha sein – da wäre ich besser mit dabei!“
„Erst einmal, mein liebes Weib, will ich von dem alten Zausel hören, wie er überhaupt zu solch einer Beziehung steht. Da man so etwas aber mit Geduld ausloten muss, gehe ich mit ihm eben in das Wirtshaus.“ Inzwischen hat sich Hans auf seinen Schemel gesetzt und deutet mit dem Kinn auf den Herd. „Komm, Magdalena, mein Magen knurrt.“
„Und ich sagte, das Essen muss noch ein paar Augenblicke ziehen. Außerdem, wo ist Paul? Und die Mädchen sind auch noch nicht vom Brunnen zurück!“, erwidert die Hausherrin zornig. „Versuchst du jetzt, den Haustyrann zu spielen?“
„Was soll das?!“ Der Tischler blickt finster zur Tür, wo sich sein Weib angriffslustig in Position gebracht hat. „Ich wusste nicht, dass wir uns neuerdings raufen müssen. Beruhige dich also! Der Paule ist im Spitzgässchen. Dort täfelt er eine Stube und wird nicht vor Abend zurück sein. Ich aber will nach dem Essen zum Schultheis, dem will ich die Ausstattung für zwei neue Gästezimmer bauen.“
So schnell Magdalena in Rage geraten war, will sie sich dennoch nicht gleich wieder beruhigen. „Und du meinst, wenn du schon einmal in der Wirtschaft bist, kannst du auch gleich deinen Sohn dort verscherbeln? Nee, mein Guter, so geht das nicht. Da habe ich ebenfalls ein Wörtchen mitzureden!“
Gerade will sie zur Tür hinaus und der Forderung ihres Mannes zum Trotz zur Roselerin hinüberlaufen, da meldet sich Ruprecht von seinem Lager: „Das gibt es doch nicht, dass ihr euch um meinetwegen streitet! Ihr müsst überhaupt nicht die Lage ausloten und erkunden, wie Marthas Vater denkt. Ich selbst werde um die Hand der Tochter anhalten und er wird nichts dagegen einzuwenden haben!“
Erschrocken wenden sich die Eltern ihrem ältesten Sohn zu, den sie unter dem Schleier des Eckenschattens gar nicht wahrgenommen hatten. Während die Mutter vor Schreck und Scham ganz bleich ist, poltert der Vater mit rotem Kopf los: „Es hat dir wohl gefallen, deine Eltern im Streit zu beobachten? Aber auch du wirst mit deinem Weib dereinst nicht nur eitel Sonnenschein erleben. Was aber die Vorsprache beim Roseler angeht, da wirst du schön warten, bis ich mit ihm klargekommen bin! Es war so und es bleibt so, unsere Tradition verlangt dies und daran wird auch der Eigensinn deiner Mutter nichts ändern!“
Eben will Magdalena ihre Position kundtun, da springt die Tür auf und die zwei Töchter poltern ins Haus. Misstrauisch mustern sie die Eltern, denn deren Gesichter berichten vom Spiel der Gefühle. Elisabeth versucht umgehend, den Schatten des Streites zu vertreiben und flötet übertrieben lustig: „Uhu, welch eine finstere Stimmung! Dabei sehe ich am Horizont nur Grund zur Freude.“
„Na eben“, stimmt ihr Johanna zu, „wir feiern bald Hochzeit und dann kommen auch gleich die Kinder. Aber jetzt habe ich ganz fürchterlichen Hunger!“
Bei den Worten der Mädchen wirft die Mutter dem Vater einen warnenden Blick zu, den Streit vorerst auszusetzen. Weil der aber seinem Weib das Gleiche signalisieren will, müssen beide laut lachen. „Ach Vater, nicht einmal streiten können wir richtig!“
Als der Tag sich dem Ende entgegen neigt, verdeckt ein azurblauer Himmel mit violettem Dämmerungsschleier die Erinnerung an den verregneten Vormittag. Längst ist Paul aus dem Spitzgässchen zurück und sitzt auf der Bank neben der Tür. Ihm zur Seite hockt Ruprecht, der sich in seiner Sehnsucht nach Sonnenschein vom Krankenlager erhoben hat. Mit leisen Worten hat der seinen Bruder über die jüngste Entwicklung in Kenntnis gesetzt. Paul schmunzelt vor sich hin.
„Das wird aber auch Zeit, Brüderchen! Die ganze Gasse spricht schon darüber, dass Martha hinter dir her ist und du alter Zausel nichts davon merkst.“
Ruprecht sieht prüfend ins Gesicht des Jüngeren. „War das so deutlich? Wieso habe ich das nicht bemerkt? Jetzt lacht sicher die ganze Stadt über mich.“
„Wen interessiert das? Außerdem brauchen die Leute immer etwas zum Tratschen. Die Hauptsache ist, dass ihr zwei euch gut und einig seid. Vor allem kann ich nun viel besser den Weibern nachstellen, denn jetzt werde ich nicht mehr an dir gemessen.“
Das Lach-Duett der beiden hallt durch die abendfriedliche Gasse und findet prompt die kläffende Antwort eines Straßenköters. Als beide sich schniefend wieder beruhigen, bemerkt Ruprecht: „Du magst der Weiber halber nicht an mir gemessen werden, dass verstehe ich. Aber mein Ungeschick wird man immer mit deinem Können vergleichen. Das zu wissen ist auch nicht gerade ein Vergnügen.“
„Nun barme nur nicht gar so“, sucht Paul den Bruder zu besänftigen, „es genügt, wenn du dich