Des Rates Schreiber - Chemnitzer Annalen. Gerd vom Steinbach

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Des Rates Schreiber - Chemnitzer Annalen - Gerd vom Steinbach

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nein! Die habe ich nicht gemeint. Aber vorn in der Langen Straße gibt es Beispiele genug, zumal in neuen Steinhäusern.“

      „Sprich nicht von Dingen, die du nicht verstehst. Wären deine Hände nicht so ungeschickt, dann wäre die Schulmeisterei hier gar kein Thema.“ Der alte Prescher will nicht nachgeben. „Was weißt du vom Tagewerk eines Kaufmannsweibs?“

      Ruprecht zuckt mit den Schultern. So genau hat er darüber noch gar nicht nachgedacht. Kann deren Tagewerk so viel anders sein als das der Mutter, die von früh bis spät zu rackern hat? „Na gut, auf der faulen Haut liegen können sie auch nicht. Aber Mutter hat nicht einen Deut weniger zu tun und hat uns allen dennoch der Reihe nach das Schreiben und Rechnen beigebracht. Warum ist das nicht auch bei den Kaufleuten so üblich?“

      Endlich legt der Vater seine bärbeißige Miene ab und lächelt mit unverkennbarem Stolz sein Weib an. „Weil deine Mutter nicht einfach klug, sondern sehr klug ist. Deshalb passt sie so gut zu mir. Sie findet immer den schnellsten Weg zu einer Lösung. Das kommt, weil sie schon, wie auch ihr, als kleines Kind mit Spaß an das Lernen herangeführt wurde. Dadurch erkannte sie die Vielfalt der Möglichkeiten. Wer das Rechnen erst spät erlernt, der hat damit viel mehr Not. Wie soll derjenige seinen Kindern dann die Freude daran vermitteln? Nicht anders ist es mit dem Schreiben. Es ist schon ein gelungener Zug unseres Rates gewesen, als er Ende des letzten Jahrhunderts die Stelle des Schulmeisters schuf. Übrigens ist nicht gesagt, dass du zu dessen Gehilfen überhaupt taugst. Über Wissen zu verfügen ist das eine, Wissen zu vermitteln aber ist das andere, das Schwerere.“

      Die Mutter legt dem Meister die Hand auf den Arm. „Darum müssen wir uns kaum Sorgen machen“, meint sie, „der Große hat seit jeher sein Wissen recht gut weitergegeben. Da hat er deutlich mehr Geschick als im Handwerk.“

      „Das hast du mir schon mehrfach gesagt, Mutter. Aber was hätte mir das bei unserem Tagewerk genützt? Von der Schulmeisterei wird man nicht satt, wenn die Eltern nicht gut zahlen. Gehört aber die Schule der Stadt, dann sieht das ganz anders aus, dann gibt es aus dem Stadtsäckel ein festes Handgeld.“

      Ruprecht folgt der Zwiesprache mit gefurchter Stirn. „Ihr seid gut. Eben hieß es noch, ihr wollt versuchen, mich als Stadtschreiber unterzubringen, da quält euch schon der Gedanke, wie ich zum Schulmeister werden könnte. Wäre es nicht erst einmal von Wichtigkeit, die Schritte bis zur Hochzeit zu klären? Wie soll das vonstatten gehen?“

      Tief atmet der Vater ein. „Deine Stelle als Stadtschreiber ist der erste Schritt, mein Sohn, denn bevor überhaupt die Eheschließung angebahnt wird, muss klar sein, wovon du deine Familie ernährst. Sobald du eingestellt bist, wird das Aufgebot bestellt.“

      „Und wenn ich die Stelle nicht bekomme, dann wird es nichts mit der Hochzeit?“

      „Erzähle doch nichts, der Roseler hat seine Hand darauf gegeben, dass es klappt.“ Entschlossen klopft der Vater mit den Knöcheln auf den Tisch, als könne er damit den Plan zum Fakt erheben.

      „Na, das lass ich mir gefallen!“, tönt es in diesem Augenblick vom Weidenrutenzaun herüber. „Erst habe ich gedacht, ihr säßet zum gemeinsamen Frühstück, aber nun scheint es mir eher wie zum Reichstag in der Kaiserpfalz.“ An der Pforte zeigt sich die gebeugte Gestalt Mutter Mechthilds. „Darf ich mich zu euch wagen oder störe ich gar zu sehr?“

      Mit staunenden Augen erwidert die Hausherrin: „Komm nur heran, Muhme. Nur selten führt dich dein Weg in die Stadt und nun kommst du gleich zweimal so kurz hintereinander? Das wird doch nichts Schlimmes zu bedeuten haben, hoffe ich.“

      Schwer atmend kommt die Alte näher. „Ach was, ich will nur nach dem Ruprecht sehen und ein wenig mit euch schwatzen. Das hatte ich eigentlich gestern Abend schon vor, aber du warst nicht zu Hause, Magdalena.“

      „Mein Weib darf doch auch einmal ausgehen“, mischt sich Hans ein. Ihm ist die Tante der Hausherrin immer etwas unheimlich und die Fähigkeiten, die ihm bei seiner Frau so gut gefallen, machen ihm bei der Alten eher Angst.

      „Keine Bange, lieber Hans, ich werde nicht lange bleiben. Aber meine Neugier musst du schon erst stillen und mein Geschwätz ertragen.“ Ein hohles Kichern folgt den durchaus nicht witzig gemeinten Worten. Leise ächzend lässt sie sich auf dem angebotenen Hocker nieder. „Ihr habt es euch hier recht gemütlich gemacht“, meint sie und beäugt aufmerksam das Umfeld. „Es ist der richtige Platz, um sich über die alten Zeiten und die Zukunft auszutauschen. Oder was meinst du, Magdalena?“

      Die aber weist das Ansinnen energisch zurück. „Das werden wir auf gar keinen Fall tun, Mutter Mechthild, denn das ist nichts für gespitzte Ohren neugieriger Töchter, welche die Zusammenhänge noch gar nicht zu erfassen vermögen. Du wirst uns also erst in aller Ruhe essen lassen und dann werden die Mädchen davonziehen.“

      Wütend klopft die Alte mit den Knöcheln auf die Tischplatte. „Ich weiß nicht, was du dir davon versprichst, Magdalena, aber du kannst deine Töchter nicht davor bewahren, dem Ruf ihrer Bestimmung zu folgen. Seit alters her sind die Weiber unserer Linie berufen, als weise Frauen dem Volk zur Seite zu stehen.“

      „Schweig endlich, Alte!“ Mit zorngerötetem Gesicht herrscht der Tischlermeister das Kräuterweib an. „Die Lena hat ausdrücklich gesagt, dass wir reden können, sobald die Jungfern fort sind. Was setzt du ihnen dann jetzt dieses vergorene Zeug sündhaften Geredes vor?! Willst du, dass sie in Flammen vergehen, weil sie ein falsches Wort verloren?!“

      Harten Blickes bringt ihn Mechthild zum Schweigen. „Den richtigen Augenblick für die Eröffnung solchen Wissens gibt es nicht, Hans. Außerdem müssen die Jungfern spätestens jetzt erlernen, mit den Kräutern und Wurzeln umzugehen. Wenn man zu spät mit dem Lernen beginnt, dann bleibt nur Stückwerk haften und das kann zu großem Schaden führen.“

      Der von Zweifeln gefüllte Vater winkt wenig befriedigt ab. „Ich weiß nicht, warum du das tust und was du letztendlich bezweckst, aber es gefällt mir nicht, dass du meine zwei Töchter und meinen ältesten Sohn für dich beanspruchst. Was ist bei den Dreien anders als bei Paul, der dich glücklicherweise gar nicht kümmert?“

      Magdalena, die bleich und leeren Blickes der Auseinandersetzung gefolgt ist, nimmt jetzt wieder die Umwelt wahr und mischt sich ins Gespräch. „Da es nun einmal gesagt ist, können Lisa und Hannel auch den Rest unseres Geheimnisses erfahren: Die Muhme Mechthild hat es ganz richtig gesagt, ich stamme in direkter Linie von den weisen Frauen unseres Volkes ab, so wie die Mutter Mechthild auch oder vor Jahrhunderten eben die Mutter Hildburga. Wir erben unser Wissen von unseren Müttern und geben es an unsere Töchter weiter. So steht uns von Kindesbeinen an Wissen zur Verfügung, das andere Menschen nie erlangen können. Wir müssen nur lernen, dieses Wissen wahrzunehmen und richtig zu gebrauchen. All dies ist natürlich den Leuten um uns unbegreiflich und so vermeinen sie oftmals, Hexerei zu erleben. Darum verbergen wir größtenteils unsere Gabe, vor allem vor der Kirche, obwohl wir gute Christen sind.“

      Johanna, die bislang eher ehrfurchtsvoll dem Gespräch gefolgt ist, blickt mit großen, runden Augen auf die Mutter. „Was denn, bin ich etwa eine Hexe? Aber ich will niemandem etwas Böses antun und wenn ich schon einmal unartig bin, dann nicht aus Bosheit! Nie und nimmer will ich eine Hexe sein!“

      Ängstlich umfängt das Mädchen den Leib seiner Mutter und presst sich an sie. Diese aber fährt ihm tröstend über das Haar. „Natürlich bist du keine Hexe und du wirst niemals eine sein. Du bist auch nicht bös, sondern höchstens einmal ungezogen, so wie alle anderen Kinder. Aber du, deine Schwester und ich, wir haben altes Wissen unseres Volkes zu bewahren, vor dem andere Menschen vielleicht Angst haben, weil sie glauben, wir könnten mit diesem Wissen Macht über sie gewinnen. Deshalb soll von unserem Wissen nie jemand je erfahren, der nicht zu unserem Kreis gehört, noch nicht einmal unsere Nachbarn –

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